Brandenburgs Beste

Eine Bühne für die Medizin

Die wichtigste Säule der Brandenburger Wirtschaft sind die mittelständischen Unternehmen. Einige von diesen Firmen überzeugen durch Innovation und Spezialisierungen. Sie bedienen Nischen und sind dabei sehr erfolgreich. Manchmal sind sie weltweit aktiv und zu Hause fast unbekannt. In unserer Serie stellen wir solche besonderen Brandenburger Unternehmen vor. Heute: Medizin im Grünen
Medizin im Grünen ist solch ein Unternehmen. Es betreibt in Wendisch Rietz (Landkreis Oder-Spree) ein Medizinisches Kompetenzzentrum für neue Operationstechniken und den Einsatz von innovativen Medizinprodukten. Solche sind zum Beispiel Herzschrittmacher oder neuartige OP-Roboter, die dort sorgfältig erprobt werden und an denen Ärzte sowie Assistenzpersonal für deren sichere Anwendung am Patienten trainiert werden.
Der Biologe Dr. Heiko Ziervogel hat 2003 das Unternehmen gekauft und beständig weiterentwickelt. 2010 errichtete er in Wendisch Rietz den Neubau mit 10 Operationssälen und weiteren Schulungsräumen. Trainiert wird an künstlichen Organmodellen, an Körperspendern und narkotisierten Nutztieren, wie Schweinen oder Schafen. Für Ärzte ist es eine einmalige Chance, Neues zu erlernen, ohne Patienten einem Risiko auszusetzen. Der Geschäftsführer sieht sein Unternehmen als Dienstleister für die Medizin. Auftraggeber sind Universitätskliniken, Krankenhäuser oder Medizintechnikhersteller. Die Veranstalter holen sich Ärzte an den Tisch, die sich auf ihrem Fachgebiet durch besondere Exzellenz auszeichnen. Mit dieser Arbeitsweise ist Medizin im Grünen das einzige privat geführte Zentrum seiner Art in Deutschland. Es wird weltweit gebucht.

Das Gebäude von Medizin im Grünen gleicht äußerlich einem großen Wohnhaus. Es gibt eine Dachterrasse und einen gläsernen Eingang, sodass es in dem Urlauberort kaum auffällt. Man muss schon das Firmenschild lesen, um eine Bildungsstätte zu erkennen. Im Gebäude befinden sich die Seminarräume, eine große Cafeteria und zahlreiche modern ausgestattete OP-Räume. Von der Herz-Lungen-Maschine bis hin zum Computertomografen werden alle Funktionseinheiten bereitgehalten, die ein modernes Krankenhaus auch hat. Der Tierstall ist in das Gebäude integriert und von außen nicht zu sehen.
Gastfreundlicher Service
Am Eingang empfängt Sandra Fells die Besucher. Sie ist Senior-Projektmanagerin und hat noch drei Kolleginnen. Das Team plant und organisiert die Projekte, koordiniert Termine mit den externen Referenten und den eigenen OP-Assistenzen, führt die Gäste durchs Haus, bucht Hotelzimmer und Taxis und kümmert sich mit ihren Kolleginnen um die Sonderwünsche der Kunden. Medizin im Grünen beschäftigt 15 Mitarbeiter, mit Ausnahme des Chefs und eines Tierpflegers sind alle Frauen. Wie die meisten stammt Sandra Fells unmittelbar aus der Region. Sie ist ausgebildete Tourismusassistentin.
Messen und Kongresse zu organisieren war früher ihre Aufgabe, die Anforderungen in ihrem neuen Job sind ganz ähnlich. Geschäftsführer Heiko Ziervogel beschreibt Medizin im Grünen so: „Wir bieten der Medizin eine Bühne, auf der ganz viel passiert. Wir bringen unser Know-how im Service sowie die Assistenz und Technik für den OP ein. Wir sorgen dafür, dass der Ablauf reibungslos funktioniert.“

Der Geschäftsführer
Heiko Ziervogel ist gebürtiger Hennigsdorfer. Als studierter Biophysiker ging er nach seinem Studium in die Grundlagenforschung ans Krankenhaus Bad Saarow. Dort lernte er den medizinischen Alltag in einer Klinik kennen. 1990 begann für ihn eine „Zeit der Wanderschaft“. Er arbeitete 15 Jahre bei Herstellern in Hamburg, Hannover und Stuttgart, machte sich dann aber als Medizinprodukteberater selbstständig, um wieder bei seiner Frau und den vier Kindern zu sein. Er sagt: „Die Selbstständigkeit war für mich keine große Umstellung. Ich habe mich schon immer gern und intensiv in meine Arbeit gekniet und die Dinge selbst in die Hand genommen.“ Durch seine Beratertätigkeit lernte er Professor Burkhard Lachmann kennen, der in den Jahren zuvor in Groß Dölln (Uckermark) eine Schule für die Weiterbildung von Medizinern am Tiermodell aufgebaut hatte.

Kauf aus einer Insolvenz
Heiko Ziervogel kaufte das Medizinische Zentrum Groß Dölln 2003 aus einer Insolvenz heraus. Er sagt: „Es war der Verdienst von Professor Lachmann, dass er den Bedarf erkannte und das Angebot entwickelt hat. Die Reaktionen in der Fachwelt haben mich darin bestärkt, dass eine solche Einrichtung Bestand haben muss. Ich habe Hochachtung vor dem Qualitätsanspruch der Mediziner: Ein hohes und stets aktuelles Fachwissen, gepaart mit fachärztlichem Können und dem Anspruch, möglichst keine Fehler zuzulassen. Diesen Qualitätsanspruch der Mediziner haben wir auf unsere Arbeit als Dienstleister übertragen.“ Als Geschäftsführer stabilisierte Dr. Ziervogel den Ertrag, indem er den Partnern klarmachte, dass jede erbrachte Leistung auch bezahlt werden muss. Zudem folgte er der preußischen Raison, nur das Geld auszugeben, das er vorher eingenommen hatte. Nach sieben Jahren mit wachsender Nachfrage konnte er in ein neues Geschäftsgebäude in Wendisch Rietz investieren, jetzt allerdings mit Hilfe einer Finanzierung durch die ILB. Er sagt: „Wir hatten in Groß Dölln gezeigt, dass wir unseren Kunden nicht nur genau zuhören, sondern auch liefern können.“ Er sagt: „Zum medizinischen Fortschritt gehört immer auch das Experiment. Neurochirurgen oder Herzchirurgen müssen neue Dinge ausprobieren, das können sie in der Klinik nicht tun. Und die Medizintechnik muss Prototypen testen, um sie zu verbessern und durch normierte Validierungen eine Zulassung zu erlangen. Wir stellen das Setup als Dienstleistung für den medizinischen Fortschritt.“
Bis zu 1500 Mediziner kommen jährlich nach Wendisch Rietz, um an einer ein- oder mehrtägigen Weiterbildung teilzunehmen. Sie erproben hier nicht nur, welche neuen Operationstechniken für die Patienten geeignet sind, sondern auch, was sie mit ihren Teams zu leisten vermögen. Abgesehen von den Trainings werden bei Medizin im Grünen auch neue Medizinprodukte getestet. Solche Tests sind Voraussetzung für den Einsatz am Menschen.
 
Stellenwert der Weiterbildung
Dr. Ziervogel sagt: „Hochleistungsmedizin erfordert die fortwährende Bereitschaft zu lernen. Oft machen die Kursteilnehmer vorher Überstunden oder noch eine Nachtschicht, damit sie die Zeit für die Weiterbildung herausarbeiten. Andere Ärzte tauschen mit ihnen den Dienst. Nicht selten finden die Veranstaltungen an einem Freitag und Sonnabend statt, manchmal auch am Sonntag. Das zeigt, wie sehr die Ärzte die Fortbildung bei uns wertschätzen. Wir stellen die Infrastruktur und sind offen für die Wünsche unserer Kunden, egal ob Medizintechniker oder Herzchirurg. Wir erfragen den Bedarf und entwickeln daraus Lösungsvorschläge, wie die Fortbildung mit bestem Nutzen für die Mediziner und deren Patienten gestaltet werden kann.“
Zur Kundenorientierung gehört auch die Atmosphäre rund um das Bildungsangebot. Viele Teilnehmer genießen die Off-Situation, die Stunden oder Tage, in denen sie die Verantwortung für ihre Patienten an andere abgeben konnten. Es gibt gutes Essen und ein Hotel in unmittelbarer Nähe, das gern gebucht wird. Es ist auch ein Neubau, der dortige Bauherr investierte, weil Medizin im Grünen bereits im Bau war und die Bildungseinrichtung heute ganzjährig für Kundschaft sorgt. Die Mitarbeiter sprechen Englisch. Auch die Taxifahrer profitieren vom Trainingszentrum. Oft lassen sich Schulungsgäste direkt vom 50 Kilometer entfernten Flugplatz BER abholen oder hinbringen.

Arbeit an Spenderorganen oder mit Tiermodellen
Dr. Johannes Patrick Wölfer ist Neurochirurg am Hufeland Klinikum Mühlhausen und zugleich Privatdozent am Universitätsklinikum in Münster. Er ist bereits zum vierten Mal in Wendisch Rietz zu Gast, um an Körperspendern vor Fachkollegen aus Deutschland, Polen und Spanien die Behandlung eines bösartigen Hirntumors zu demonstrieren. Das geschieht bei ihm mit einer neuen Technik durch gezielte Hitzeeinwirkung auf das betroffene Gewebe.
Dr. Wölfer sag t: „Die Arbeit am Spenderorgan ermöglicht eine Simulation, die von der Wirklichkeit nicht weit weg ist. An der Uni stehen mir solche Präparate nicht zur Verfügung.“
Die Veterinäringenieurin Karin Busemann ist als Senior-Projektmanagerin für die Versuchstiere in der Einrichtung verantwortlich. Gearbeitet wird meistens mit Schweinen, weil diese in ihrer Anatomie dem menschlichen Körper ähnlich sind. Karin Busemann ist seit 2012 im Unternehmen, bereitet die Tiere für die Operationen vor und ist während der ganzen Zeit für das Tierwohl zuständig. Bevor es losgeht, besprechen die Teilnehmer ethische Fragen im Umgang mit dem Tier. Karin Busemann und ihre vier Kolleginnen behandeln die Versuchstiere wie Patienten, denen es während der OP gut gehen soll. Sie sprechen auch von Patienten. Kommt es beim Eingriff zu einer Komplikation, dreht sich alles um das Leben des Tieres. Im Anschluss an die Operation nehmen die Teilnehmer manchmal mit einer Gedenkminute Abschied. Denn kein Patient kommt ein zweites Mal. Es ist gesetzlich vorgeschrieben, dass das Versuchstier getötet wird und der Kadaver in die Tierkörperbeseitigung kommt. Das gilt auch für Tiere, die nach der Operation noch einige Wochen am Leben bleiben, um die Einheilung eines Transplantats zu überwachen, zum Beispiel einer neuartigen Herzklappe.

Das Veterinäramt des Kreises genehmigt jeden Tierversuch einzeln. Medizin im Grünen muss im Antrag beschreiben, was für ein Eingriff vorgesehen ist und welchem Zweck er dient, muss die Unerlässlichkeit begründen. In der Bewertung werden dann alle Möglichkeiten geprüft, ob und wie das Tiermodell ersetzt werden kann. Karin Busemann sagt: „Wir wägen die Vor- und Nachteile gründlich ab. Manchmal aber ist der lebende Organismus mit Atmung und pulsierenden Gefäßen für den Erkenntnisgewinn nötig.“

Ethische Diskussionen
Für Dr. Heiko Ziervogel gehört Öffentlichkeitsarbeit seit vielen Jahren zum Geschäft. Darum lud Medizin im Grünen schon in der Bauphase die Anwohner ein, um die Einrichtung zu besichtigen. Der Geschäftsführer reagierte auf die überregionale Kritik an Tierversuchen und lud zu Presseterminen ein. Er stellt sich der ethischen Diskussion und überzeugt mit seinen fachlichen Argumenten, wenn er Gelegenheit dazu bekommt. Schwierig wird es allerdings, wenn sich die Politik Pauschalvorwürfe von Tierschützern zu eigen macht und es keinen Dialog mit den Beteiligten gibt. Das geschieht aktuell. Die für die Tierversuche zuständige Behörde hat die Fortsetzung von Fortbildungen für Intensivmediziner zu Sepsis und Lungenversagen an Tiermodellen ersatzlos gestrichen, ohne die Begründungen zur Unerlässlichkeit und den in den letzten 20 Jahren erreichten Erfolg im klinischen Alltag und Nutzen für schwerstkranke Patienten anzuerkennen. Dr. Ziervogel sagt: „Wir ersetzen bereits viele lebende Tiere durch künstliche Modelle oder Organpräparate. Wir haben die Zahl der Tiermodelle in den letzten Jahren halbiert. Ich denke aber, dass es auch in Zukunft noch einen Bedarf geben wird. Solange es eine forschende Medizin gibt, wird man auf Tiermodelle nicht ganz verzichten können.“
FORUM/Bolko Bouché

Jens Jankowsky
Referent Innovation/Energie
Geschäftsbereich Wirtschaftspolitik