Position der Vollversammlung

Energiekrise

20. September 2022

Energiekrise und Kostenexplosion – Was jetzt geschehen muss, um die Wirtschaft in Deutschland und im Oldenburger Land zu schützen


Die aktuelle Energiekrise gefährdet den Wirtschaftsstandort Deutschland und die Mitgliedsunternehmen der Oldenburgischen Industrie- und Handelskammer massiv. Dramatisch ist insbesondere, dass die extremen Preissteigerungen die Wirtschaft in ihrer gesamten Breite treffen. Zudem steigt die Zahl der Firmen, die keine Lieferverträge für Strom und Gas mehr angeboten bekommen. Jetzt sind schnellstmöglich Maßnahmen durch die Politik zu ergreifen, um die Wirtschaft zu schützen, denn sonst drohen Insolvenzen und schwere wirtschaftliche Verwerfungen.

Es gilt jetzt, Maßnahmen umzusetzen, die der Wirtschaft in der aktuellen Notlage schnell und unbürokratisch helfen, ohne dabei langfristige Ziele zu konterkarieren. Hierzu empfiehlt die Oldenburgische IHK, folgende zehn Maßnahmen kurzfristig umzusetzen, um die Versorgungs- und Planungssicherheit zu erhöhen und die Energiekosten für die Unternehmen zu verringern:

  1. Grundtarif für Unternehmen einführen, um die Kosten zu senken und planbarer zu machen
  2. Alle verfügbaren Kohlkraftwerke in den Markt zurückholen
  3. Weitervertrieb verfügbarer Kernkraftwerke bis zum Ende der Krise
  4. Zusätzliches Gasauktionsmodell einführen
  5. Kurzfristiger befristeter Eingriff in den Markt europäisch abgestimmt notwendig
  6. Energiekostenzuschüsse ausweiten
  7. Stromsteuer und Energiesteuer auf Gas auf den europäischen Mindestsatz senken
  8. Strom- und Gaspreisumlagen in Bundeshaushalt überführen, Zuschuss zu Netzentgelten einführen
  9. Entlastung bei den CO2-Handelssystemen schaffen
  10. Dauerhafte Ersatzversorgung Strom und Gas für alle Spannungsebenen und Druckstufen einführen

Unabhängig von diesen Sofortmaßnahmen gewinnt auch die schon seit langem von uns geforderte Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren an Relevanz und Dringlichkeit. Insbesondere der Ausbau der Erneuerbaren Energien muss dringend an Tempo gewinnen, um die Energieversorgung unabhängiger von Importen zu machen und somit die Resilienz der Wirtschaft in Krisensituationen zu erhöhen.

Erläuterungen zu den Sofortmaßnahmen:

1. Grundtarif für Unternehmen einführen, um die Kosten zu senken und planbarer zu machen

Die aktuellen Preise und vor allem die Preisaussichten zum Jahreswechsel sind von der Wirtschaft kaum zu tragen. Deshalb ist es notwendig, die rasant steigenden Preise jetzt zu begrenzen, zumal sie aktuell die großen Unsicherheiten am Markt mit einpreisen und sie sich somit immer weiter nach oben verschieben. Hier kann beispielsweise ein Grundtarif helfen, bei dem 80 Prozent des durchschnittlichen Verbrauchs der letzten drei bis fünf Jahre für den Verbraucher zu einem vergünstigten Preis festgeschrieben sind. Die noch ausstehenden 20 Prozent sind am Markt zu erwerben. Somit bleibt der Anreiz zum Sparen beim Verbraucher erhalten. Die Finanzierung der dadurch anfallenden Kosten muss vom Staat getragen werden.

2. Alle verfügbaren Kohlkraftwerke in den Markt zurückholen

Alle noch verfügbaren Stein- und Braunkohlekraftwerke müssen jetzt schnell zurück in den Markt geholt werden. Mit dem Ersatzkraftwerke-Bereithaltungsgesetz hat die Bundesregierung bereits die rechtliche Grundlage geschaffen, um zusätzliche Kraftwerkskapazitäten aus Kohle und Öl dem Strommarkt zur Verfügung zu stellen. Allerdings ist die Resonanz bisher aufgrund restriktiver Vorgaben und mangelnder Planungssicherheit sehr gering. Dabei könnten in kurzer Zeit 5,5 GW aus der Netzreserve und weitere 1,9 GW aus der Versorgungsreserve in den Markt zurückgeholt werden.
3. Weitervertrieb verfügbarer Kernkraftwerke bis zum Ende der Krise
Die Nutzung der Kernkraft zur Stromerzeugung ist in der Wirtschaft umstritten. Das Thema war seit 2011 mit dem Beschluss der damaligen Bundesregierung zur Abschaltung aller Anlagen geklärt. Ohne die aktuelle Krise wären die letzten drei Kraftwerke zum 31.12.2022 abgeschaltet worden. Angesichts der aktuellen Notsituation spricht sich aber eine Mehrheit der Unternehmen dafür aus, die bestehenden Kernkraftwerke für die Dauer der Krise weiterzunutzen, um die Strompreise zu dämpfen und die Versorgung zu sichern.

4. Zusätzliches Gasauktionsmodell einführen

Das Gasauktionsmodell, das am 1. Oktober 2022 starten soll, ist aus unserer Sicht sinnvoll, aber nicht ausreichend. Es kommt erst zum Einsatz, wenn alle anderen Maßnahmen nicht ausreichen und eine Gasmangellage unmittelbar bevorsteht. Daher ist zusätzlich und kurzfristig ein Modell notwendig, das darauf abzielt, Gas für die Einspeicherung verfügbar zu machen. Industriekunden bekommen so zusätzliche Anreize, um ihren Gasverbrauch zu reduzieren und eine weitere Befüllung der Speicher zu ermöglichen. Solche Anreize können nicht über den Regelenergiemarkt angeboten werden und sollten für die Industriekunden direkt verfügbar sein.

5. Kurzfristiger befristeter Eingriff in den Markt europäisch abgestimmt notwendig
Die Märkte für Strom und Gas haben aufgrund der gedrosselten Lieferungen aus Russland, der anhaltenden Trockenheit sowie der Probleme der französischen Kernkraftwerke extreme Preise erreicht. Die Wettbewerbsfähigkeit weiter Teile der deutschen Wirtschaft ist damit gefährdet. Ein kurzfristiger Eingriff auf europäischer Ebene erscheint daher gerechtfertigt, solange er auf die Krise begrenzt bleibt und die Funktionsfähigkeit des Terminmarkts nicht beeinträchtigt. Gleichzeitig muss die Bundesregierung alles dafür tun, Wettbewerbsnachteile Deutschlands bei den Energiekosten z.B. durch den französischen Industriestrompreis auszugleichen.

6. Energiekostenzuschüsse ausweiten

Die IHK-Organisation hat lange schon auf eine zu enge Eingrenzung der Beihilfen über die sogenannte KUEBLL-Liste hingewiesen – denn sie schließt gasintensive Industriebetriebe, aber auch energieintensive Betriebe aus anderen Sektoren von Hilfen aus und berücksichtigt nicht die Kosten für direkte Prozessenergieträger (Dampf, Kühlwassser, Druckluft). Zudem sind die Zahlungen oft zu gering, um Betriebe vor einer existentiellen Krise zu bewahren. In einer Situation, in der Produktionen zurückgefahren werden oder Unternehmen in die Insolvenz gehen, müssen Hilfen breiter angelegt werden in Bezug auf alle Größen und Branchen in der Wirtschaft. Anders lassen sich Einbrüche in Industrie, Dienstleistung und Handel nicht vermeiden.
7. Stromsteuer und Energiesteuer auf Gas auf den europäischen Mindestsatz senken
Die europäische Energiesteuer-Verordnung sieht bestimmte Mindeststeuersätze für die verschiedenen Energieträger vor. Dabei kann die Stromsteuer im Einklang mit europäischen Vorgaben von 2,05 auf 0,05 ct/kWh abgesenkt werden. Die Wirtschaft würde dadurch um circa 3 Milliarden Euro entlastet. Dies würde auch für Betriebe, die den Spitzenausgleich heute in Anspruch nehmen, eine bürokratische Entlastung darstellen. Ebenso sollte die Energiesteuer auf Gas auf das europäische Mindestmaß gesenkt werden. Diese richtet sich nach der Verwendungsart und liegt national zwischen 0,15 und 0,55 ct/kWh. Eine Reduktion auf 0,054 ct/kWh als Heizstoff für die betriebliche Verwendung bzw. 0,108 ct/kWh für gewerbliche und industrielle Zwecke sollte umgesetzt werden.

8. Strom- und Gaspreisumlagen in Bundeshaushalt überführen, Zuschuss zu Netzentgelten einführen

Eine Übernahme der Stromumlagen (§19 StromNEV-, Offshore-Netz-, AblaV- und KWK-Umlage) in den Staatshaushalt würde die Wirtschaft entlasten und Bürokratie abbauen. Im Rahmen der Einigung über den Ausstieg aus der Kohleverstromung wurde für den Zeitraum ab 2023 ein Zuschuss zu den Netzentgelten vereinbart, der Preiseffekte ausgleicht. Hier sollte eine schnelle Umsetzung erfolgen. Gleiches gilt für das ebenfalls im Kohlekompromiss verabredete Ausgleichsinstrument für die energieintensive Industrie. Unternehmen werden zusätzlich durch die neu eingeführten Umlagen auf Gasspeicher, Gasbeschaffung sowie die Anhebung der Regelenergieumlage belastet. In der Summe verteuert das den Gasverbrauch nochmals um rund 3,5 ct/kWh. Diese Umlagen sollten ebenfalls in den Staatshaushalt übernommen werden.

9. Entlastung bei den CO2-Handelssystemen schaffen
Der nationale und der europäische Emissionshandel sind und bleiben zentrale Element zur Erreichung der Treibhausgasminderungsziele. Doch außergewöhnliche Krisensituationen erfordern außergewöhnliche Maßnahmen. Daher sollte das BEHG mindestens bis Ende 2024 ausgesetzt und die Aufnahme von Kohle und Abfall in das System ebenfalls bis zu diesem Zeitpunkt verschoben werden. Die Preise sind so hoch, dass eine zusätzliche Lenkung nicht stattfinden kann.

In Europa werden alle Kapazitäten zur Stromproduktion benötigt, um die Versorgung stabil zu halten. Dies führt zu einer steigenden Nachfrage nach Zertifikaten und damit zu steigenden Zertifikatskosten. Dadurch würde die Wirtschaft zusätzlich belastet. Aus diesem Grund sollte mit einer Anhebung der Zertifikatsmenge den Preisen entgegengewirkt werden. Diese können aus der Marktstabilitätsreserve in den Handel überführt werden. Damit würde der Emissionshandel nicht außer Kraft gesetzt werden, aber die aktuellen Energiepreiskrise nicht weiter befeuert werden.

10. Dauerhafte Ersatzversorgung Strom und Gas für alle Spannungsebenen und Druckstufen einführen

Immer mehr Unternehmen erhalten keine Angebote für die Belieferung mit Strom und/oder Gas mehr. Ohne Energie kann weder produziert, noch können Waren oder Dienstleistungen verkauft werden. Damit es nicht zu zahlreichen Unternehmensschließungen kommt, sollte die Bundesregierung rasch das Recht auf Ersatzversorgung auf allen Spannungsebenen und Druckstufen ausweiten. Zudem ist eine dauerhafte Lösung notwendig, die nicht nach drei Monaten endet. Dies könnte z.B. über eine Belieferung zum jeweils aktuellen Spotmarktpreis umgesetzt werden.