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Roboter gegen Fachkräftemangel
Schwere und monotone Arbeiten werden von Robotern gemacht - und Arbeitsplätze werden für Fachkräfte dadurch attraktiver, wie Beispiele aus der Region zeigen. | Text: Daniel Boss
Die beiden synchron agierenden Roboter-Arme haben eine Dimension und Power, die gut zu einem Hollywood-„King Kong“ passen würde. Der Sandblock für den späteren Aluminiumguss wird in der Luft gedreht und gehalten, als sei er federleicht. Dabei bringt er stolze 600 Kilogramm auf die Waage. Ein im Block verborgenen Chip liefert die Infos, wie die spätere Form für den Aluminiumguss bewegt und bearbeitet werden soll. Für den Feinschliff sorgt ein Arbeiter, der die automatische Prozedur auch überwacht. „Robotik ist eine enorme Erleichterung beim Handling der Formen und Bauteile“, sagt Ulrich Grunewald, der zusammen mit seinem Bruder Philipp die Grunewald GmbH & Co. KG führt. Das Bocholter Unternehmen, spezialisiert auf Leichtbau-Gussteile in kleiner Stückzahl und Werkzeugbau, verfügt über insgesamt sieben sogenannte Roboterzellen an zwei Standorten. Gemeint ist eine abgegrenzte Arbeitsumgebung, in der Roboter Aufgaben erledigen – etwa das Bewegen und Sichern der Gussform beim Einfüllen des flüssigen Aluminiums, wie es bei Grunewald Dutzende Male am Tag passiert.
Prozesse, für die einst drei Mitarbeiter benötigt wurden, schafft heute dank des Roboters ein einziger, erläutert Unternehmer Ulrich Grunewald.
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Keine menschenleeren Hallen
Menschenleere Hallen, in der nur noch Maschinen tätig sind, sucht man bei dem Mittelständler vergebens. Fachkräfte sind nach wie vor unabdingbar; mehr als 200 Mitarbeiter hat das Unternehmen insgesamt. Die Roboter des Augsburger Herstellers Kuka übernehmen verschiedene Schritte, die zuvor händisch erledigt wurden. „Früher hing der Sandblock zur Bearbeitung am Kran. Das war sehr aufwändig und gefährlich“, nennt Ulrich Grunewald ein Beispiel. Prozesse, für die einst Mitarbeiter benötigt wurden, schafft heute ein einziger. Und das Abschleifen überstehender Aluminium-Teile an einem Gussstück, um ein weiteres Beispiel zu nennen, sei „extrem unattraktiv“. Diese Zeit könnten Facharbeiter nun viel besser nutzen – dank Unterstützung der modernen „Helferlein“. „Wir setzen Roboter nicht ein, um Arbeitsplätze abzubauen, sondern um sie attraktiver zu gestalten“, betont der Geschäftsführer. „Das hilft dabei, Fachkräfte und vor allem Auszubildende zu finden und bei der Stange zu halten.“ Effizientere Abläufe seien ein weiterer Grund. Denn rechnen müssen sich die mehrere hunderttausend Euro teuren Roboter-Zellen natürlich.
Der Einstieg in die Robotik erfolgte bei Grunewald eher zufällig. „Wir hatten die Möglichkeit, eine gebrauchte Zelle in Bocholt einzusetzen. Ein Student der Westfälischen Hochschule am Campus Bocholt wollte darüber seine Bachelor-Arbeit schreiben,“ erläutert Grunewald. Inzwischen gehört der einstige Student fest zum Grunewald-Team. Und der Kontakt zur Hochschule ist enger denn je.
„Wir wollen vorhandene Technologien für KMU effizient nutzbar machen, um konkrete Aufgabenstellungen aus der regionalen Wirtschaft zu lösen,“ sagt Prof. Dr. Thomas J. Naber von der Westfälischen Hochschule (WH) in Bocholt zum Zusammenspiel von Wissenschaft und Forschung mit der Industrie. „Zudem bilden wir Nachwuchskräfte aus. Beides kann einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, die Lücke zwischen technisch möglichen Lösungen und KMU-spezifischen Anforderungen zu schließen“, Dabei ist es nach Angaben des Dekans des Fachbereichs Maschinenbau besonders wichtig, dass solche Projekte durch öffentliche Förderungen für die KMU finanziell attraktiv sind und die Wissenschaft „die Sprache der mittelständischen Wirtschaft versteht und ihr auf Augenhöhe begegnet“.
Wissenschaft analysiert Produktionsprozesse
Die praktische Anwendung von Roboter-Lösungen bei KMU hat in den letzten Jahren zugenommen. „Viele kleine und mittlere Unternehmen haben begonnen, kollaborative Roboter, sogenannte Cobots einzusetzen“, erklärt Steffen Subelak, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Münster School of Business (MSB) der FH Münster. Cobots sind flexibel einsetzbare Roboter, die durch ihren mit Sensoren ausgestatteten Arm eine sichere Interaktion mit Menschen ermöglichen. „Diese unterstützen bei monotonen und körperlich belastenden Tätigkeiten, wie dem Palettieren von Waren oder dem Schleifen von Werkstücken,“ erläutert Subelak. An der MSB werden Cobots gemeinsam mit Studierenden erprobt und für verschiedene Anwendungen getestet. „Wir wollen erreichen, dass Studierende den Einsatz von Cobots bei ihrer späteren praktischen Tätigkeit in den Unternehmen forcieren,“ so der FH-Experte.
© privat/Canva
Strategische Automatisierung nötig
Allen Fortschritten zum Trotz, herrscht bei KMU noch Zurückhaltung in Bezug auf Automatisierungen. „Die Unsicherheiten der Corona-Zeit und nachfolgender Krisen hat eher zur Schockstarre geführt als zu mutigen Investitionen“, konstatiert Thomas J. Naber von der WH. „Es gelingt oft noch nicht, eine Brücke zwischen existierenden, technisch sinnvollen Automatisierungslösungen und der konkreten Anschaffung und Inbetriebnahme im eigenen Haus zu schlagen. Und leider beschäftigen sich viele KMU auch immer noch viel zu sehr mit dem Tagesgeschäft, anstatt mit der strategischen Automatisierung. Der Rückstand wird dadurch größer,“ stellt Naber fest.
Laut einer Potenzialanalyse der IHK Nord Westfalen zur nachhaltigen Etablierung digitaler Innovationskraft setzten im Jahr 2022 nur etwa 18 Prozent der KMU Robotik ein oder planten deren Einsatz. Bei größeren Unternehmen waren es über 50 Prozent. Laut Sebastian van Deel, IHK-Geschäftsbereichsleiter Digitalisierung, Industrie und International, mangelt es an praxisnahen Digitalisierungs- und Innovationsangeboten für KMU. Das Problem ist erkannt – und wird angegangen. Die IHK hat einige Projekte auf den Weg gebracht, unter anderem in Zusammenarbeit mit der niederländischen Grenzregion, wo das Thema „Smart Industry/Robotic“ auch vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels verstärkt in den Fokus gerückt ist.
Prof. Dr. Thomas J. Naber (r.) und der wissenschaftlicher Mitarbeiter Christopher Langner, von der Westfälischen Hochschule (WH) in Bocholt arbeiten daran, vorhandene Technologien für KMU effizient nutzbar zu machen.
© Betz/IHK Nord Westfalen
Roboter entlasten
Zu den Vorreitern in Sachen Automatisierung gehört die bmu Brinkmann Möbelelemente Ummantelungswerke GmbH & Co KG in Hörstel. Seit mehr als 20 Jahren setzt das Unternehmen Industrieroboter in der Fertigung ein und seit zirka zwei Jahren auch Cobots des deutschen Herstellers Universal Robots. Sie entnehmen unter anderem Werkstücke aus einem Transportbehältnis, führen es einer Bearbeitungsstation zu und legen es nach Bearbeitung auf einer Palette ab. „Die Industrieroboter werden in der Serienfertigung eingesetzt, also dort, wo das Handling von größeren sich wiederholenden Mengen regelmäßig erfolgt“, so Geschäftsführer Claus-Dieter Brinkmann.
„Gut ausgebildete Fachkräfte können sich beim Einsatz von Robotern stärker auf anspruchsvollere Tätigkeiten konzentrieren, die nicht automatisierbar sind,“ schätzt Geschäftsführer Christian Mestemacher die technische Unterstützung bei bmu Brinkmann.
© Joachim Busch
Fachkräfte werden produktiver
Im Vergleich zu Industrierobotern geht der Einsatz von Cobots laut dem Unternehmen noch einen Schritt weiter, indem die Technik einzelne Handgriffe beziehungsweise Hilfestellungen auszuführen vermag. „Die Fachkraft wird bei der Ausführung der Tätigkeit unterstützt und dadurch produktiver,“ so der Geschäftsführer. Dies könne direkt am Arbeitsplatz erfolgen, da Cobots arbeitssicherheitstechnisch anders zu bewerten seien als Industrieroboter. Sie dürften „näher am Menschen“ arbeiten.
„Cobots ersetzen keine Menschen, sondern helfen Unternehmen, bestehendes Personal gezielt einzusetzen. So werden sie zu unverzichtbaren Helfern in dieser Arbeitskräftekrise“, meint Alexander Waschbuesch, Vice President Sales EMEA beim Unternehmen Universal Robots, deren Produkte auch bei bmu eingesetzt werden. „Sie können Produktivität und Qualität steigern und machen Unternehmen attraktiver für technikaffine Talente und jüngere Generationen. Außerdem helfen sie älteren Arbeitnehmern, länger im Job zu bleiben und fördern eine altersdiverse Belegschaft.“
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Redaktion Wirtschaftsspiegel