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Vom Bauschutt zum Baustoff

Das Familienunternehmen Büscher hat ein Verfahren entwickelt, um Recyclingbeton für den Hausbau zu nutzen. Eine Idee mit Zukunft. | Text: Melanie Rübartsch
In Heek im Münsterland steht seit etwa zwei Jahren ein Wohnhaus, das mit Betonfertigteilen gebaut wurde, die komplett aus recyceltem Material bestehen. Sämtliche tragenden und nicht tragenden Innenwandelemente bestehen aus einem Baustoff, dessen Bestandteile zu einem Großteil aus Bauschutt stammen – in ihrem ersten Leben also schon einmal ein Haus oder alte Pflastersteine waren. Das Gebäude ist das Ergebnis einer zunächst aus einem Problem geborenen Idee, aus Hartnäckigkeit und ernst genommener Verantwortung für die Zukunft. Aber der Reihe nach.
Die Unternehmensgruppe Büscher betreibt ein Betonwerk, das Fertigteile für verschiedene Bauwerke herstellt, sowie einen Containerdienst. Tag für Tag kommen auf dem Firmengelände in Heek zahlreiche Container von verschiedenen Baustellen an – randvoll beladen mit Abrissmaterial. Bis dato konnte das Unternehmen diesen Bauschutt ausschließlich zu Recyclingmaterial für den Wege- und Straßenbau aufbereiten. Eine andere Verwendung war nur in einem sehr geringem Umfang zulässig. Das Problem: „Die Lagerkapazitäten für den angelieferten Schutt sind gesetzlich limitiert. Sobald wir Überschuss auf dem Hof hatten, mussten wir diesen im Grunde zu Schleuderpreisen verkaufen“, sagt Wolfgang Büscher, Geschäftsführer des Containerdienstes. Für das Familienunternehmen wenig befriedigend.

Ökonomie mit Ökologie verbunden

So keimte allmählich der Gedanke, ob man das so zusagen frei Haus angelieferte Material mit den Kapazitäten und Techniken des Betonwerks auch zu einem hochwertigen Baustoff für Betonfertigteile wiederverarbeiten kann. Eine Idee, die nicht nur das ökonomische Problem der Büschers lösen, sondern auch eine Antwort auf ökologische Herausforderungen sein könnte: Für die Herstellung von Beton müssen nicht unbedingt neue Rohstoffe wie Kies und Sand abgebaggert werden, sondern es werden bereits verwendete Materialien wieder aufbereitet. Das war vor etwa zehn Jahren. „Als wir uns intensiver mit der Idee beschäftigten, haben wir festgestellt, dass es so etwas wie Recyclingbeton aus Bauschutt noch nicht gibt“, erinnert sich Hans-Jürgen Büscher, Geschäftsführer des Betonwerks. Bei ihrer Recherche stießen die Brüder zugleich buchstäblich auf Beton: Das funktioniert nicht, das ist nicht erlaubt, Recyclingbeton aus 100 Prozent rezykliertem Material kann niemals die für einen Bau notwendigen Eigenschaften haben – so die damals gängige Überzeugung der Experten. Die Unternehmer ließen sich nicht abschrecken, begannen gemeinsam mit ihren Mitarbeitenden selbst zu forschen und zu experimentieren.

Eigene Experimente

Der Bauschutt wurde zunächst so gebrochen und getrennt, dass zwei Korngruppen, so der Fachjargon, entstehen. Diese entsprechen von der Größe her Kies und Sand und können diese Rohstoffe daher ersetzen. Die Masse wurde zermahlen und in immer anderen Rezepturen mit Zement und Wasser neu vermischt. Die fertigen Bauelemente setzten Büschers in eigenen Teststrecken verschiedener Witterung und unterschiedlich hohem Druck aus. „Parallel haben wir ein Netzwerk aufgebaut, Kontakt zu innovationsfreudigen Betontechnologen und Universitäten gesucht und unsere Prototypen in externen Laboren auf Druckfestigkeit, Haltbarkeit, Sicherheit und Umweltverträglichkeit testen lassen“, berichtet Wolfgang Büscher.

Erfolg nach acht Jahren

Ganze acht Jahre haben die Brüder Zeit, Geld und Personalkapazitäten in die Entwicklung gesteckt. Schlussendlich mit Erfolg: Seit Juni 2021 haben die zu 80 Prozent aus Bauschutt bestehenden Fertigbauelemente „Büscher-Wand“ und seit Dezember 2023 der „Büscher-Block“ die „allgemeine Bauartgenehmigung“ des Deutschen Instituts für Bautechnik (DIBt) – so zusagen die Zulassungsstelle für Baumaterialien.
Seitdem arbeiten die Büschers daran, das Geschäft mit den recycelten Bauelementen peu à peu zu etablieren. Mit vielversprechenden ersten Ergebnissen: „Seit kurzem haben wir für ein zweites Wohnhaus die Baugenehmigung und für größere Immobilien wie eine Autohaushalle oder ein Verwaltungsgebäude Fertigwände geliefert.“ Für Bauherren hat der recycelte Stoff aus Sicht der Entwickler mehrere Vorteile: „Wie bei allen Fertigbauweisen verkürzt sich die Bauzeit aufgrund der Vorfertigung der Bauteile im Werk. Das erste Wohnhaus in Heek ist in drei Monaten entstanden. Zudem ist der Baustoff nachhaltig und preiswert.“ Die Büschers schätzen, dass ihre Wand 20 bis 25 Prozent günstiger ist als eine vergleichbare Stahlbetonwand.

Zurück für die Zukunft

Und die Nachhaltigkeit? Für die Wände des Wohnhauses in Heek – 180 Quadratmeter Grundfläche plus 120 Quadratmeter Penthousewohnung – konnten sieben Lkw-Ladungen Primärrohstoff eingespart werden, haben die Brüder berechnet. Im Vergleich zur Erstherstellung von Stahlbeton spart die recycelte Variante unterm Strich nach ersten Schätzungen des Unternehmens 23 Prozent CO₂ ein – insbesondere durch den Wegfall des energieaufwändigen Kiesabbaus und der wesentlich kürzeren Transportwege. 

Gewinner auf allen Seiten

Auch für das Unternehmen selbst ist der Recyclingbeton auf lange Sicht günstiger: „Den Großteil der Rohstoffe bekommen wir ja geliefert und über den Containerdienst sogar Geld dafür“, sagt Wolfang Büscher. Produktionskosten entstehen einerseits durch das Aufbereiten des Materials vor Ort sowie durch Laboranalysen. Diese sind erforderlich, um eine gleichbleibende Qualität des Endproduktes gewährleisten zu können. „Zudem müssen das Material, das wir recyceln wollen, natürlich immer auf Schadstoffe und Umweltverträglichkeit testen lassen.“ 
Bei dem Verkauf über das eigene Unternehmen soll es nicht bleiben. „Wir sind parallel auf der Suche nach Lizenznehmern. Wir wollen möglichst viele Betonfertigteilwerke und Aufbereiter gewinnen, die mit unserem von der DIBt genehmigten Verfahren ebenfalls Recyclingbeton und Recycling-Körnung herstellen”, kündigt Wolfgang Büscher an.
Für die Brüder ist es das Material der Zukunft. „Wir können die Lebensdauer von einmal abgebautem Kies im besten Fall um mehrere 100 Jahre verlängern.“ Bis sich das Geschäft etabliert hat und sich die bisher aufgewendeten Forschungs- und Markteinführungskosten ihrer innovativen Idee amortisieren, dürften zwar noch mehrere Jahre vergehen. „Es ging uns am Ende jedoch in erster Linie darum, wirklich etwas zu verändern und unseren eigenen CO2-Fußabdruck zu reduzieren“, resümiert Wolfgang Büscher. Daran werden auch die Kinder der beiden Geschäftsführer weiterarbeiten, die bereits in den Startlöchern stehen.