6 min
Lesezeit
Operation an der Lebensader
Strom, Wasserstoff, Fernwärme – überall müssen Leitungsnetze ausgebaut werden. Mittendrin sind IHK-geprüfte Netzmeister. Sie helfen mit, die Energiewende zu stemmen, ohne sich zu verheddern. | Text: Tobias Hertel
Die Bremer Straße in Münster ist eine Großbaustelle. Die östliche Hälfte ist aufgebuddelt, Gas- und Stromleitungen werden erneuert, außerdem ist eine etwa einen Meter dicke Transportleitung für Fernwärme zu sehen. Netzmeister Frederic Lehmann steht am Rand der Grube und spricht Einzelheiten der anstehenden Arbeiten mit dem Mitarbeiter eines Tiefbau-Unternehmens ab.
Lebensadern der Versorgungssicherheit
Der große Durchmesser der Fernwärmeleitung ergibt sich durch die Nähe zum Kraftwerk der Stadtwerke Münster am Hafen. Das Rohr unter der Bremer Straße wird dadurch zu einer der wichtigsten Transportleitungen in der Stadt. „Sie ist wie ein Baumstamm, von dem Äste als Versorgungsleitung abzweigen und dann die einzelnen Zweige zum Kunden führen“, beschreibt es Lehmann. Oder auf den Punkt gebracht: „Eine Transportleitung ist eine Lebensader für die Versorgungssicherheit.“ Jede Operation an dieser Ader ist entsprechend heikel.
Baustellenkoordination ist eine Aufgabe von Netzmeistern wie Frederic Lehmann von den Stadtnetzen Münster.
© Hertel/IHK Nord Westfalen
Techniker und Kommunikator
Die Pläne der Stadtwerke für Ausbauten und Erneuerungen landen unter anderem auf den Schreibtischen von Netzmeistern wie Lehmann. „Wir schauen uns die Trassen genau an und beurteilen die Machbarkeit“, erklärt er seinen Part. Gefordert ist er nicht nur als Techniker, sondern zudem als Kommunikator. Er spricht mit Anwohnern, Grünflächenamt oder Ordnungsamt die Maßnahme ab. „Gerade bei Vollsperrungen muten wir den Anliegern einiges zu“, weiß er. Auch für Unternehmen, die für Lieferanten und Kunden erreichbar bleiben müssen, gilt es, Lösungen zu finden. „Da muss man kreativ sein, gerade in der engen Innenstadt.“
Damit zum Beispiel eine mehrspurige Straße zumindest einspurig befahrbar bleibt, wird statt eines sechs oder sogar zwölf Meter langen Versorgungsrohres zunächst ein viel kürzeres, dafür dickeres Schutzrohr verlegt. Vorteil: Es muss nur nacheinander die jeweils halbe Straße aufgerissen werden, über die andere Hälfte rollt weiterhin der Verkehr. Erst wenn beide Schutzrohre im Boden liegen, werden durch sie die längeren Versorgungsrohre geführt.
Schwachstellen vermeiden
Dass nicht direkt kurze Gas- und Wasserrohre in die Erde gebracht werden, hat einen guten Grund: Sie müssten mit Muffen verbunden werden, „und jede Muffe ist eine mögliche Schwachstelle“, erläutert der Fachmann. „Wir wollen aber maximale Sicherheit für unsere Lebensadern“, unterstreicht Lehmann. Sein Job ist erst dann erledigt, wenn die Hausanschlüsse verlegt sind und die neue Leitung betriebsbereit übergeben wird.
985 Kilometer umfasst das Netz der Gasleitungen, 1.134 Kilometer Wasserrohre schlummern in Münsters Boden. Ohne leistungsfähige Netze keine Energiewende. „Der Ausbau des Fernwärmenetzes bringt eine Menge Arbeit“, blickt Lehmann voraus. Dabei verfügt Münster mit einem gut ausgebauten, rund 200 Kilometer langen Netz für Fernwärme bereits über „einen richtigen Schatz“, erklärt Lisa Schmees, Pressesprecherin der Stadtwerke.
Die Wärme soll künftig weniger ausschließlich vom Kraftwerk am Hafen kommen, vielmehr soll das Netz dezentral mit erneuerbaren Energien gespeist werden. Der Dortmund-Ems-Kanal kann dabei genauso zur Wärmequelle werden wie die Hauptkläranlage in Coerde – in einer Vorstudie wird geprüft, wie eine Wärmepumpe hier Abwasser nutzen kann.
Herten setzt auf Fernwärme
Fernwärme ist auch ein Thema bei den Hertener Stadtwerken. 100 Kilometer misst das Leitungsnetz, ein Drittel des Wärmeverbrauchs der Hertener Bürger wird damit gedeckt. „Herten war in den 60er-Jahren Pionier bei der Fernwärme“, erklärt Marco Meyer, Planungsleiter Wärmenetz bei den Stadtwerken. Der Ausbau wurde und wird dadurch erleichtert, dass die Stadt von Leitungen „umzingelt“ ist, wie er sagt. Iqony und Uniper liefern einen großen Teil der Fernwärme, die Stadtwerke selbst produzieren rund fünf Prozent. Zwölf Prozent der Fernwärme stammen aus erneuerbaren Energien, bis 2030 müssen es 30 Prozent sein. 2045 wird dann bei der Gasversorgung das endgültige Aus für fossile Energie besiegelt.
Die Netze dafür fit zu machen, ist eine Aufgabe für die kommenden Jahrzehnte. Klar, dass in der Wasserstoff-Region Emscher-Lippe auch dieser Energieträger eine wichtige Rolle spielen wird. Ein Teil der mehr als 180 Kilometer langen Gasleitungen könnte bei Bedarf für den Transport genutzt werden. Überlegungen, in die auch Netzmeister Matthias Giese eingebunden wird. Bei einem ersten Kickoff-Meeting zum Transformationsplan der Fernwärme war er schon mit dabei, hat erste Einblicke gewonnen. „Der Umbau der Wärmeversorgung wird eine Mammutaufgabe – für uns in Herten, aber auch deutschlandweit“, so sein Eindruck.
IHK bildet Netzmeister fort
Giese hat gemeinsam mit Frederic Lehmann aus Münster zweieinhalb Jahre den berufsbegleitenden IHK-Vorbereitungskurs für Netzmeister besucht und die Prüfung ebenfalls erfolgreich abgeschlossen. Ab Januar will er mit dem „Netzmeister Fernwärme“ den nächsten staatlich anerkannten Abschluss draufsatteln, dann in einem Vollzeit-Seminar über neuneinhalb Wochen. Allmählich wird der gelernte Monteur, der seit sechs Jahren bei den Hertener Stadtwerken arbeitet, schon jetzt in seine neuen Aufgaben eingeführt.
Was auf ihn zukommt, davon hat er klare Vorstellungen. Er wird Baustellen vorbereiten, dazu Aufbruchgenehmigungen bei der Stadt beantragen, sich vor Ort mit dem Ordnungsamt besprechen, für fließenden Verkehr trotz Baustellen sorgen oder sich auch um die Sicherheit kümmern.
Damit die Kapazitäten der Fernwärmeleitungen und die Leistungen der klimaneutralen Anlagen zur Wärmeerzeugung richtig berechnet und ausgelegt werden können, brauchen die Hertener Stadtwerke vor allem eines: Daten. Wie viele Einwohner zählt Herten heute und in Zukunft, wie viele wollen umstellen auf Fernwärme, wie energieeffizient sind ihre Häuser, wo sind Sanierungen geplant? Informationen, die auch die Netzmeister sammeln. „Ich bin zwar gerne als Monteur im Rohrgraben“, sagt Giese. Dass er demnächst mehr im Büro arbeitet, stört ihn aber nicht, im Gegenteil. Dafür übernimmt er mehr Verantwortung. Genau dies motivierte ihn dazu, sich weiterzubilden.
Smarte Stromnetze
Lehmann und Giese sind als Netzmeister Experten für Gas und Wasser. Andere Netzmeister sowohl in Münster als auch in Herten kümmern sich um den Ausbau des Stromnetzes. Das misst in Münster über 4.700 Frei- und Kabelleitungen, in Herten sind es rund 700 Kilometer. Private Photovoltaikanlagen, die Strom ins Netz einspeisen, und zusätzliche Verbraucher wie Wärmepumpen und E-Autos sorgen für Handlungsbedarf. „Wir werden die Kapazität der Stromnetze in den kommenden Jahren in etwa verdoppeln müssen“, schätzt Lisa Schmees für Münster.
Die Stadtwerke Münster setzen ebenso wie Herten auf digitale Lösungen. In der Stadt in der Emscher-Lippe-Region begannen schon 2013 die Vorbereitungen für ein intelligentes Stromnetz: „In einem Smart Grid können Stromkreislauf, Erzeuger und Verteilnetze laufend digital überwacht werden“, erklärt Meyer.
Bestimmte Verbrauchseinrichtungen, beispielsweise Wärmepumpen, Wallboxen und Batteriespeicher, können gegebenenfalls sogar gesteuert werden, was dem Netz insgesamt nutzt. Für die Ortsnetzstationen, in denen die Spannung auf eine haushaltsübliche Größe reduziert wird, sei das konventionelle Stromnetz keine Herausforderung gewesen. „Aber nun benötigen die Stationen eine messtechnische Erfassung mit softwaretechnischer Anbindung, um neue Lastspitzen zu erkennen, vorherzusagen und managen zu können.“
Lisa Schmees empfiehlt deshalb gerade E-Autofahrern: Wer eine Wallbox anschließt, solle dies rasch beim Netzbetreiber anmelden. Der könne sich dann besser auf den großen Verbraucher einstellen. Lastspitzen könne es trotzdem immer geben und manches Elektroauto werde dann vielleicht langsamer vollgeladen. „Aber niemand mit Wärmepumpe wird frieren“, beruhigt sie. Denn die Versorgungssicherheit soll immer gewährleistet sein – auch dank der Arbeit der Netzmeister.
Kontakt
Redaktion Wirtschaftsspiegel