Unternehmensnachfolge

Von unter Tage in die Chefetage

Für jeden Unternehmer kommt irgendwann die Frage, wer denn wohl sein Unternehmen weiterführen könnte. Oder der potenzielle Nachfolger stellt die Frage. | Text: Ingrid Haarbeck
Axel Wirth wurde kalt erwischt. Dabei war er schon über 80, als sein langjähriger Geschäftspartner Marco Schlarpp ihm vorschlug, sein Nachfolger im Unternehmen, der Axel Wirth Gruppe, zu werden. „Der musste das erst mal sacken lassen“, erinnert sich der Dorstener an das Gespräch. Nach zahlreichen gemeinsamen Essen war dann auch Axel Wirth überzeugt.
Das Unternehmen, das Marco Schlarpp nach vierjähriger Vorbereitung übernommen hat, gibt es jetzt nicht mehr. Es hat einen neuen Namen und eine neue rechtliche Konstruktion. Die Themen, die ihn umtreiben, wie die Digitalisierung und die Energiewende, waren für den Seniorchef noch keine. Das klingt wie die totale Disruption – für Mitarbeiter, Senior und Kunden. Und doch hat Axel Wirth ein Büro auf dem Firmengelände und begrüßt täglich seine ehemaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Zwölf Jahre Weiterbildung

Für Schlarpp passt das alles zusammen. Denn unternehmerischer Ehrgeiz und Weitsicht auf der einen Seite und freundschaftlicher Umgang zwischen Chef und Mitarbeiter auf der anderen Seite sind für den Mann aus dem Ruhrgebiet keine Gegensätze. In seiner Familie arbeiteten alle im oder mit dem Bergbau, das prägt. Auch Schlarpp hat noch untertage gearbeitet, wurde aber vom Vater schon früh gewarnt: „ Du musst dich entscheiden, ob du mit dem Kopf oder mit Körperkraft Geld verdienst.“
Seit dem 1. Mai 2024 ist Schlarpp Geschäftsführer der MSO Oberflächentechnik Gelsenkirchen GmbH und der MS Oberflächentechnik Gescher GmbH. Er trägt jetzt die Verantwortung für 75 Mitarbeiter, einen Millionenumsatz und natürlich die Kredite. Nach Jahrzehnten der Angestelltentätigkeit und zwölf Jahren der Weiterbildung, darin ein nebenberufliches Maschinenbaustudium und Lehrgänge unter anderem zu den Themen Materialwirtschaft, Schweißtechnik, Absatzwirtschaft und Geschäftsführung. „Das hat sich alles bezahlt gemacht“, findet Schlarpp, „denn sonst wäre ich nicht da, wo ich jetzt bin.“ Dabei waren früher für ihn Unternehmer „die Anzugträger“.
Bei der Firma, bei der Marco Schlarpp zwei Jahrzehnte gearbeitet hatte, war die Grenze der Entwicklungsmöglichkeiten erreicht. Hier kam auch der Kontakt zu Axel Wirth zustande. Umfangreiches fachliches und kaufmännisches Wissen hatte Schlarpp. Bei der Finanzierung standen ihm Michael Meese und Andreas Mümken von der IHK zur Seite und unterstützten seinen Antrag an die Bürgschaftsbank NRW. „Ich hatte Zahlen und Fakten für die 40 Seiten Businessplan parat“, erinnert er sich. Was ihn aber überraschte: „Die Verantwortlichen bei der Bank wollten mich als Mensch kennenlernen, meinen Werdegang, meine Frau, meine Familie.“

Topthema Energie

Ein Ansinnen, dass Marco Schlarpp verstehen kann, denn das Unternehmerdasein greife nun einmal auch stark in das Privatleben ein. Das hatte er selbst erfahren als Sohn eines Ehepaares, das lange Zeit gemeinsam eine Kette von Tante-Emma-Läden betrieb. „Und heute komme ich oft zu spät nach Hause, um meinen zweieinhalbjährigen Sohn noch vor dem Schlafengehen zu sehen.“ Kein Wunder, denn schließlich möchte er die Firma zunächst nach seinen Vorstellungen für die Zukunft aufstellen und gestalten. Drei Themen treibt er besonders voran: die Digitalisierung, den Umstieg auf nachhaltiges Wirtschaften und die Erweiterung des Portfolios.
Schlarpp drängt auf die Zertifizierung des Unternehmens – Nachhaltigkeitsaudits, Energieaudits, viele davon wichtig, um überhaupt an Ausschreibungen teilnehmen zu können. Dazu hat er schon das Angebot des klassischen Oberflächenbeschichters erweitert: „Wir schleifen die Werkstücke für die Kunden, bohren die Löcher rein, lassen das hier beim Nachbarunternehmen ZinQ verzinken, stellen dem Kunden Platz in einem unserer Lager zur Verfügung und legen ihm noch – quasi wie bei IKEA – das Tütchen mit dem passenden Montagematerial dazu.“ Für diese Lagerhaltung stehen vier Zelte auf dem Betriebsgelände zur Verfügung, das fünfte ist schon in Arbeit.

Die Aufträge sind bei MSO zwar seit 2022 zurückgegangen, aber das bereitet Schlarpp nicht so viele Kopfschmerzen: „Die Pandemie war für uns eine Goldgrube, denn in der Zeit haben viele Menschen ihre Gartenzäune neu gebaut oder noch eine neue Hütte aufgestellt.“ Dieser Sondereffekt ist jetzt vorbei. Aber das Thema Energiesicherheit steht bei ihm ganz oben auf der Agenda.
Wir gehören zu den fünf größten Erdgaskunden der ELE. Wir brauchen einen Plan, wenn wirklich mal der Hahn zugedreht wird.

Marco Schlarp, Geschäftsführer der MSO Oberflächentechnik Gelsenkirchen GmbH und MS Oberflächentechnik Gescher GmbH

Das Betriebsgelände in Gelsenkirchen liegt nur 700 Meter vom Klimahafen entfernt. Sollte dort in naher Zukunft Fernwärme mit Wasserstoff produziert werden, könnte das für ihn eine Lösung sein: „ Die Fernwärmeleitung läuft durch unser Gelände, da bräuchten wir nur einen Anschluss zu legen.“ Die Wirtschaftlichkeit einer solchen Lösung sieht Schlarpp kritisch: „Das wird – Stand jetzt – wesentlich teurer als die Energie, die ich heute verbrauche. Wenn ich diese Preiserhöhung an die Kunden weitergebe, werden wir Aufträge verlieren.“ Ohnehin sei „bei Wasserstoff irgendwie der Fuß vom Gas“. Da fehlt es dem Unternehmer an „Führung vonseiten der Politik“ für die Planungssicherheit der Unternehmen.

Nachfolge vorbereiten - aber Belegschaft nicht verwirren

Hat Schlarpp noch Tipps für andere Nachfolger? „Im Nachhinein wäre es besser gewesen, wenn ich erst hier in den Betrieb gekommen wäre, als alles in trockenen Tüchern war“, merkt Schlarpp selbstkritisch an. „Ich habe schon seit Anfang 2024 im Betrieb gesessen, aber diese Übergangszeit, in der Axel hier noch Chef und ich auch schon da war, das hat die Mitarbeiter verunsichert.“ Denn eigentlich sei der Betriebsübergang für den 1. März geplant gewesen, geklappt hat es dann erst zum 1. Mai. Die Zusage für die Bürgschaft lag schon seit November vor, aber auf die Zusage der Sparkasse musste noch gewartet werden.
Der Jungunternehmer entschied sich bei der Nachfolge für den sogenannten Asset-Deal: Das Unternehmen von Axel Wirth ging also in einem Betriebsübergang in dem neu von Marco Schlarpp gegründeten auf. Diese Möglichkeit werde in den gängigen Nachfolgeseminaren durchaus empfohlen. Allerdings müssen dann auch alle Verträge und Aufträge auf die neue Gesellschaft umgeschrieben werden – und das neue Unternehmen hat noch kein Scoring bei den Banken, was für die Kreditaufnahme wichtig ist.

Seine eigene Nachfolge wird Schlarpp vermutlich auch dereinst anders regeln als sein Vorgänger, obwohl beide die unverkennbare Freude an den Gestaltungsmöglichkeiten des Unternehmers eint. Aber die MSO ist bereits für den Notfall vorbereitet: „Das liegt hier alles schon in der Schublade.“ Denn arbeiten, bis er 85 ist, so wie Axel Wirth? – Vermutlich eher nicht. Ob es mit der Familiennachfolge etwas wird, muss aber offenbleiben. Schlarpps Sohn wollte sich auf Nachfrage noch nicht festlegen.