Bürokratie

Eine Flut von Vorschriften

Das Beispiel der WEICON GmbH zeigt, welche Vorschriften Betrieb und Wachstum von Unternehmen am Wirtschaftsstandort Deutschland erschweren. Text: Dominik Dopheide
Zwei Vollzeitstellen muss der geschäftsführende Gesellschafter Ralph Weidling zeitlich einkalkulieren, damit im Tagesgeschäft die Flut an Vorschriften bewältigt werden kann. Ein Top-Thema ist das Baurecht. „Um eine Baugenehmigung zu erhalten, müssen Unmengen an Antragsformularen, Gutachten, Plänen und Zeichnungen erstellt und in vielfacher Papierausführung verteilt werden“, berichtet Betriebsleiter Henning Voß, der mit mancher Auflage hadert. Für den Rückbau einer LKW-Rampe etwa sei, gemäß § 13 Satz 2 der Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen, erneut eine mehrere tausend Euro teure Kampfmittelüberprüfung erforderlich. „Diese Pflicht zur Überprüfung des Grundstückes auf Kampfmittel bestand auch schon 2006, beim Bau der Laderampen, und es ist inzwischen keine Bombe abgeworfen worden“, versichert Voß.
Generell verliere ein Bauprojekt auf dem Amtsweg zu viel Zeit, betont Ralph Weidling. „Für unsere geplante Lagerhalle mussten wir den Antrag in Papierform und in siebenfacher Ausfertigung vorlegen – jedes Exemplar zehnfach unterschrieben“, schildert der Unternehmer, der andere Geschäfte mit digitaler Signatur und Mausklick besiegelt, die nach seiner Auffassung antiquierten Anforderungen. Dann zählt er die Behörden und interessierten Parteien auf, die jeweils ein Aktenpaket erhalten:
  • 1. Bauordnungsamt, 2. Bezirksregierung Münster, 3. Tiefbauamt, 4. Amt für Grünflächen, Umwelt und Nachhaltigkeit, 5. der Arbeitsschutz, 6. der Bauherr sowie 7. Architekturbüro und Planungsgesellschaft.

Baurecht als Barriere

Eigentlich hatte WEICON die neue Halle anders geplant. Es sollten hier auch Gefahrstoffe gelagert werden: brennbare Flüssigkeiten sowie Spraydosen. Die Versicherung hat nicht mitgespielt. Sie fordert eine Sprinkleranlage in solcher Größe, dass sie der Markt nicht hergibt, wie Voß berichtet. „An dieser Vorschrift ist der Gesetzgeber mittelbar beteiligt, da sich die Versicherung an dem Rahmen orientiert, den er formuliert“, erklärt Peter Houben, bei WEICON Head of Legal. Was ihn wundert: Dieselben Spraydosen und Flüssigkeiten, Karton an Karton, auf einem Lkw oder Güterwagon zu transportieren, sei juristisch kein Problem.
Vielerorts innerhalb und außerhalb Europas hätte WEICON das Projekt realisieren können, weiß Ralph Weidling. In Deutschland aber werde räumliche Expansion und somit wirtschaftliches Wachstum mit praxisfernen baurechtlichen Vorschriften behindert – und manchmal auch mit der Anwendung der Gesetze. So habe das Bauamt im Mai 2023 Umbau und Sanierung des WEICON-Hauptgebäudes zur Abnahme unter die Lupe genommen und keine Mängel festgestellt. Der Bescheid sei aber erst im Oktober eingegangen. „Die lange Bearbeitungszeit geht zu unseren Lasten, denn, statt des dringend benötigten Platzes, hatten wir ein Räume, die nicht genutzt werden durften, aber jeden Monat Kosten verursachten“, sagt Weidling und ergänzt: „Nach vielen Berichten scheinen drei bis sechs Monate Wartezeit leider Standard zu sein.“ Sein Lösungsvorschlag: ein zeitnaher vorläufiger Bescheid.
Auch vor dem Haus liegen die Probleme sozusagen auf der Straße. Das Unternehmen hat dort seinen Hauptsitz nach Aspekten der Arbeitsplatzqualität zu einem Campus ausgebaut. „Alles ist fertig und wunderschön, aber es gibt keinen Bürgersteig“, sagt Weidling und beschreibt: „Wir haben im November der Stadt angeboten, dass wir ihn auf unsere Kosten gestalten, aber seitdem nichts mehr gehört.“ Dem Unternehmer ist bewusst, dass er auf städtischem Areal nicht schalten und walten darf. Doch wundert es ihn, dass es, zu Lasten der Außenpräsentation der Firma, bis jetzt keine Lösung gibt, die Sorgfaltspflicht auf WEICON zu übertragen.
Gefordert: Bürokratieabbau
Ausufernde Vorschriften, zunehmenden Berichtspflichten, zähe Genehmigungsverfahren: Durch unnötige Bürokratie entstehenden den Unternehmen am Standort Deutschland immer mehr Belastungen. Das mindert die Wettbewerbsfähigkeit. Die IHK fordert die Bundesregierung vor diesem Hintergrund auf, neue Belastungsgesetze zu stoppen und überflüssige Regulierungen zu streichen. Zudem schlägt sie vor, als „Beschleunigungsmanager“ ein Projektmanagement zu etablieren, das die Probleme erfasst, analysiert und löst. Ein Hoffnungsschimmer, aber auch nicht der erhoffte „große Wurf“ ist das Vierte Bürokratieentlastungsgesetz (BEG IV), für das ein Referentenentwurf vorliegt und zu dem die IHK-Organisation Stellung genommen hat. Demnach sollen unter anderem Informationspflichten vereinfacht werden und Schrifterfordernisse wegfallen.
www.dihk.de/de/aktuelles-und-presse/tdw/durchbruch-beim-buerokratieabbau--103826

Hürdenlauf Fachkräftegewinnung

WEICON braucht Fachkräfte. Es könnte alles so einfach sein, wenn der Zugang aus Nicht-EU-Ländern zum deutschen Arbeitsmarkt weiter erleichtert würde, sagt Ann-Katrin Weidling, die in vierter Generation der Familie die Geschäfte des Unternehmens führt – gemeinsam mit ihrem Vater. So habe WEICON einen Werkstudenten mit türkischem Pass nach Ablauf seines Studiums nicht zu den Konditionen weiterbeschäftigen dürfen, auf die sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber verständigt hatten. „Laut Ausländerbehörde sollte er gemäß seiner Vorbildung bezahlt werden, und nicht entsprechend seiner aktuellen Tätigkeit im Vertrieb“, berichtet die Unternehmerin. Auch, um fair gegenüber jenen zu bleiben, die den gleichen Job machen, ist sie der Aufforderung nicht gefolgt
„Ich habe der Behörde klar gesagt, dass der Mitarbeiter seinen Job verliert, weil das von ihr geforderte Gehalt unseren Rahmen sprengt“, erzählt Rechtsanwalt Houben. Der Antrag auf Aufenthaltsgenehmigung sei abschlägig beschieden worden und der vormalige Mitarbeiter wieder in der Türkei. Houben kritisiert nicht den Grundgedanken des Gesetzes, Lohndumping zu verhindern. „Es ist mir aber unverständlich, dass hier die Regelungen ohne Rücksicht auf den Einzelfall angewendet werden, denn es wäre nach meiner Ansicht, gemäß § 39 des Ausländergesetzes, möglich gewesen, unter Ermessensausübung die Arbeitserlaubnis zu erteilen“, erklärt Houben. Ein Arbeitsverhältnis sei hier aktiv verhindert worden.
Gerne würde Ann-Katrin Weidling einen Werkstudenten aus Kolumbien langfristig im Unternehmen halten, der an der FH Münster den deutsch-lateinamerikanischen Studiengang Betriebswirtschaft (CALA) absolviert hat. „Leider bekommt er nur, trotz deutschem Abschluss, eine Aufenthaltserlaubnis für zunächst ein Jahr“, sagt die Betriebswirtin kopfschüttelnd. Um den Verbleib von zwei Mitarbeitern aus Guinea zu sichern, hatte sie eigens ein Support-Team für den Kontakt mit den beteiligten Behörden in Deutschland und Afrika zusammengestellt. „Die beiden Männer aus Warendorf und Münster mussten in ihr Herkunftsland fliegen, um sich dort den geforderten Geburtsnachweis ausstellen zu lassen“, erläutert der Justitiar. Das Problem: Bei der Rückreise wären sie ohne ein bestimmtes Zusatz-Dokument an der deutschen Grenze abgewiesen worden. Die Ausländerbehörde in Warendorf, berichtet Houben, habe im Sinne der Mitarbeiter und des Unternehmens die schnellere von zwei Ausstellungsvarianten angeboten. „Das Amt in Münster dagegen bestand auf Ausfertigung durch die Bundesdruckerei“, bedauert der Rechtsanwalt. Beinahe habe WEICON dieser Zeitverlust eine Fachkraft gekostet, sagt Ann-Katrin Weidling. Die bürokratischen Prozesse rund um Aufenthaltsgenehmigung und Arbeitserlaubnis, betont sie, seien weit entfernt von Arbeitswelt und unternehmerischer Praxis.

Vernunft vermisst

Mit Hinblick auf das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz wünscht sich das WEICON-Management ein vereinfachtes, standardisiertes Dokumentationsverfahren. „Wir sehen uns einer Vielzahl von Anfragen großer Unternehmen ausgesetzt und müssen individuell antworten, was einen hohen Aufwand nach sich zieht“, erklärt Henning Voß. Auch mit dem Hinweisgeberschutzgesetz, das die Aufdeckung von rechtswidrigen Vorgängen in Betrieben erleichtern soll, sei ein erheblicher bürokratischer Aufwand konstruiert worden, kritisiert der Betriebsleiter. Er sieht die Einrichtung einer internen Beschwerdestelle nur dort erforderlich, wo es unmöglich ist, sich im Vertrauen an Kollegen oder Vorgesetzte zu wenden. „Ich kann eine solche Kultur bei uns nicht feststellen“, sagt Voß. Zudem gebe es externe Meldestellen und somit eine doppelte Zuständigkeit, ergänzt Houben.
Doch sei ohnehin in manchem bürokratischen Vorgang Vernunft nur schwer zu erkennen, findet Voß. Er bringt noch einmal den Transport von Gefahrgütern ins Spiel. „Wir wollten Waren in geschlossenen Hartkunststoffpaletten versenden, weil das stoßsicherer und nachhaltiger ist, aber es werden nur geprüfte Kartons akzeptiert“, berichtet er. „Gefühlte 100 Jahre“ werden nach seiner Einschätzung vergehen, bis der WEICON-Vorschlag Eingang in das Regelwerk findet. Ralph Weidling stellt abschließend klar, dass er Bürokratie nicht generell kritisieren will. Er attestiert Deutschland schlichtweg ein Übermaß an Vorschriften, die Kerngeschäft und Unternehmensentwicklung belasten. „So wird es mit dem Standort, der ja beim Wachstum anderen Ländern der Eurozone wie Spanien, Italien und Frankreich deutlich hinterherhinkt, noch weiter nach unten gehen“, warnt der Geschäftsführer und verweist auf die OECD-Prognose vom Februar.