Standort & Politik

Wasserstoff-Hochlauf nicht ausbremsen

Beim Wasserstoff ist Nord-Westfalen in der Pole Position. Damit die Unternehmen gut aus den Startlöchern kommen, brauchen sie aber eine verlässliche Energieversorgung und bezahlbare Preise. | Text: Tobias Hertel
Gute Nachrichten gab es jetzt bei einer Exkursion der H2-Working-Group zum RWE-Energiestandort in Lingen. In dieser Gruppe unter der Leitung von Regierungspräsident Andreas Bothe und Dr. Fritz Jaeckel, Hauptgeschäftsführer der IHK Nord Westfalen, treiben Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Verwaltung den Wasserstoff-Hochlauf voran.

Kernnetz-Genehmigung steht bevor

Die Mitglieder der H2-Working-Group werden gern gehört haben, was Jörn Mehlitz von der Bundesnetzagentur ihnen bei der Exkursion berichtete: Noch im Oktober will die Agentur das H2-Kernnetz genehmigen. Dieses erstreckt sich über 9.700 Kilometer, davon rund 3.820 Kilometer Neubauleitungen – die erwarteten Investitionskosten betragen 19,7 Milliarden Euro. „Das ist ein riesengroßer Entwicklungsschritt für die Wasserstoff-Infrastruktur“, betonte Jaeckel.
Ein Großteil der Leitungen verläuft durch den Nordwesten Deutschlands, bis in die Industrieregionen an Rhein und Ruhr. Hier ist die voraussichtliche Nachfrage groß, das Pipeline-Netz schon jetzt dicht und eine schnelle Umstellung auf Wasserstoff möglich. „Deshalb entscheidet sich bei uns die Energiezukunfts Deutschlands“, zeigte sich der IHK-Hauptgeschäftsführer überzeugt.

Anschlussstücke jetzt schaffen

Bereits 2025 soll Wasserstoff durch erste Leitungen des GET-H2-Netzes fließen, das von Lingen bis ins Ruhrgebiet führen wird. Tim Husmann von RWE, Netzwerkmanager der H2-Region Emsland, empfahl, jetzt schon Anschlussstücke für die Verteilnetze zu schaffen. „Zum Beispiel dort, wo Cluster mit vielen möglichen Nutzern sind“, erklärte er. Dazu wünschte er sich Anreize für die Betreiber der Kernnetze. „Die Anschlussstücke könnten beispielsweise in die Finanzierung der Verteilnetze mit hineingenommen werden“, schlug der Netzwerkmanager vor.
Im Kreis Coesfeld wollen Unternehmen den Anschluss selbst finanzieren. „Keine optimale Variante“, räumte Husmann ein. Aber solche Finanzierungen, als „Public Private Partnership“-Projekte gemeinsam mit der öffentlichen Hand, sah er als „eine mögliche Lösung“. Die Investitionsbereitschaft in der Industrie sei nach seiner Ansicht vorhanden, „es fehlen aber die Business Cases“. Und auch in der Frage der Wasserstoff-Mobilität sei das Interesse ebenso groß wie die Verunsicherung. „Die Angst vor Fehlentscheidungen verhindert Investitionen“, stellte er fest.

Regulierung verunsichert Unternehmen

Die noch hohen Kosten, die strenge Regulierung und die Frage der Versorgungssicherheit verunsichern viele Unternehmen. Stefan Rücker, bei RWE Experte für die Wasserstoff-Regulierung, blickte nach Brüssel. Beispiel RED-III-Industriequote: Der Anteil von „erneuerbaren Brennstoffen nicht biogenen Ursprungs“, wozu grüner Wasserstoff gehört, soll bis 2030 bei 42 Prozent und bis 2035 bei 60 Prozent liegen. „Für uns als Energieerzeuger ist das ein wichtiger Schritt“, meinte Rücker zwar. Doch die Energieproduzenten brauchen auch Abnehmer: „Wer soll den grünen Wasserstoff bezahlen?“ Er formulierte eine „harte Wahrheit“, wie er sagte: „Wenn die Industrie abwandert, fragt niemand unseren Wasserstoff nach.“
„Die Industrie bedient sich des Wasserstoffs, wenn er zu wettbewerbsfähigen Preisen verfügbar ist“, erklärte Jaeckel. Aktuell sei er zu teuer. Mitverantwortlich aus Sicht von Rücker ist die EU. Als Beispiel nannte er einen sogenannten „delegierten Rechtsakt“. Demnach soll nur Strom aus noch zu bauenden und nicht-geförderten Windenergie- und Solaranlagen für die Produktion von grünem Wasserstoff zugelassen werden. Nach Einschätzung des RWE-Experten verzögert dies allerdings die Produktion großer Mengen grünen Wasserstoffs.

Mehr Anreize für Wasserstoff schaffen

Eine Ungleichbehandlung sahen Exkursionsteilnehmer aus der Wirtschaft in einer weiteren Vorgabe: Elektrolyseure sollen nur dann Wasserstoff produzieren, wenn die neu gebauten Windparks und Solaranlagen nahezu zeitgleich auch Strom erzeugen. Ein Stillstand bei längerer Flaute verteure den Wasserstoff aber unnötig und verhindere eine kontinuierliche Lieferung an die Industrie. „Wir können nicht die Industrie verpflichten, Wasserstoff zu nutzen, wenn wir sie nicht zuverlässig versorgen können“, fasste Rücker zusammen. Energieerzeuger benötigten langfristige Abnahmeverträge. „Doch welche Anreize haben Unternehmen, sich bei den vielen offenen regulatorischen Fragen jetzt festzulegen?“
Was es deshalb brauche: Weniger strikte Regeln, die den Markthochlauf ausbremsten, mehr Fördermaßnahmen und den weiteren Ausbau der Infrastruktur. Das Kernnetz löse hier eines der Probleme. „Der Wasserstoff-Hype ist zwar vorbei“, so Rücker. Am Ziel einer Elektrolyseur-Kapazität von zwei Gigawatt bis 2030 halte RWE aber fest.

RWE-Pilotanlage in Betrieb

Wie das Unternehmen hierbei vorgeht, zeigte es bei einem Rundgang über das Werksgelände. Erst im Juli ist die H2-Pilotanlage mit einer Kapazität von 14 Megawatt in Betrieb gegangen. Hier sammelt RWE erste Betriebserfahrung für spätere Großanlagen. Zu denen gehört der „GET H2 Nukleus“ mit 300 Megawatt Leistung, der sukzessive in den Jahren 2025 bis 2027 in Betrieb gehen soll. Außerdem betreibt die Westfalen AG ab kommendem Jahr den „H2 Filling Hub Lingen“, bestehend aus einer H2-Trailer-Abfüllung und einer H2-Tankstelle.
Wie die Region Nord-Westfalen selbst den Wasserstoff-Hochlauf vorantreiben will, dazu hatten Regierungspräsident Bothe und IHK-Hauptgeschäftsführer Jaeckel im Vorfeld der Exkursion ein Positionspapier der H2-Working-Group unterzeichnet. Das Papier geht gezielt auch auf die technologische und infrastrukturelle Verbindung zu den Niederlanden ein – Vertreter aus dem Nachbarland nahmen ebenfalls an der Exkursion teil.
Zu den Forderungen gehört insbesondere der Ausbau der Leitungsinfrastruktur und der Aufbau regionaler Verteilnetze, damit Wasserstoff für den Mittelstand in der Region nutzbar wird. Denn, davon ist die Working-Group überzeugt: Wasserstoff spielt eine entscheidende Rolle auf dem Weg zur klimaneutralen Wirtschaft. Und Nord-Westfalen hat beste Voraussetzungen, dank seiner Pole Position durchzustarten.

Das Positionspapier der H2 Working Group


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