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„Die Verkehrswende findet nicht über Tarife statt“
Das D-Ticket Job ist sowohl für Unternehmen als auch Beschäftigte ein Gewinn: Ulrich Jaeger, Vorsitzender der Landesgruppe NRW im Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) und Verkehrsvorstand der Dortmunder Stadtwerke AG (DSW21), und Stefan Peltzer, Leiter des IHK-Netzwerks Betriebliche Mobilität NRW (IHK BEMO), in dem die IHK Nord Westfalen eine Schwerpunkt-IHK ist, sind davon fest überzeugt. Im Doppelinterview sprechen sie über die Zukunft des Tickets – und über Bedenken seitens der Unternehmen. | Interview: Mario Oleschko (IHK zu Dortmund)
Ulrich Jaeger, Vorsitzender der Landesgruppe NRW im Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) (links), Stefan Peltzer, Leiter des IHK-Netzwerks Betriebliche Mobilität NRW (IHK BEMO) (rechts).
© Oliver Schaper/IHK zu Dortmund
Jaeger: Die Nachfrage ist hoch, weil das Ticket vom Preismodell her sehr attraktiv ist: Es kostet den Arbeitnehmer maximal 34,30 Euro, weil der Arbeitgeber ja mindestens 25 Prozent als Zuschuss beisteuern muss und Bund und Länder in dem Fall weitere fünf Prozent Rabatt gewähren. Das ist bundesweit einheitlich. Und im Gegensatz zu bisherigen Jobtickets ist das neue D-Ticket Job schnell und unbürokratisch in der Abwicklung.
Oleschko: Herr Peltzer, welche Eindrücke aus Beratungsgesprächen mit Unternehmen haben Sie?
Peltzer: Ich behaupte, dass das D-Ticket Job in den kommenden fünf Jahren Standard sein wird. Gerade dort, wo der ÖPNV jetzt schon stark ist, werden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein solches Angebot von den Unternehmen erwarten. Kleinere Betriebe ohne entsprechende Personalabteilungen profitieren besonders stark – und das sind genau die Unternehmen, die sich nun bei uns melden, weil sie mit dem Thema bislang noch nicht so stark in Berührung waren oder es eher vernachlässigt haben.
Oleschko: Warum haben diese Unternehmen das Thema vernachlässigt?
Jaeger: Das lag zum Beispiel an den Mindestanforderungen: Bislang war es so, dass Unternehmen mindestens 50 Jobtickets abnehmen mussten. Zudem war die Beantragung kompliziert: Es gab verschiedene Ticketmodelle, und die steuerliche Abrechnung war oft komplex – Arbeitgeber mussten sich intensiv mit der Materie beschäftigen. Mit dem D-Ticket Job sind diese Hürden weggefallen. Das macht das Ticket gerade für Klein- und Kleinstbetriebe so attraktiv.
Peltzer: In der Vergangenheit mussten Unternehmen Tarifexperten im Haus haben: Manche Beschäftigten benötigten nur Tarifstufe A, andere Stufe B. Manche wiederum wohnten in einem anderen Tarifgebiet – weswegen gegebenenfalls kein Jobticketvertrag für sie abgeschlossen werden konnte. 9-Uhr-Tickets waren günstiger zu bekommen, kamen aber nicht für alle Beschäftigten infrage. Ein riesiger Aufwand, all das zu berücksichtigen! Jetzt gilt für alle Beschäftigten derselbe Preis, und alle können rund um die Uhr deutschlandweit damit fahren.
Oleschko: Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer profitieren von einem vergünstigten Deutschlandticket. Worin liegt der Nutzen für die Arbeitgeber?
Jaeger: Das Gehalt ist heute längst nicht mehr allein ausschlaggebend dafür, ob ein Arbeitgeber attraktiv ist. Das Jobticket ist bei vielen Unternehmen mittlerweile ein wesentlicher Bestandteil, um die Mobilität ihrer Beschäftigten zu verbessern oder gar sicherzustellen. Ich denke, das ist etwas, das Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer künftig zunehmend erwarten. Auch mit Blick auf das Thema Verkehrswende und Nachhaltigkeit.
Peltzer: Häufig entscheidet der interne Aufwand darüber, was der Betrieb anbietet. Beim D-Ticket Job ist der bürokratische Aufwand inklusive der steuerlichen Behandlung mittlerweile einfacher als ein Tankgutschein: Es ist zu 100 Prozent steuerfrei – unabhängig von anderen Vergünstigungen. Außerdem lässt sich die Maßnahme sehr gut in ein Nachhaltigkeits- und auch Gesundheitsmanagement integrieren: Bus- und Bahnpendler sind weniger krank als Pkw-Nutzer.
Oleschko: Diskutiert wird allerdings die langfristige Finanzierung des Tickets.
Jaeger: Ja. Das verunsichert die Verbraucherinnen und Verbraucher – und auch die Unternehmen, die sich für das D-Ticket Job interessieren. Doch die Länder haben beschlossen, einen Weg zur dauerhaften Finanzierung zu finden und überdies für 2024 den Preis auch bei 49 Euro zu belassen. Keine zwölf Monate nach der Einführung wieder an der Preisschraube zu drehen, wäre ein falsches Signal gewesen. Ich gehe daher davon aus, dass es dieses neue Ticket weiterhin geben wird. Auch wenn sich preislich vielleicht in Zukunft etwas ändert.
Peltzer: Eine mögliche Verteuerung ist für viele Unternehmen weniger das Problem. Deren Sorge ist eher: Wird es das Ticket in dieser oder ähnlicher Form tatsächlich auch in zwei Jahren noch geben? Denn Unternehmen, die das D-Ticket Job einführen, geben ihren Beschäftigten im Grunde eine Art Mobilitätsversprechen und fühlen sich daran gebunden. Wenn das Ticket in der aktuellen Form wegfiele – so die Befürchtung – müsste man für einen Ersatz sorgen, was womöglich wieder kompliziert werden könnte.
Oleschko: Was sagen Sie Unternehmen, die aufgrund der noch nicht abschließend geklärten Finanzierung die Einführung des D-Tickets Job scheuen?
© edojob/stock.adobe
Jaeger: Arbeitgeber, die das D-Ticket Job anbieten, machen sich attraktiver und sorgen so für Mitarbeiterbindung. Darüber hinaus leisten diese Betriebe einen aktiven Beitrag zur Klimaneutralität. Ein weiterer Vorteil: Dienstreisen im Nahbereich müssen nicht mehr gebucht und abgerechnet werden – neben der Kostenersparnis sinkt also auch der Verwaltungsaufwand. Und selbst bei einer möglichen Kostensteigerung wäre es trotzdem preislich attraktiv für Mobilität in ganz Deutschland – vor allem im Vergleich zu bisherigen Jobtickets, die teils deutlich teurer waren. Sowohl aus betrieblicher Sicht der Stadtwerke als auch aus Verbandssicht können wir den Unternehmen daher nur empfehlen: Macht es!
Oleschko: Vor allem im ländlichen Bereich ist die ÖPNV-Anbindung oft unzureichend. Auch gibt es häufig Verspätungen oder komplett ausfallende Verbindungen.
Peltzer: Tatsächlich fehlt bei vielen Pendlern das Vertrauen in den ÖPNV, aber bleiben wir fair: Wie verlässlich ist die Pkw-Fahrt? Auch Straßen sind oft spontan gesperrt, oder es gibt Staus – insbesondere in den Städten. Zugegeben: Was die IHKs festgestellt haben, ist, dass Gewerbegebiete oft stiefmütterlich behandelt wurden im Hinblick auf die ÖPNV-Anbindung. Das D-Ticket Job ist in dieser Hinsicht ein Glücksfall, weil es den Verkehrsbetrieben klar macht, dass es attraktiv ist, auch Gewerbegebiete stärker anzubinden.
Jaeger: Der ÖPNV wird oft schlechter geredet, als er ist – vor allem im Nahverkehrsbereich. Klar ist aber auch: Die Verkehrswende findet nicht über Tarife statt, wichtiger ist ein vernünftiges Angebot. Deswegen fordert der VDV schon seit Jahren, dass es eine Angebotsoffensive gibt.
Oleschko: Welche Summe wird dafür benötigt?
Jaeger: Rund 13 Milliarden Euro jährlich sind aus Verbandssicht nötig, um mehr ÖPNV sowohl im städtischen als auch ländlichen Bereich zu realisieren. Das bedeutet auch: stärker ins Netz der Deutschen Bahn zu investieren, um Schienen zu sanieren und Bahnhöfe attraktiv zu machen.
Peltzer: Die Diskussion um die Attraktivität des ÖPNV hat zwei Facetten. Zum einen die Verlässlichkeit: Kann ich mich darauf verlassen, dass ich morgens pünktlich zur Arbeit komme? Zum anderen die Verfügbarkeit: Es muss zunächst einmal grundsätzlich ein Angebot zwischen Wohn- und Arbeitsort da sein. Der Dialog zwischen den Verkehrsbetrieben mit den Unternehmen ist und bleibt daher wichtig. Die IHKs beobachten, dass dieser Dialog in den vergangenen Jahren intensiver geworden ist, und bieten sich hierfür gerne als Vermittler an.
Oleschko: Was muss passieren, um das Ticket langfristig attraktiv zu halten?
Peltzer: Aus den Gesprächen mit den Unternehmen wissen wir: Grundidee und Konzept sind gut, und der Wunsch nach mehr ÖPNV ist da. Der Preis ist nicht das wichtigste Kriterium, sondern das Angebot muss stimmen.
Jaeger: Uns als VDV treiben hier drei Themen um, die im Endeffekt zusammenhängen, denn es geht immer um Geld. Erstens: die grundsätzliche Finanzierung des Deutschland-Tickets – mit entsprechender Planungssicherheit. Zweitens: die Aufteilung der Einnahmen unter den Anbietern. Denn wenn Verbraucherinnen und Verbraucher bundesweit damit fahren können, muss geregelt sein, wie die Einnahmen fair verteilt werden. Drittens: Wie können wir die Leistung verbessern – und wer bezahlt es am Ende?
Terminhinweis
Wie können Unternehmen das Deutschlandticket Job nutzen? Und welche Dinge gibt es zu beachten? Das BEMO-Netzwerktreffen der Industrie- und Handelskammern in NRW in Kooperation mit dem Mobility Hub Handwerk NRW beantwortet diese und andere Fragen im Webinar „Deutschlandticket Job – als Arbeitgeber effektiv einsetzen" am 2. Mai (15 bis 17 Uhr).
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Redaktion Wirtschaftsspiegel