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Top-Logistikregion trotz knapper Flächen
Ob AGRAVIS, Amazon oder Arvato: Viele Unternehmen investieren in ihre Logistikzentren in Nord-Westfalen. Ein zu knappes Flächenangebot bremst vielerorts die Entwicklung. | Text: Tobias Hertel
Grund zum Feiern bei AGRAVIS: Ende September nahmen unter anderem die Unternehmensvorstände Jan Heinecke (5.v.l.), Dr. Dirk Köckler (5.v.r.) und Hermann Hesseler (4.v.r.) das neue Verteilzentrum in Nottuln in Betrieb. An der Eröffnung nahm auch IHK-Hauptgeschäftsführer Dr. Fritz Jaeckel (2.v.l.) teil.
© Foto: AGRAVIS Raiffeisen
Erst Ende September eröffnete AGRAVIS Raiffeisen sein 43.000 Quadratmeter großes Logistikzentrum in Nottuln. Dies ist nicht die einzige große Neuansiedlung in jüngster Zeit: Vor gut einem Jahr hat L. Stroetmann ein 16.000 Quadratmeter großes Handels- und Logistikzentrum in Senden-Bösensell in Betrieb genommen. Hermes hat 2019 sein Logistiknetzwerk um einen Neubau im AirportPark FMO erweitert, wo nun täglich mehr als 100.000 Sendungen verarbeitet werden.
Auch in der Emscher-Lippe-Region tut sich einiges: Levi Strauss beliefert seit Ende 2023 vom Industriepark Große Heide Wulfen aus den europäischen Markt mit Jeanswaren. Im Juni dieses Jahres hat GXO Logistics aus den USA das 72.000 Quadratmeter große Distributionszentrum in Dorsten übernommen.
Logistik als Jobmotor
Aus Sicht von Daniel Janning, Teamleiter Mobilität und Verkehr bei der IHK Nord Westfalen, sorgen Investitionen in Logistik für gute Jobs. 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind zum Beispiel im 30.000 Quadratmeter großen E-Commerce-Distributionszentrum tätig, das Arvato 2018 im Interkommunalen Industriepark Dorsten/Marl eröffnet hat. Rund 1.600 Beschäftigte arbeiten für Amazon im 47.000 Quadratmeter großen Logistikzentrum PAD1 im interregionalen Industriegebiet AUREA in Oelde. Und Thalia will im kommenden Jahr im gate.ruhr in Marl einen 56.000 Quadratmeter großen „Omni-Channel-Hub“ in Betrieb nehmen. Bis zu 1.000 Arbeitsplätze entstehen hier.
Generell sieht Janning den Bereich „Verkehr und Lagerei / Logistik“ als Jobmotor in der Region: „Stand 2023 waren hier über 50.000 Menschen beschäftigt“, erklärt er. Dies seien mehr als fünf Prozent der Beschäftigten in Nord-Westfalen. Dabei kämpft die Branche mit dem Fachkräftemangel. Zu schaffen macht den Betrieben zudem der schlechte Zustand der Infrastruktur. Marode Brücken seien dafür nur ein Beispiel. Die Verkehrswege stießen längst an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit, „egal ob Straße oder Schiene“.
Aufsteiger auch dank guter Anbindung
Dennis Gausel, Logivest
© Foto: Logivest
Die Region liegt aber auch an einem wichtigen Wasserweg, dem Dortmund-Ems-Kanal. Bis 2029 wird die Stadtstrecke Münster erweitert, außerdem werden die Schleusen bei Rheine ausgebaut. „Ein zukunftsweisendes Projekt“, betont Dennis Gausel, „das die Region noch attraktiver machen wird“.
Gausel betreut als Head of Industrial & Logistics beim Logistikimmobilienberater Logivest die Region „Münster-Osnabrück“ – für ihn ganz klar „eine Top-Logistikregion“. Die Logivest vermarktet bundesweit Logistikimmobilien und berät bei Neubauvorhaben. Gerade bei den Neubauaktivitäten waren im vergangenen Jahr Rückgänge in anderen Teilen Nordrhein-Westfalens, darunter in der Region Duisburg-Niederrhein und in der Kölner Bucht, zu verzeichnen. Das Münsterland und die Emscher-Lippe-Region – beide zählt Logivest mit zur Logistikregion Münster-Osnabrück – gehören für Gausel dagegen zu den Aufsteigern. Das führt er auf die zentrale geografische Lage und die gute Verkehrsanbindung zurück.
Für IHK-Fachmann Janning gibt es noch einen Grund: „Die zahlreichen Unternehmen aus der Industrie und dem produzierenden Gewerbe stärken die Logistikregion.“ Das bestätigt auch Gausel. Er spricht von einer „logistikaffinen, mittelständischen Wirtschaftsstruktur, geprägt durch die Maschinenbau- und Nahrungsmittelindustrie sowie durch Speditionsunternehmen“. Sie werde auch in Zukunft für eine kontinuierlich hohe Nachfrage nach Logistikflächen sorgen.
„Nachfrageboom“ nach Flächen
Alexander Everskemper, Logivest
© Foto: Logivest
Anhaltend hoch sei der Bedarf bereits jetzt, stellt Alexander Everskemper fest. Er ist als Consultant Industrial & Logistics bei der Logivest ebenfalls für die Region zuständig. Den „Nachfrageboom“ macht er an konkreten Projekten fest. Beispielsweise habe der Eigentümer und Entwickler Logicor im ersten Halbjahr in Rheine mit dem Bau einer modernen Logistikimmobilie mit rund 20.000 Quadratmetern begonnen. „Sie wird spekulativ, also ohne Vorvermietung, gebaut“, betont er.
Wer ohne garantierte Mietverträge ein Projekt startet, geht von einer schnellen Vermietung aus. Der Markt erhole sich, Projektentwickler seien von einer weiterhin robusten Marktnachfrage überzeugt, resümiert Everskemper. In Greven wurden im Jahr 2023 etwa 70.000 Quadratmeter von den Partnern bauwo und Aconlog errichtet und an die WM-Group sowie Daimler Truck vermietet, während Alcaro Invest im Log Plaza Greven rund 28.000 Quadratmeter an CEVA und FarmSaat vermitteln konnte.
Trend zur Nachhaltigkeit
Ein weiteres Logistikzentrum entwickelt Panattoni Germany Properties in Rheine. Die 50.000 Quadratmeter umfassende Immobilie soll unter anderem „durch Photovoltaik-Anlagen, erhöhte Wärmedämmung, umweltschonende Heiztechnik sowie LED-Beleuchtung eine hohe Energieeffizienz aufweisen“, berichtet Everskemper. In Ibbenbüren soll das Gewerbegebiet „Schierloh“ bis Mitte 2025 fertiggestellt sein. Dieses Gebiet stellt Flächen für die Automotive-, Logistik- und Produktionsbranche bereit und zeichnet sich ebenfalls durch eine nachhaltige Bauweise aus.
Neue Projekte sind das eine, Investitionen in bestehende Logistikflächen das andere. Hier sind einige Unternehmen in der Region aktiv. In Lengerich habe Windmöller & Hölscher KG seine Halle um etwa 18.600 Quadratmeter erweitert, um den eigenen Nutzungsbedürfnissen gerecht zu werden, berichtet Everskemper. Janning verweist auf Parador, das Unternehmen vergrößerte seine Logistik in Coesfeld auf 30.000 Quadratmeter. Fiege baute seine Logistikfläche in Greven-Reckenfeld auf 90.000 Quadratmeter aus.
Hohe Mieten, zu wenige Flächen
Alles positiv also? Die Experten von Logivest sehen nicht alles rosig in der Region. Zum einen fehlen Logistikflächen. Trotz der vielen Projekte: Es könnten noch mehr sein, wenn manche Kommune schneller Flächen ausweisen würde. Zum anderen steigen generell die Baukosten, aber auch die Anforderungen an die Nachhaltigkeit und CO2-Reduktion. Dies führt zu weiteren Kostensteigerungen, die insbesondere kleinere Unternehmen vor finanzielle Hürden stellen.
„Derzeit liegen die Mietpreise für Neubauten zwischen fünf und sechs Euro pro Quadratmeter, während Bestandsimmobilien mit Preisen von drei bis vier Euro pro Quadratmeter deutlich günstiger sind“, erklärt Gausel. Diese Differenz führe mitunter zu einer bevorzugten Nutzung älterer Hallen.
Um neue Objekte für Unternehmen in der Region zu erschwinglichen Preisen anzubieten, bedarf es einer effektiven Zusammenarbeit zwischen Investoren, Entwicklern und der öffentlichen Hand, so die Meinung der beiden Logistikimmobilienberater. Nur so können die Herausforderungen bei der Bereitstellung neuer Flächen bewältigt und die Rahmenbedingungen für nachhaltige Investitionen geschaffen werden.
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Redaktion Wirtschaftsspiegel