Westfälische Friedenskonferenz

Unternehmen stehen für das Prinzip der Toleranz

Welche Rolle spielen Unternehmen für friedvolle Gesellschaften? Eine Diskussionsrunde der Westfälischen Friedenskonferenz 2023 vom 15. September ging dieser Frage nach und legte den Fokus auf die Energiepolitik und den sozialen Frieden in Deutschland. Der Konsens: Nur eine starke Wirtschaft kann Gutes bewirken. (Von Dominik Dopheide)
Die Abschlusserklärung der Konferenz, das „Signal von Münster“, wird aus dem Friedensaal in eine Wirtschaftswelt gesendet, die zunehmend den Zusammenhalt verliert. Das wurde mit dem Impulsreferat zum dritten Schwerpunktthema des Tages überaus deutlich. „Die Globalisierung, wie wir sie kennen, geht zu Ende und wird ersetzt durch Protektionismus“, beschrieb Christian Kullmann, CEO der Evonik Industries AG, die Entwicklung. Handelshemmnisse seien zur Selbstverständlichkeit geworden und würden nicht nur von China und den USA eingesetzt. „Wir stehen an der Schwelle zu einem weltweit und grob geführten Handelskonflikt, und wir in Europa machen dabei tüchtig mit“, sagte Kullmann, um dann den Blick auf die einzelnen Betriebe zu richten.
Einen großen Beitrag zu einer friedvollen Gesellschaft leisten Unternehmen, die Unterschiede innerhalb der Mitarbeiterschaft anerkennen, sagte Kullmann. Zugleich müsse das Prinzip der Toleranz auch für den Umgang mit anderen Regionen, Ethnien und Staaten gelten. „Wir als Deutsche sollten die Letzten sein, die belehren und Standards vorschreiben“, betonte der Vorstandsvorsitzende der multinationalen Evonik AG.
Gemeinsam Geschäfte machen, Wandel durch Handel: Dieses Konzept – die Grundlage der Entspannungspolitik in der Amtszeit von Bundeskanzler Willy Brandt während des „Kalten Krieges“ – sei nicht gescheitert, betonte Kullmann. „In dieser Zeit war es berechtigt, und wenn wir es einordnen in den großen situativen Kontext, hat es immer noch seine Bedeutung“, fügte er an.
Mona Neubaur
Mona Neubaur, stellvertretende Ministerpräsidentin des Landes NRW und NRW-Wirtschaftsministerin © WWL
Als stabilisierenden Faktor am Standort Deutschland hob er die Sozialpartnerschaft hervor, die Balance geschaffen habe und somit gute Chancen für ein friedvolles Miteinander. Handlungsbedarf sieht er an anderer Stelle. Habe nicht die Geschichte des Ruhrgebietes gezeigt, dass nichts besser integriert als Arbeit? „Warum also geben wir nicht den immigrierten Menschen, die hier legal leben, die Chance, zu arbeiten?“, fragte Kullmann unter dem Beifall der Zuhörerschaft. „Wenn wir auf die aktuelle Integrationspolitik schauen, machen wir das Gegenteil“, fügte er hinzu.
Kullmann nannte Wachstum und Wohlstand als Garanten für eine friedvolle Gesellschaft. Folglich sei der Beitrag der Industrie, der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, elementar. „Politik erwirtschaftet keine Ergebnisse, sondern Volkswirtschaft“, unterstrich der Konzernchef und stellte zugleich klar: „Die Transformation hin zu einer möglichst klimaneutralen Wirtschaft ist wichtig, denn wir wollen eine Zukunft, die besser als die Gegenwart ist.“

Schulterschluss gefordert

Die Diskussionsrunde nahm das Stichwort Klimaneutralität auf. „Wir alle waren geradezu süchtig nach günstigem Gas“, sagte Mona Neubaur, Ministerin für Klimaschutz und Wirtschaft sowie stellvertretende Ministerpräsidentin des Landes NRW. Entsprechend seien jetzt die Folgen des russischen Angriffskriegs zu spüren. Ob eine friedliche Gesellschaft ausschließlich im Wachstum gedeihen kann? Diese Frage wollte Neubaur nicht ausdiskutieren, verwies allerdings auf die Endlichkeit der planetaren Ressourcen, die sie an den Erfolgsaussichten der Wachstumsökonomie zweifeln lässt. Jedenfalls ist sich die Grünen-Politikerin sicher, dass Klimaschutz ein erfolgreiches Geschäftsmodell werden kann, weil viele Unternehmen aus guter Startposition die notwendigen Innovationen entwickeln können – nicht nur in NRW, sondern europaweit. „Wir merken, dass es sehr kompliziert wird und auch mehr kostet, aber wir müssen es gemeinsam hinkriegen“, forderte sie Wirtschaft und Politik zur Zusammenarbeit auf.
„Die deutsche Industrie steht hinter den Klimazielen, die Frage ist, wie wir dahinkommen“, erwiderte Arndt Kirchhoff, Präsident der Landesvereinigung der Unternehmensverbände „unternehmer nrw“ und Vorsitzender des Beirats der Kirchhoff Gruppe. „Wir brauchen Wirtschaftskraft, um die Ziele zu erreichen, aber wir haben sie momentan nicht“, wies er auf ein Dilemma hin und forderte Rückenstärkung von der Politik: Bitte Bürokratie abbauen, so lautet sein zentraler Appell. „Wir ersticken in Europa und Deutschland an Vorschriften, das verhindert Wachstum, und die Menschen werden immer saurer“, warnte Kirchhoff. Dabei müsse der Staat gar nicht aufpassen auf die Unternehmen, weil diese die Risiken, etwa von Auslandsinvestitionen, selbst tragen können.
2023_wfk_zinkann2
Dr. Reinhard Zinkann, Geschäftsführender Gesellschafter der Miele & Cie. KG © WWL
So sieht es auch Dr. Reinhard Zinkann, Geschäftsführender Gesellschafter der Miele & Cie KG und Vorsitzender der Wirtschaftlichen Gesellschaft für Westfalen und Lippe, die zur Friedenskonferenz geladen hatte: Bürokratieabbau beschleunige Investitionen und Innovationen. In der Energiepolitik der Bunderegierung sieht er durchaus ein Gefahrenpotenzial für den gesellschaftlichen Frieden. „Die Menschen verstehen nicht, warum es so schnell ans Eingemachte ihrer Häuser geht“, sagte Zinkann. Nicht mit der Brechstange solle sich die Politik auf den Weg machen, mahnte er, sondern im Dialog mit den Unternehmen.
„Wir brauchen einen Schulterschluss, wir brauchen Klarheit und Planungssicherheit“, forderte auch Andreas Engelhardt, Geschäftsführender Gesellschafter der Schüco International KG. Über Monate hinweg habe die in Berlin geführte Debatte ums Heizungsgesetz die Gesellschaft in Haft genommen. Das habe, zusammen mit anderen Faktoren, zu einem toxischen Stillstand der gewerblichen und privaten Investitionen geführt. Der Beitrag der Wirtschaft zur friedvollen Gesellschaft sei von unschätzbarem Wert, betonte Engelhardt. „Wir sprechen nicht nur über Diversität, wir leben sie vor“, begründete er. Jetzt gelte es, auch als Produzent nachhaltiger Technologie wieder die Vorreiterrolle zu übernehmen. „Dann lassen Sie uns aus dem Konjunktiv in die Umsetzung kommen und in NRW eine Entbürokratisierungs-Allianz bilden“, schlug Klimaschutz- und Wirtschaftsministerin Neubaur vor. Womit sich bestätigte: Für Dialog und Schulterschluss ist der Friedenssaal in Münster ein sehr gutes Pflaster.