Standort & Politik

„Kirmes ist wie ein Lagerfeuer“

Albert Ritter, Präsident des Deutschen Schaustellerbundes, spricht darüber, was eine Kirmes ausmacht und warum sie heute auch für die Attraktivität von Innenstädten wichtig ist. | Interview: Britta Zurstraßen
Britta Zurstraßen: Herr Ritter, Sie sind in der sechsten Generation in der Schaustellerbranche aktiv, Sie selbst engagieren sich als Präsident der Europäischen Schaustellerunion und des Deutschen Schaustellerbundes. Vor diesem Hintergrund können Sie mir sicher sagen, warum Kirmes und heute auch Weihnachtsmärkte wichtig für die Innenstädte sind?
Albert Ritter: Kirmes hat in Deutschland eine über 1200-jährige Tradition. NRW ist dabei Kirmesland Nummer eins, hier gibt es allein 33 regionale Schaustellerverbände. Die Veranstaltungen sind oft kirchlichen Ursprungs wie zum Beispiel die Liborikirmes in Paderborn, oder sind in Verbindung mit Erntedank oder Schützenfesten entstanden. Das Wichtigste ist, dass sie in der Stadtgesellschaft ein Wir-Gefühl schaffen, wie eine Art Lagerfeuer: Der Eintritt ist frei, jeder kann kommen, alle vergnügen sich auch miteinander. Und natürlich ist es wichtig, dass sich Synergien mit den Einzelhändlern und den Gastronomen und Kulturschaffenden in den Innenstädten ergeben. Diese sind an den Kirmes- und Markttagen besonders lebendig, die Menschen geben ihr Geld nicht nur bei den Events, sondern auch in den Geschäften und Kneipen der Stadt aus.
Beispiel Bottrop: Hier fand gerade die Kirmes, wie schon im Frühjahr, mitten in der Innenstadt statt. Wie kam es dazu?
Ritter: Weil der Verkehr wegen der Brückensperrung auf der A 42 umgeleitet wurde, konnten wir unseren ursprünglichen Platz am Rand der Innenstadt nicht mehr nutzen. Die Schausteller sind dann in Eigeninitiative gemeinsam mit den Wochenmarktbeschickern, dem Einzelhandel, der Gastronomie und Bürgervereinen aktiv geworden, damit die Kirmes nicht ausfallen musste. Jetzt hat die Stadt dies aufgegriffen und war wieder Veranstalterin.
Wie haben Sie den „neuen alten Platz“ für die Kirmes attraktiv gemacht?
Ritter: Wir haben in der Innenstadt einen „Rundlauf“ geschaffen, der auch bei der Bevölkerung sehr gut angekommen ist. „Back to the Roots“, denn so ähnlich war die Kirmes bereits in den achtziger und neunziger Jahren in Bottrop angeordnet. 75 Schaustellergeschäfte waren diesmal dabei, von Kinderkarussells, über Scooter, sogenannten „Über-Kopf-Geschäften“, bis zu den klassischen Mandel- und Eisbuden und natürlich Gastronomie. Wichtig ist es, alle Gruppen anzusprechen und auch auf Trends zu reagieren. Es gibt mittlerweile zum Beispiel auch vegane und Halal-Gastronomie, neben Bier werden beliebte Cocktails angeboten – mit und ohne Alkohol.
Wie stemmen die Schausteller solche Events, mit welchen Problemen haben sie zu kämpfen?
Ritter: Der Großteil der Schaustellerfamilien teilt sich die „Reisegebiete“ untereinander auf, ist vorwiegend regional unterwegs, es sei denn, sie haben eine ganz besondere Attraktion. Wir betreiben seit 1972 einen Getränkestand und sind damit auch auf Weihnachtsmärkten vertreten. Die wurden in den vergangenen 40 Jahren immer wichtiger für die Schaustellerbranche, aber auch für die Anziehungskraft der Innenstädte. Neue technische Elemente und Hilfsmittel beim Aufbau machen ebenso wie die strengen und wichtigen Sicherheitsvorkehrungen die Fahrgeschäfte und Stände auf den Jahrmärkten immer teurer.
Das Breakdance-Fahrgeschäft kostet zum Beispiel über drei Millionen Euro. Dazu kommt, dass wir natürlich auch Probleme haben, geeignete Mitarbeiter zu finden. 40000 Arbeitnehmer sind neben den Schaustellerfamilien in der Branche tätig, und im Moment fallen wegen der wirtschaftlichen Entwicklung in Polen immer mehr Saisonkräfte aus dem Nachbarland weg. Wir werden hoffentlich von neuen Regelungen für den Westbalkan und die Mahgrebstaaten profitieren. Denn es gab schon Absagen wegen Personalmangel. Immerhin gibt es 9700 Kirmesveranstaltungen und rund 3000 Weihnachtsmärkte in ganz Deutschland, auf denen die Menschen arbeiten.
Stichwort Nachfolge: Ist das in Ihrer Branche meist geregelt, hat die Kirmes eine gute Zukunft?
Ritter: Generell haben die Schaustellerfamilien eher keine Nachfolgeprobleme. Auch bei uns führen meine Kinder bereits die Gesellschaft, ist bin mit jetzt 70 Jahren mehr als Repräsentant eingestellt. Es ist so, dass die Schaustellerbranche eher noch wächst. Nach der aktuellen Erhebung des Deutschen Schaustellerverbundes gemeinsam mit der ift Freizeit- und Tourismusberatung GmbH blieb im vergangenen Jahr die Zahl der Volksfeste in Deutschland stabil, die Besuchszahlen erreichten mit 198,4 Millionen einen historischen Höchstwert, ein Plus von 4,6 Prozent. Und der Bruttoumsatz auf den Volksfestplätzen belief sich auf 6,51 Milliarden Euro, das ist ein Plus von 22 Prozent. Das alles belegt, dass die Bedeutung der traditionellen Volksfeste mit ihrem starken integrativen Charakter ungebrochen ist.
Die IHK Nord Westfalen hat zum Schaustellergewerbe ein Positionspapier herausgegeben.