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„Keine Planungsleichen schaffen“
Dr. Jana Burchard, Teamleiterin Planung und Stadtentwicklung bei der IHK Nord Westfalen, im Interview über den stetigen Platzbedarf der Unternehmen, das Potenzial von Brachflächen und „Planungsleichen“. (Von Tobias Hertel)
Dr. Jana Burchard, Teamleiterin Planung und Stadtentwicklung bei der IHK Nord Westfalen
© Stein/IHK
Wie ist aktuell der Bedarf von Unternehmen an Gewerbeflächen?
Dr. Jana Burchard: Als IHK bekommen wir von vielen Unternehmen, Kommunen und Wirtschaftsförderungen gespiegelt, dass die Nachfrage nach verfügbaren Gewerbeflächen vorhanden ist. Das gilt für Erweiterungen und Verlagerungen innerhalb der Region ebenso wie für Neuansiedlungen. Die Region ist weiterhin attraktiv. Die Wartelisten für Gewerbeflächen der Wirtschaftsförderungen werden jedenfalls nicht kürzer.
Dem trägt die Planung auf regionaler Ebene durchaus Rechnung. Der Regionalplan für das Münsterland rechnet mit einem Bedarf von rund 4250 Hektar Gewerbefläche bis 2045, der für die Emscher-Lippe-Region mit rund 450 Hektar. Dass der Bedarf hier größer als die planerischen Berechnungen ist, zeigt eine Studie der IHK. Demnach suchen 20 Prozent der Unternehmen in der Emscher-Lippe-Region in den kommenden fünf Jahren Erweiterungsflächen. 79 Prozent erwarten allerdings, dass diese Flächen voraussichtlich nicht verfügbar sein werden.
Woran liegt es, dass Flächen fehlen?
Dr. Jana Burchard: Ein Grund dafür ist, dass manche Flächen zwar auf dem Papier vorhanden sind, faktisch aber nicht zur Verfügung stehen. Zum Beispiel, wenn Eigentümer nicht verkaufen möchten. Entscheidend ist deshalb, dass die in einem Plan ausgewiesenen Flächen wirkliche Entwicklungschancen haben.
Dazu sollten neue Gewerbeflächen in möglichst konfliktarmen Räumen bei gleichzeitig guter Erreichbar- und Nutzbarkeit ausgewiesen werden. Es sollte zum Beispiel keine naturschutzrechtlichen Einschränkungen geben oder Wohngebiete in direkter Nähe liegen. Wir fordern daher, bereits in frühen Planungsstadien zu prüfen, ob es eine reelle Entwicklungsoption gibt, um keine Planungsleichen zu schaffen.
Das ruhrAGIS beispielsweise, der digitale Gewerbeflächenatlas des Ruhrgebiets, schlüsselt Wirtschaftsflächen im gesamten Ruhrgebiet nach Nutzbarkeit und zeitlicher Verfügbarkeit auf. Dadurch gewinnen die relevanten Akteure einen detaillierten Überblick über Flächenreserven.
Wirtschaftsflächen aktivieren
Bestehende und neue Wirtschaftsflächen nicht nur planerisch zu sichern, sondern auch zu aktivieren ist eine wichtige Entwicklungsgrundlage für die regionale Wirtschaft. Eine neue Broschüre „Wirtschaftsflächen aktivieren“ der IHK Nord Westfalen zeigt anhand von Beispielen, wie Kommunen und Unternehmen erfolgreich gemeinsam Flächen aktivieren können, und zwar mit allen drei wesentlichen Handlungsansätzen:
1) neuausgewiesene Flächen aktivieren
2) Konversions- und Brachflächen reaktivieren
3) Potenziale in bestehenden Gewerbe- und Industriegebieten mobilisieren
Bestehende und neue Wirtschaftsflächen nicht nur planerisch zu sichern, sondern auch zu aktivieren ist eine wichtige Entwicklungsgrundlage für die regionale Wirtschaft. Eine neue Broschüre „Wirtschaftsflächen aktivieren“ der IHK Nord Westfalen zeigt anhand von Beispielen, wie Kommunen und Unternehmen erfolgreich gemeinsam Flächen aktivieren können, und zwar mit allen drei wesentlichen Handlungsansätzen:
1) neuausgewiesene Flächen aktivieren
2) Konversions- und Brachflächen reaktivieren
3) Potenziale in bestehenden Gewerbe- und Industriegebieten mobilisieren
Gibt es weitere Flächenpotenziale alternativ zur Neuausweisung von Gewerbeflächen?
Dr. Jana Burchard: Ja, zum Beispiel Brachflächen, wo es in den früheren Jahren schon einmal Industriebetriebe oder Zechenanlagen gab. Solche Reserven sind aber schwer zu entwickeln, es fehlen oft finanzielle Mittel für die in der Regel aufwändige Aufbereitung. Auch die vorhandenen Daten reichen oft nicht aus: Wer ist Eigentümer, sind Probleme mit Altlasten zu erwarten, bestehen Nutzungseinschränkungen? Diese Informationen sind wichtig, um eine nachhaltige Flächenentwicklung im Bestand zu erreichen. Hier sind auch die Städte und Gemeinden gefordert, die Daten selbst zu bündeln, auszuwerten und den potenziellen Nutzern zur Verfügung zu stellen.
Was müssen Kommunen tun? Und wie kann ihnen geholfen werden?
Dr. Burchard: Eine nachhaltige Flächenentwicklung, zum Beispiel durch Reaktivierung, ist ein langwieriger und vielschichtiger Prozess für Kommunen. Das liegt daran, dass bei der Aufbereitung und Planung der Fläche viele Akteure eingebunden sind und die rechtlichen Rahmenbedingungen zunehmend komplexer werden.
Deshalb brauchen die Städte und Gemeinden Unterstützung. Dies könnte zum Beispiel ein Flächenfonds des Bundes oder Landes sein für Kauf, Aufbereitung und Vermarktung, um die Entwicklung von Brachflächen zu unterstützen. So lassen sich Verfahren beschleunigen.
Dass eine Reaktivierung von Wirtschaftsflächen im Bestand sehr gut möglich ist, hat beispielsweise die Stadt Recklinghausen bewiesen. Nach dem Rückzug des Bergbaus entstand auf einer elf Hektar großen Fläche einer ehemaligen Schachtanlage eine neue gewerbliche Nutzung. Das war aufwändig und kostenintensiv, aber aufgrund der Flächenknappheit notwendig. Dazu gab es Unterstützung durch Fördermittel und von NRW.URBAN, der Stadtentwicklungs-Tochter des Landes.
Um Ressourcen zu schonen, kann sich auch der Blick in bestehende Gewerbegebiete lohnen. Wie sehen Sie hier die Potenziale?
Dr. Burchard: Viele kleinere Restflächen in Gewerbegebieten sind schwierig zu vermarkten, zum Beispiel sind sie unpassend zugeschnitten. Vorteil ist, dass hier bereits Planungsrecht vorliegt. Dies bedeutet für Unternehmen: Es kann sofort losgehen.
Letztendlich bedarf es in den Kommunen einer Gesamtstrategie, die alle vorgenannten Optionen einbezieht. Gleich welchen Weg man beschreitet: Grundvoraussetzung ist eine frühzeitige und kontinuierliche Kommunikation zwischen Verwaltung, Politik und Betrieben.
Dort, wo das geschieht, lassen sich oft kreative Lösungen finden. In Dorsten vergrößerte ein Unternehmen sich, indem die Feuerwehrzufahrt auf ein Nachbargrundstück verlegt wurde. In Billerbeck stockte ein Betrieb seine Halle für die Produktion auf.
Die IHK gibt gegenüber den Kommunen zu allen Bebauungsplänen, in denen die Interessen von Unternehmen berührt sein könnten, eine fachliche Stellungnahme ab, etwa wenn Baugrenzen verschoben oder Höhenbegrenzungen aufgehoben werden, um Erweiterungen vor Ort zu ermöglichen. Das erspart es Unternehmen, neue Flächen zu kaufen. Reserveflächen stehen dann wiederum anderen Betrieben zur Verfügung.
Wie sind die Aussichten für die unmittelbare Zukunft?
Dr. Burchard: Die Aktivierung von Flächen für industriell-gewerbliche Nutzungen wird durch zunehmende Nutzungskonkurrenzen immer schwieriger. Es besteht die Gefahr, dass es noch schwieriger wird, die Flächenbedarfe der Wirtschaft zu decken. Die Differenz zwischen in Plänen dargestellten Wirtschaftsflächen und tatsächlich verfügbaren Grundstücken in Gewerbe- und Industriegebieten wird größer. Aber die Bedarfe sind da, international und aus der Region heraus, zum Beispiel in den Bereichen Wasserstoff oder Batterieforschung. Auf diese Transformation muss sich die Region vorbereiten, indem Unternehmen Raum gegeben wird – nicht nur planerisch, sondern auch in Form verfügbarer Gewerbe- und Industrieflächen.
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Redaktion Wirtschaftsspiegel