IHK-Teamwork

Das Beste für beide

Zwischen Auszubildenden und Betrieb zu schlichten, ist für Kristina Merian und Ralf Schillmüller Ehrensache. Eine, nach der sie sich oft mit einem guten Gefühl auf den Heimweg machen. (Von Berthold Stein)
Kristina Merian ist von den Gewerkschaften vorgeschlagen worden. Ralf Schillmüller von den Arbeitgebern. Zu Kontrahenten macht sie das nicht, wenn sie als Ehrenamtler für die IHK bei Konflikten zwischen Auszubildenden und Ausbildungsbetrieb nach Lösungswegen suchen. „Zu 99 Prozent sind Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter auf derselben Linie mit ihrer Einschätzung“, berichtet Merian. Schlichten sei Teamarbeit und keine Politik, bestätigt Schillmüller. Da spielen Lebens- und Berufserfahrung die entscheidende Rolle – und das Wissen, wie Ausbildung in der Praxis funktioniert.

Erfahrung mit Ausbildung

Kristina Merian
© Witte/IHK/Canva
Mit Ausbildung und dem, was schief laufen kann zwischen Azubi und Unternehmen, kennen sie sich beide gut aus. Kristina Merian ist seit 31 Jahren beim Maschinenbauer Flender in Bocholt. Hier hat die Maschinenbautechnikerin ihre Ausbildung zur Technischen Zeichnerin gemacht, hier bildete sie später selbst Nachwuchskräfte aus. Heute ist sie stellvertretende Betriebsratsvorsitzende bei Flender.
Als Ralf Schillmüller in den 1990er-Jahren von Karstadt zu Ernsting‘s family nach Coesfeld-Lette kam, leitete er die Personalentwicklung mit den großen Themen Ausbildung und Fachkräftegewinnung. Seit einigen Jahren ist der Diplom Kaufmann als Abteilungsleiter Soziales und Mitarbeiterzufriedenheit Vertrauensmann für die Belegschaft im Textilunternehmen.

Das Beste für beide Parteien

Was beide verbindet: Bevor sie in den Schlichtungsausschuss der IHK Nord Westfalen berufen wurden, waren sie schon als IHK-Prüferin und -Prüfer in der Aus- und Weiterbildung ehrenamtlich engagiert. Auch das hilft, Konflikte richtig einschätzen zu können. In einer Schlichtung gehe es nicht darum, sich auf eine Seite zu schlagen, unterstreicht Kristina Merian. „Unsere Leitfrage lautet: Was ist für beide Parteien das Beste?“ Keiner der Streitenden sollte mit dem Gefühl aus der Schlichtung gehen, Verlierer zu sein, ergänzt Ralf Schillmüller. „Ich bin zufrieden, wenn beide Parteien zufrieden sind“, sagt er.

Oft schiedlich, friedlich

Das gelingt häufig. 18 von 48 Verfahren vor dem IHK-Schlichtungsausschuss endeten im vergangenen Jahr mit einer gütlichen Einigung, weitere fünf durch einen Schlichterspruch, den beide streitenden Parteien anerkannt haben. Drei Anträge wurden zurückgenommen, in weiteren elf Fällen war der Ausschuss nicht zuständig. Bleiben also elf Fälle, in denen die Parteien unversöhnlich blieben.
Einigung heißt dabei nicht unbedingt, dass der Riss zwischen Azubi und Chef gekittet werden kann. Sie kann auch die Trennung bestätigen. „Aber egal wie sie ausfällt, kommt ein Vergleich zustande, spürt man richtig, wie von den Streitenden eine Last abfällt“, berichtet Schillmüller mit der Erfahrung aus geschätzt 40 Verhandlungen. Denn wenn ein Streit vor dem Schlichtungsausschuss landet, sei oft schon eine hohe Eskalationsstufe erreicht.
Nicht selten sei die Beendigung von Ausbildungsverhältnissen der richtige Weg, sagt auch Kristina Merian und berichtet von einer Schlichtung, die exemplarisch zeige, dass es um konstruktive Lösungen gehe. „Es war sofort klar, dass das Tischtuch irreparabel durchschnitten war. Aber wir konnten dem Unternehmer das Versprechen abringen, dass er sein Netzwerk nutzt, um für den Auszubildenden einen neuen Arbeitgeber zu finden.“ Ein schöner Erfolg, der einem ein gutes Gefühl gebe, findet sie.

Erst zur Ausbildungsberatung

Schlichtung könne aber auch frustrierend enden, sagt Ralf Schillmüller. Dann zum Beispiel, wenn die Streitenden nicht persönlich kommen und sich von Rechtsbeiständen vertreten lassen, die die Sachlage nicht ausreichend beurteilen können oder keine Entscheidungsbefugnis haben. „Eine einvernehmliche Einigung ist dann deutlich erschwert; mitunter sogar unmöglich“, so der Schlichter. Zum Glück seien solche Fälle selten und die beteiligten Rechtsbeistände in der Schlichtung in der Regel hilfreich, pragmatisch und lösungsorientiert. Ein Trend zur juristischen Absicherung sei aber zu beobachten, so Schillmüller. Sein Rat an beide Parteien: „Zuallererst mit den IHK-Ausbildungsberaterinnen und -Ausbildungsberatern sprechen.“ Das schaffe Klarheit und in vielen Fällen sogar den Streit aus der Welt.
„Wenn die Menschen den Raum zufriedener verlassen, als sie gekommen sind, bringt das Schlichten richtig Freude“, sagt Kristina Merian. Die hohe Einigungsquote mache das Ehrenamt für sie zu einer dankbaren Aufgabe mit Lernpotenzial. Merian: „Man nimmt immer etwas mit für die eigene Arbeit.“ Auch Ralf Schillmüller findet es sehr befriedigend, zwischen Menschen moderieren zu können. Dass die Schlichtung zwischen Auszubildenden und Arbeitgebern nicht von juristischen Profis ausgeführt wird, ist für ihn ein Vorteil. Den Schlichtern werde großes Vertrauen entgegengebracht, weil sie die Ausbildungspraxis kennen, so seine Erfahrung. Die paritätische Besetzung mit einem Arbeitgeber- und einem Arbeitnehmervertreter gebe den streitenden Parteien zudem ein gutes Gefühl, gerecht beurteilt zu werden, ergänzt Merian.

Arbeitsteilung mit dem Hauptamt

Merian und Schillmüller schlichten gern. Auch, weil sie sich darauf ganz konzentrieren können. Das Organisatorische erledigt in Münster IHK-Sachbearbeiterin Karin Lücke und am IHK-Standort Gelsenirchen Henrike Geltinger geräuschlos im Hintergrund. Sie überprüfen die Vollständigkeit der Schlichtungsanträge, sprechen Termine ab, stellen für die Schlichter die notwendigen Unterlagen zusammen, erledigen den Schriftverkehr, kümmern sich um Kostenerstattungen, führen Statistiken. Die Zahl der Schlichtungsanträge, die sie bearbeiten, variiert dabei von Jahr zu Jahr zum Teil erheblich. 2022 waren es mit 48 sehr wenig. In den vergangenen Jahren lag die Zahl meist über 100. Den Höchststand registrierte die IHK 2014 mit 150 Anträgen aus dem Münsterland und aus der Emscher-Lippe-Region. „Viele Streitigkeiten führen aber zum Glück erst gar nicht zum Schlichtungsverfahren, weil sie von unserer Ausbildungsberatung schon vorher aus der Welt geschafft werden konnten“, stellt Karin Lücke fest.
Stefanie Hülckj
© Witte/IHK/Canva
In den nichtöffentlichen Verhandlungen sind Lücke und Geltinger nicht dabei. Hier werden die ehrenamtlichen Schlichter in Münster von Stefanie Hülck und in Gelsenkirchen von Stephanie Görtz unterstützt. Die Referentinnen sind qua Gesetz neutrale IHK-Vertreterinnen und führen das Protokoll. Aber nicht nur: Sie geben auch fachlichen Rat und klären während der Sitzung offene Fragen mit der IHK-Fachabteilung. „Denn nicht immer ist die Aktenlage eindeutig“, berichtet Hülck, „jeder Ausbildungsberuf hat seine eigene Ausbildungs- und Prüfungsordnung“.
Wenn sie die Akte schließt, ist der Fall für die IHK aber nicht zwangsläufig abgeschlossen – vor allem dann nicht, wenn das Ausbildungsverhältnis aufgelöst wird. Hülck: „Wir lassen die jungen Menschen in dieser Situation nicht allein. Wir versuchen ihnen dabei zu helfen, den beruflichen Weg fortzusetzen - zum Beispiel in einem anderen Ausbildungsbetrieb.
Im Teamwork mit dem Ehrenamt
Gemeinsam mit etwa 4.500 ehrenamtlich engagierten Unternehmerinnen und Unternehmern sowie Fach- und Führungskräften arbeiten rund 180 hauptamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der IHK Nord Westfalen für die wirtschaftliche Entwicklung der Region. Wie die Zusammenarbeit funktioniert, darüber berichtet der Wirtschaftsspiegel regelmäßig – diesmal am Beispiel der Schlichtung bei Streitigkeiten zwischen Auszubildenden und Arbeitgebern.