Praxis & Ratgeber

Step by step zur Inklusion

Inklusion ja oder nein? Im Prinzip habe ein Unternehmen gar keine Wahl, erklärt Uwe Gabler. „Es besteht die gesetzliche Pflicht, Menschen mit Behinderung zu beschäftigen“, betont der Inklusionsberater. | Text: Dominik Dopheide
Bei der IHK unterstützt er im Auftrag des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe LWL Unternehmen in der Region, die mit der Einrichtung von Arbeitsplätzen für Menschen mit Behinderung ihre gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen und zugleich ihre Personalsituation verbessern wollen. Der Bund habe im Sommer 2023 mit dem neuen Gesetz „Inklusiver Arbeitsmarkt“ ein wichtiges Signal gesetzt: Mehr Menschen mit Behinderungen und gesundheitlichen Beeinträchtigungen sollen so in reguläre Arbeit gebracht, in Arbeit gehalten und vor allem zielgenauer unterstützt werden.
„Es ist ja kein Zufall, dass die Fachkräfteinitiative NRW ausdrücklich auch die Inklusion am Arbeitsmarkt stärken will“, erklärt Gabler. Allein in diesem Bundesland seien mehr als 50.000 Menschen mit einer Schwerbehinderung arbeitslos gemeldet sind. Die Hälfte dieser Gruppe habe eine abgeschlossene Berufsausbildung oder einen Hochschulabschluss, weiß der IHK-Inklusionsberater. Hier werde ruhendes Potenzial nicht aktiviert, betont Gabler. Dabei könnten inklusive Arbeitsplätze die Folgen des Fachkräftemangels in manchem Unternehmen abmildern, das zurzeit lieber eine Ausgleichsabgabe zahlt, statt Menschen mit Behinderung in der vom Gesetzgeber geforderten Zahl zu beschäftigen.

Potenzial ausschöpfen

Genauso sieh t es Sarah Göckener, Gesamtteamleiterin Berufsvorbereitung beim bz Bildungszentrum des Handels in Recklinghausen. Der gemeinnützige Bildungsträger unterstützt Menschen mit Einschränkungen, die nicht die besten Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben, aber dennoch dort Fuß fassen wollen. „An unseren Teilnehmenden schätzen wir besonders ihren Mut und ihre hohe Bereitschaft, trotz vieler Herausforderungen Neues zu lernen und sich weiterzuentwickeln“, berichtet Göckener. Den gleichen Respekt bringt sie den Unternehmen entgegen, die Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten und Hintergründen eine Chance geben. „Die Bereitschaft, auf individuelle Bedürfnisse einzugehen und flexible Arbeitsbedingungen zu schaffen, trägt entscheidend dazu bei, dass unsere Teilnehmenden ihr volles Potenzial entfalten können“, sagt Göckener.
Doch müssen die Betriebe Inklusion nicht im Alleingang managen: Weil sie nicht zu Marktnachteilen führen soll, wird die Inklusion unter anderem in Betrieben von der Bundesagentur für Arbeit und den Landschaftsverbänden in NRW – in Nord Westfalen der LWL Ostwestfalen-Lippe – sowie Jobcentern und Rentenversicherung gefördert. Auch die bundesweit präsenten einheitlichen Ansprechstellen für Arbeitgeber (EAA) gehören zu den Unterstützungs-Angeboten. „Unternehmen wollen natürlich wissen, welche Grundlagen sie schaffen müssen, bevor die neuen Mitarbeitenden eingestellt werden können“, beschreibt Gabler den Beweggrund für die erste Kontaktaufnahme.

IHK-Berater Uwe Gabler nennt zentrale Punkte, wie Inklusion in Unternehmen gelingen kann:
  • Aufklärung organisieren: Schulungen für die Belegschaften helfen, Vorurteile abzubauen und Wertschätzung aufzubauen.
  • Barrierefreiheit schaffen: Rampen und behindertengerechte Sanitäranlagen einerseits schaffen Zugänge ins Arbeitsleben. Digitalisierung anderseits schafft neue Arbeitsplätze, etwa mit Bildschirmlesegeräten und barrierefreien Websites.
  • Vielfalt fördern: Unternehmensnahe Programme und personelle sowie technische Ressourcen schaffen für eine inklusive Unternehmenskultur, in der Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten geschätzt und unterstützt werden.
  • Aufgaben anpassen: die Basis für Inklusion legen, indem Tätigkeiten auf die individuellen Fähigkeiten und Bedürfnisse der Mitarbeitenden abgestimmt und bei Bedarf flexible Arbeitszeiten und Orte angeboten werden.
  • Expertise sichern: Beratungsstellen oder gemeinnützige Organisationen kontaktieren, um geeignete Bewerberinnen und Bewerber zu finden, und um Unterstützung zu erhalten bei den Herausforderungen der Inklusion.
  • Förderquellen nutzen: Zuschüsse oder Steuervergünstigungen nutzen, damit mehr Menschen mit Behinderung ausgebildet, beschäftigt oder auch im Betrieb gehalten werden.
Die Fahrradmanufaktur AT Zweirad GmbH in Altenberge – mit ihrem Label Velo de Ville in Europa bekannt – setzt seit vielen Jahren jeden Punkt dieser Liste um. Eine treibende Kraft der Inklusion in diesem Unternehmen ist Edith Beglet-Thiemann, Beiratsvorsitzende und langjährige Geschäftsführerin. „Persönlich liegt mir das Thema sehr am Herzen, denn ich habe in meiner Laufbahn oft die Erfahrung gemacht, dass Menschen mit Behinderung aufgrund fehlender Chancengleichheit ihr Potenzial nicht ausschöpfen können“, berichtet sie. Dabei könnten viele Firmen mit der Einrichtung inklusiver Arbeitsplätze dem Fachkräftemangel entgegenwirken, ist sie überzeugt. „Menschen mit Behinderungen bringen oft wertvolle Fähigkeiten und Perspektiven ein“, sagt Beglet-Thiemann.

Chancengleichheit aufgebaut

Edtih Beglet-Thiemann
Edtih Beglet-Thiemann, frühere Geschäftsführerin bei AT Zweirad, hat die Inklusionsabteilung in ihrem Betrieb mit aufgebaut. © Joachim Busch
Individuelle Anpassung des Arbeitsplatzes, gleiche Wertschätzung für alle: Mit diesem Konzept läuft die Inklusion bei Velo de Ville rund – auch deshalb, weil baulich beste Bedingungen gegeben sind. Bei der Konzeption der 2014 errichteten Produktions- und Ausstellungshalle hatte das Architekturbüro das Thema buchstäblich auf dem Plan. Barrierefrei sind nicht nur Wege, Türen und Toiletten. Das Prinzip zieht sich durch die ganze Immobilie. Der sehr hohe Lichteinfall etwa kommt den Mitarbeitenden zugute, deren Sehkraft stark beeinträchtigt ist. Der Lärmschutz geht tief ins Detail: Velo de Ville setzt Werkzeug ein, das leise läuft. Wer ein stark reduziertes Hörvermögen hat und ein Hörgerät trägt, sei besonders empfindlich für schrille Geräusche, begründet Beglet-Thiemann. „Es geht darum, ein Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem alle ihre Stärken einbringen können“, betont die Beiratsvorsitzende. Genau deshalb werde im Unternehmen die Sensibilität für die Belange von Menschen mit Behinderung systematisch gefördert. „Die Rahmenbedingungen beginnen mit der Psychologie“, sagt Beglet-Thiemann.

Kooperationen sowie das Engagement aller Mitarbeitenden sind entscheidend für den Erfolg.

Edith Beglet-Thiemann

Wie gut das funktionieren kann, zeigt sich täglich in der Produktion. Dort hat Velo de Ville die meisten der fast 30 inklusiven Arbeitsplätze eingerichtet. Die Mischung machts: Der Austausch von Fähigkeiten und Erfahrungen stärke die Zusammenarbeit und das Gemeinschaftsgefühl des Teams sowie die Identifikation mit dem Unternehmen, freut sich Beglet-Thiemann. Ohne externe Beratung und finanzielle Unterstützung allerdings hätte das Unternehmen nicht so viele inklusive Arbeitsplätze einrichten können. „Der LWL hat uns bei der Entwicklung der Inklusionsstrategie sowie mit Beratungen und finanziellen Mitteln unterstützt“, erzählt die ehemalige Personalchefin. Zudem begleite ein engagierter Pädagoge aus dem Caritas-Team die Mitarbeitenden mit psychosozialen Beeinträchtigungen kontinuierlich. Auch die IHK sei involviert: Der Inklusionsberater unterstützt die Ausbildungs- und Personalverantwortlichen des Unternehmens, die als erste Ansprechpartner für Mitarbeitende mit Behinderung besondere Verantwortung übernehmen. Kooperationen sowie das Engagement aller Mitarbeitenden seien entscheidend für den Erfolg, ist Beglet-Thiemann überzeugt. Deshalb rät sie Unternehmen, die inklusive Arbeitsplätze einrichten wollen, von Beginn an externe Unterstützung ins Boot zu holen und das Team einzubeziehen. „Starten Sie mit realistischen Zielen, die nach und nach erweitert werden“, lautet ihr nächster Tipp. Denn bei der Inklusion könnten schon kleine Schritte große Wirkung erzielen.

Arbeitsumfeld planen

Carina Münsterkötter, Personalreferentin und Ausbildungsleiterin für alle kaufmännischen Berufe bei der in Sassenberg ansässigen LMC Caravan GmbH & Co. KG, kann das bestätigen. Einige Male schon hat der Hersteller von Wohnwagen und Wohnmobilen in Zusammenarbeit mit den Freckenhorster Werkstätten Menschen mit Behinderung in den ersten Arbeitsmarkt geholt. Jetzt aber habe sich ein junger Mann mit starker Hörbeeinträchtigung ganz normal um einen Ausbildungsplatz beworben, erzählt Münsterkötter.
Was ist bei der Planung des Arbeitsumfeldes zu beachten, welche Unterstützungsangebote gibt es? Die Personalexpertin war sich zunächst nicht sicher, an welche Stelle sie sich mit diesen Fragen wenden kann. Die Agentur für Arbeit habe den Integrationsfachdienst (IFD) im Kreis Warendorf empfohlen. „Er hat uns zur Bestandsaufnahme der Anforderungen besucht, über mögliche Zuschüsse informiert und sich dann um die komplette Ausstattung gekümmert“, erzählt Münsterkötter. Zugleich begrüßt sie, dass die IHK seit 2023 mit dem Inklusionsberater eine zentrale, einheitliche Anlaufstelle für Arbeitgeber (EAA) eingerichtet hat: Somit werde der Einstieg ins Thema noch leichter.
Große Investitionen waren nicht erforderlich, damit Jakob im Betrieb barrierefrei arbeiten kann. LMC hat ein spezielles Hörgerät erworben und etwas Technik, damit das Umschalten vom Telefon zum Hörgerät klappt. Ein Mikrofon für Gruppenbesprechungen komplettiert das Set. Jakob macht eine Ausbildung zur Fachkraft für Lagerlogistik, den Staplerschein hatte er schon beim Bewerbungsgespräch in der Tasche. Zunächst hatte er in der Tischlerei zur Probe gearbeitet, dann aber in Warenannahme, Kleinteilelager und beim Materialtransport auf dem Gabelstapler einen Top-Eindruck hinterlassen. Kann er diese Fahrzeuge denn gut genug hören im Betrieb? Grundsätzlich gehe ja in jedem Unternehmen eine gewisse Gefahr von den Gabelstaplern aus, antwortet Münsterkötter. LMC habe Jakobs Einstellung zum Anlass genommen, das Geschwindigkeitsniveau noch weiter abzusenken, als vorgeschrieben. Schließlich bedeute das mehr Sicherheit für alle Mitarbeitenden. „Jakobs Hörbeeinträchtigung, das können wir nach einem Jahr Ausbildung feststellen, spielt keine Rolle“, zieht Münsterkötter ihr Fazit. Dass ein Unternehmen mit einigen gezielten Anpassungen Menschen ein normales Arbeitsleben ermöglichen kann, sei das Schöne an Inklusion. „Wir sind ohnehin eine bunt gemischte Gruppe, und Jakob wird als ganz normaler Mitarbeiter gesehen, der dazu gehört, wie alle anderen auch“, erklärt die Personalreferentin.