Praxis & Ratgeber

Fachkräfte können leichter einwandern

Ob Berufskraftfahrer oder Ingenieure: Fachkräfte aus außereuropäischen Ländern sollen schneller und unbürokratischer in Deutschland arbeiten können. Zwei IHK- Expertinnen erläutern, wie Unternehmen das neue Gesetz zur Fachkräfteeinwanderung für sich nutzen können. | Interview: Britta Zurstraßen
Frau Leufgen, Frau Görtz, die Bundesregierung will mit dem überarbeiteten Gesetz zur Fachkräfteeinwanderung bürokratische Hürden aus dem Weg räumen. Menschen aus Nicht-EU-Ländern sollen schneller auf dem deutschen Arbeitsmarkt Fuß fassen. Was genau gilt nach diesem Gesetz seit dem 1. März 2024?
Anke Leufgen: Die wichtigste Neuerung ist die Berücksichtigung der Erfahrung mit der so genannten 2+2-Regelung. Das heißt: Wer eine mindestens zweijährige, vom Herkunftsland anerkannte Berufsausbildung oder einen Hochschulabschluss hat, und dazu mindestens zwei Jahre Erfahrung im angestrebten Beruf vorweisen kann, darf in Deutschland eine Beschäftigung aufnehmen. Qualifikation und Erfahrung müssen jedoch in einem berufsfachlichen Zusammenhang mit der in Deutschland angestrebten Tätigkeit stehen. So sollten zum Beispiel gesuchte Fachkräfte aus der Gastronomie schon vorher eine Zeit lang in einem Hotel oder Restaurant gearbeitet haben und nicht zum Beispiel in der industriellen Produktion. Die Regelung galt bisher nur für IT-Fachleute, mit dem neuen Gesetz ist sie auf alle Berufe ausgeweitet. Und IT-Fachleute müssen nun keine Deutschkenntnisse mehr nachweisen.
Außerdem gibt es jetzt die Chancenkarte zur Arbeitssuche, die auf einem Punktesystem basiert. Qualifikation, Deutsch- und Englischkenntnisse, Berufserfahrung, Deutschlandbezug, Alter und mitziehende Lebens- oder Ehepartner sind Auswahlkriterien. Darüber hinaus wird Pflegehilfskräften aus Drittstaaten der Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt erleichtert.
Ein weiterer Vorteil für Unternehmen: Sie können dank einer neuen Regelung zur kurzzeitigen Beschäftigung von Menschen aus Nicht-EU-Ländern leichter auf schwankende Personalbedarfe reagieren. Bei allen Einstellungen gilt: Arbeitgeber müssen den Tarifvertrag einhalten, um faire Arbeitsbedingungen zu sichern.
Stephanie Görtz: Die Bundesregierung hat außerdem so genannte Anerkennungspartnerschaften eingeführt. Wenn zum Beispiel ein Unternehmen eine passende Fachkraft aus dem Ausland für eine bestimmte Stelle gefunden hat, kann diese auch ohne vorherige Anerkennung erstmal einreisen. Sie und der Arbeitgeber müssen sich jedoch verpflichten, direkt nach Einreise das Verfahren der Berufsanerkennung in Deutschland zu starten. Das heißt, neu eingereiste Fachkräfte, die einen ausländischen kaufmännischen oder industriell-technischen Aus- oder Fortbildungsabschluss erworben haben, müssen einen Antrag auf Gleichwertigkeitsüberprüfung bei der IHK FOSA stellt (Foreign Skills Approval, www. ihk-fosa.de). Sollte sich herausstellen, dass wesentliche Unterschiede bestehen, ist eine Anpassungsqualifizierung notwendig. Währenddessen können die betreffenden Mitarbeiter jedoch schon eine qualifizierte Beschäftigung bei dem Arbeitgeber ausüben.
Welche Neuregelungen wirken sich Ihrer Meinung nach besonders positiv aus?
Anke Leufgen: Durch die neuen Möglichkeiten des Gesetzes gibt es verschiedene Wege, wie sich insbesondere junge Menschen aus Drittstaaten einer betrieblichen Ausbildung nähern können. Sie können jetzt einreisen, um einen Ausbildungsplatz zu suchen, und dabei bereits bis zu 20 Stunden pro Woche arbeiten und Geld verdienen. Es ist auch möglich, schon vor Ausbildungsbeginn mit einem Sprachkurs anzufangen, damit die Ankunft und mehr noch das längerfristige Bleiben in Deutschland gesichert wird.
Ich nehme einen Stimmungswechsel bei den Unternehmen wahr. Es gibt jetzt mehr attraktive und vor allem praktikable Möglichkeiten der Fachkräfteeinwanderung. Visaverfahren verlaufen in einigen Ländern schon deutlich schneller. Das macht anderen Unternehmen Mut, Fachkräfte auch über das erweiterte Gesetz der Einwanderung zu suchen.
Stephanie Görtz: Neu ist auch, beim Familiennachzug nicht mehr ausreichenden Wohnraum nachweisen zu müssen. Zudem können Fachkräfte nun ihre Eltern und Schwiegereltern nachholen. Auch das wird positive Auswirkungen auf die Fachkräfteeinwanderung haben. Wenn wir erreichen möchten, dass ausländische Fachkräfte bleiben und sich in Deutschland wohlfühlen, so ist der Familiennachzug sicher ein ganz wichtiger Punkt. Viele andere Länder werben schließlich ebenfalls um Fachkräfte, und dort sind zum Beispiel die sprachlichen Voraussetzungen häufig nicht so schwer wie in Deutschland.
Wo finden Unternehmen bei der Suche nach Fachkräften aus dem Ausland Unterstützung?
Anke Leufgen: Unternehmen sollten sich frühzeitig kompetente Beratung einholen, welche der vielen neuen Möglichkeiten am besten zum Unternehmen passt. Bei der Suche nach ausländischen Fachkräften sollten sich Betriebe an den Arbeitgeberservice der Bundesagentur für Arbeit wenden. Dieser informiert über Regelungen, unterstützt bei der Stellenvermittlung und hilft bei Anträgen für Arbeitsgenehmigungen.
Mit einer Zustimmung zu den Beschäftigungsbedingungen noch vor der Einreise bekommen Unternehmen Planungssicherheit, dass die Beschäftigung gestartet werden kann. Auch sollten sie sich zu den Voraussetzungen informieren: Ist der Lebensunterhalt des Bewerbers gesichert, sind die Sprachkenntnisse für das Unternehmen und die Tätigkeit ausreichend und einiges mehr. Nicht zuletzt muss ein Arbeitgeber wissen, welche praktischen Aufgaben auf ihn zukommen, wie die Einbindung der Belegschaft oder die Alltagsbegleitung bei Behördengängen und alltäglichen und sozialen Dingen.
Wie unterstützt dabei die IHK?
Anke Leufgen: Die IHK berät Unternehmen, wenn sie eine Fachkraft suchen oder gefunden haben und mit einer Ausbildung oder Beschäftigung beginnen wollen. Wir beraten auch individuell und in Webinaren, wie die betriebliche Integration am besten gelingt. Die Willkommenslotsinnen regen Unternehmen an, sich rechtzeitig Gedanken darüber zu machen, wie der neue Kollege oder die neue Kollegin im Betrieb begrüßt werden kann, wer die Patenschaft für den Neuankömmling übernimmt, was die Belegschaft über kulturelle Gepflogenheiten des Herkunftslandes wissen sollte.
Wir weisen auch besonders darauf hin, dass es neben der Integration in die Arbeit für Beschäftigte aus dem Ausland viele Herausforderungen außerhalb des Betriebs gibt. Wir haben dafür die Kontakte zu geeigneten Unterstützungsnetzwerken. Die IHK pflegt ein großes Netzwerk mit den relevanten Akteuren der Fachkräfteeinwanderung, darunter Arbeitsagenturen, Ausländerbehörden und Anerkennungsstellen. So können wir schnelle Hilfestellung bei den richtigen Ansprechpersonen bieten. Dadurch ist es für Unternehmen meist einfacher, auftauchende Probleme und Fragen zügig mit den zuständigen Behörden zu lösen. Das erhöht die Chance, dass ausländische Fachkräfte bei Unternehmen anfangen und dann auch bleiben können.
Die IHK kann auch dann Hilfestellungen anbieten, wenn das Ausbildungs- oder Arbeitsverhältnis bereits besteht und eine Beratung zur Stabilisierung erforderlich ist. Da gibt es öfter mal Unsicherheiten bei der Einschätzung von Verhaltensweisen oder der Einführung von neuen ausländischen Kollegen. So kann gemeinsam mit allen Betroffenen über individuelle Unterstützungsangebote gesprochen werden, damit zum Beispiel eine Ausbildung fortgeführt und nicht abgebrochen wird.
Im Augenblick gibt es so viele verschiedene Angebote, dass es sowohl für das Ausbildungspersonal und noch mehr für ausländische Auszubildende nicht leicht ist, passgenaue Unterstützungsangebote zu finden. Hier versuche ich in meiner Lotsenfunktion, Wege aufzuzeigen und auf Unterstützungsmöglichkeiten hinzuweisen.
Stephanie Görtz
Raum: V-304