Praxis & Ratgeber

Fachkräfte brauchen regelmäßig Updates

Fachkräftemangel, Digitalisierung oder Energiekosten sind Herausforderungen, die in Unternehmen Transformationen auslösen. Diese sind nur mit gut ausgebildeten und kontinuierlich weitergebildeten Fachkräften zu schaffen, die sich veränderungsbereit aufstellen. Über 42 Prozent der Unternehmen sehen daher in einer IHK-Umfrage „Veränderungsbereitschaft“ als eine zentrale Kompetenz von morgen an. Ulli Schmäing von der IHK Nord Westfalen im Interview über die Bedeutung von beruflicher Weiterbildung für Unternehmen und Fachkräfte.
Welche Rolle spielt Weiterbildung heute im Unternehmensalltag?
Ulli Schmäing: Die Bedeutung ist groß und wächst weiter. Im Corona-Jahr 2020 haben in Deutschland laut Statistischem Bundesamt erstmals mehr als die Hälfte (52 Prozent) der Beschäftigten von Unternehmen, die für ihre Mitarbeitenden Weiterbildung anboten, an betrieblichen Qualifizierungen teilgenommen. Fünf Jahre zuvor lag die Teilnahmequote acht Prozentpunkte niedriger, 1999 im ersten Erhebungsjahr sogar 16 Prozent niedriger. Aber nicht nur mehr Beschäftigte nehmen an Weiterbildungen teil. Sie tun das auch länger. So verbrachten 2020 die Beschäftigten im Durchschnitt 28 Stunden in beruflichen Weiterbildungen. 2015 waren es durchschnittlich 22 Weiterbildungsstunden.
Die Unternehmen sind also auf einem guten Weg?
Schmäing: Tatsächlich gibt es noch Luft nach oben. Weiterbildung muss noch viel selbstverständlicher in den betrieblichen Alltag integriert werden. Weiterbildung muss im „Betriebssystem Unternehmen“ systematisch verankert sein, sie muss Teil der Wissens- und Arbeitskultur werden. Bevor ein PC hochfährt, zieht er sich Updates. Das gilt ebenso für Mitarbeitende. Die Herausforderung für Unternehmen besteht darin, passgenaue Weiterbildung permanent in die betrieblichen Prozesse einzubinden.
Warum wird Weiterbildung immer wichtiger für Unternehmen?
Schmäing: Die digital getriebene Transformation beispielsweise ist nur mit gut ausgebildeten und kontinuierlich weitergebildeten Fachkräften zu schaffen. Was für jedes Smartphone gilt, gilt heute auch für Fachkräfte: Nur mit regelmäßigen Updates kann das Know-how-Level gehalten werden. Für Unternehmen hängt davon die Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit ab. Und nicht nur das: Eine lebendige Weiterbildungskultur macht sie auch als Arbeitgeber attraktiv. Aktuelle Studien zeigen, dass Fachkräfte, in die ein Unternehmen investiert, diesem eher treu bleiben. Weiterbildung schafft Bindung.
Spüren Sie den Trend auch in den IHK-Weiterbildungen?
Schmäing: Die Nachfrage nach unseren Seminaren und Zertifikatslehrgängen, die aktuelles Wissen und praxisnahe Kompetenzen vermitteln, wächst kontinuierlich. Dabei geht der Trend immer mehr hin zu maßgeschneiderten Inhouse-Weiterbildungen on- wie offline für Unternehmen. Wir entwickeln dabei die Konzepte, wie neue Kompetenzen erworben werden können. Die Inhalte bringt das Unternehmen mit.
Sehr gefragt bleiben die Fortbildungen der Höheren Berufsbildung, also zum Industriemeister oder Fachwirt. Sie führen die Absolventen auf die Karrierestufe 6 im Deutschen Qualifikationsrahmen. Diese Abschlüsse liegen damit ganz offiziell auf Bachelor-Level.
Wie sieht es insgesamt mit der Weiterbildungsbereitschaft der Fachkräfte aus?
Hier im Münsterland gibt es viele hochspezialisierte, oftmals exportorientierten Unternehmen, die hohe Kompetenzanforderungen haben. Die Eigenmotivation der Fachkräfte, sich zu qualifizieren, ist hier naturgemäß sehr groß. Wir spüren aber deutlich, dass Weiterbildung für die Fachkräfte insgesamt selbstverständlicher geworden ist und als integraler Bestandteil des Berufslebens verstanden wird. Dass Weiterbildung heute nicht mehr einfach nur Frontalunterricht ist, sondern in vielen unterschiedlichen Formaten angeboten wird, begünstigt dieses neue Bewusstsein …
… wie auch die finanzielle Förderung von Weiterbildung durch den Staat?
Schmäing: Natürlich. Das Aufstiegs-BAFöG trägt bis zu 75 Prozent der Weiterbildungskosten für angehende Meister oder Fachwirte.
Macht sich eine höhere Qualifikation für Fachkräfte bezahlt?
Schmäing: Definitiv. Nach einer aktuellen DIHK-Umfrage aus 2023 unter 20.000 Absolventinnen und Absolventen der Höheren Berufsbildung verdienen rund 60 Prozent von ihnen nach ihrer IHK-Fortbildungsprüfung mehr Geld als vorher. 57 Prozent haben nach der Weiterbildung einen größeren Verantwortungsbereich im Job. Rund 60 Prozent derjenigen mit einem Gehaltsplus beziffern die monatlichen Zuwächse auf mehr als 500 Euro. Mehr als ein Viertel verdient sogar mindestens 1.000 Euro mehr im Monat als vor der Weiterbildung. Gehaltszuwächse zeigen sich beispielsweise drei Jahre nach erfolgreicher Fortbildungsprüfung wesentlich stärker als kurz nach dem Abschluss.
Was motiviert Fachkräfte noch?
Schmäing: 93 Prozent der Absolventinnen und Absolventen sagen laut DIHK-Umfrage, dass sich die Weiterbildung positiv auf ihre persönliche Entwicklung ausgewirkt hat – sei es, dass sie ihren Blickwinkel erweitert oder sie mehr Souveränität gewonnen oder die Kommunikation optimiert haben. Diese persönlichen Benefits nach einer solchen Weiterbildung fallen noch stärker aus als die rein beruflichen Auswirkungen.
Wie sah berufliche Weiterbildung früher aus, wie präsentiert sie sich heute?
Schmäing: Tradierte Vorstellungen von beruflicher Weiterbildung sind häufig mit relativ statischen Modellen verbunden: eine Uhrzeit, ein Thema, Frontalunterricht, ganz analog im Seminarraum, dazu Literatur und eine schriftliche Prüfung oder ein Test zum Schluss. Modernes Lernen setzt auf individuelle Lernpfade, sogenannte „learning journeys“, auf modularisierte Bausteine und vor allem auf digitale Angebote, ob im virtuellen Klassenraum oder über Learning Management Systeme. Oftmals werden Wissen und Kompetenzen in Form von „learning nuggets“, also in kleinen Einheiten orts- und zeitunabhängig zur Verfügung gestellt. Der Grad der Flexibilisierung ist damit analog zum Arbeitsleben stark gestiegen. Das macht das Lernen zwar leichter, aber nicht die Prüfung, die heute übrigens viel stärker auf Praxis setzt als auf das Wiedergeben von Fakten. Wie kann ich Erlerntes in mein berufliches Umfeld reibungsarm und gewinnbringend integrieren, sodass Weiterbildung sofort und nachhaltig wirkt? Das ist heute die zentrale Frage.
Was sind die Zukunftsthemen in der Weiterbildung?
Schmäing: Entscheidender als Themen sind die Kompetenzen, mit denen Herausforderungen in Folge von neuen und sich schnell und ständig verändernden wirtschaftlichen Realitäten wie Konjunkturschwankungen, Fachkräftemangel oder eben digitalen-KI-induzierten Disruptionen gemeistert werden können. Die OECD und viele weitere Organisationen veröffentlichen regelmäßig Reports zu den sogenannten „future skills“. Darunter fallen Kollaborationsfähigkeiten, Kreativität und, etwas schwammig formuliert, „komplexe Problemlösungsfähigkeiten“. Viele Umfragen und Studien, aber auch die Erfahrungen aus der Weiterbildungspraxis sowie die IHK-Kompetenzbedarfserhebungen bestätigten, dass Anpassungsfähigkeit eine wesentliche Zukunftsfähigkeit ist. Sich verändern, adaptiv agieren, aufgeschlossen sein – das werden entscheidende Kompetenzen sein.