Wachsen im Ausland

Lohnender Blick über den Tellerrand

Das eine Unternehmen liefert Nougateier nach Australien, das andere bezieht Chemikalien aus Brasilien. Zwei Mittelständler berichten, warum es sich lohnt, auf internationale Märkte zu schauen – und wie die IHK dabei hilft. (Von Tobias Hertel)
Die Eierschale, bunt lackiert, ist ein Naturprodukt. Im Innern verbergen sich aber keinesfalls Eiweiß und Eigelb, sondern Nougat. Das Gut Springenheide hat damit einen Exportschlager gelandet, die originelle Spezialität ist in den USA genauso beliebt wie in Australien. Vor allem aber produziert das Familienunternehmen aus Ochtrup Eierspeisen wie Omeletts, Crêpes oder Frittata. Zu den Abnehmern zählen die Caterer großer Fluglinien wie Lufthansa, United Airlines oder Singapore Airlines.

Von der Landwirtschaft zum Exporteur

Gut Springenheide ist heute ein exportorientierter Mittelständler mit 50 Beschäftigten, dabei liegen die Wurzeln in der Landwirtschaft. Barbara Tusky führt das Unternehmen gemeinsam mit vier Geschwistern, sie ist für den Vertrieb zuständig. „Unser Vater hat sich früh auf die Geflügelwirtschaft spezialisiert“, berichtet sie. Zunächst züchtete und verkaufte Rudolf Tusky Hühner, ab Ende der 60er-Jahre lieferte er selbst Eier an den Lebensmitteleinzelhandel. Mut zu Neuem eröffnete erste Türen zu den weltweiten Märkten. Eier wurden gekocht und gefärbt, Fertigprodukte entwickelt. „Wir haben Mehrwert geschaffen“, bringt es Barbara Tusky auf den Punkt. Nur Hühner gibt es auf dem Gut nicht mehr, längst kommt der Rohstoff für die Lebensmittel von Landwirten aus Deutschland und den Niederlanden.
Entscheidend für den Export-Erfolg war es, international Flagge zu zeigen. Ab Mitte der 90er-Jahre stellte das Gut auf Lebensmittelmessen aus, präsentierte sich auf den Hausmessen von Großverbrauchern, schaltete Anzeigen in Fachmagazinen und vertraute auf eine wachsende Mund-zu-Mund-Propaganda. Weite Wege scheute der Mittelständler nicht: In den USA oder auch in Asien knüpfte er Kontakte zu passenden Importeuren. Erste Aufträge waren der Lohn, so von Airline-Caterern, die Lufthansa, British Airways und Qatar Airways beliefern. Auch das Londoner Kaufhaus Fortnum & Mason wird von Metelen aus versorgt, wo die Produktion beheimatet ist.

Hälfte des Umsatzes international

Das Gut Springenheide hat seine Nische gefunden. „Der Export ist sehr wichtig für uns“, unterstreicht Barbara Tusky. Etwa die Hälfte seines Umsatzes erwirtschaftet der Familienbetrieb im Ausland. Dass die Ausfuhr eines empfindlichen Lebensmittels kompliziert sein kann, räumt sie ein. Neben Eiern stecken unter anderem Kräuter, Pilze, Milchprodukte und Gewürze in den handgemachten Produkten. „Es gibt immer wieder Änderungen im Zoll- oder Lebensmittelrecht“, erklärt sie. Präferenzabkommen der EU mit anderen Ländern schaffen Zollvorteile – nur muss ein Unternehmen von diesen Vorteilen auch wissen. „Es ist deshalb sehr wertvoll für uns, die IHK an unserer Seite zu haben“, betont sie den guten Informationsfluss.
Lkw
© Heider/IHK
Ein solches Präferenzabkommen besteht auch mit Japan, was zollfreie Einfuhren ermöglicht und längere Zwischenstopps im Zolllager erspart. „Das macht Produkte aus der EU wie die von Gut Springenheide international wettbewerbsfähiger“, erklärt Gerhard Laudwein, bei der IHK Nord Westfalen für Außenwirtschaft zuständig. Doch dies ist auch an bestimmte Voraussetzungen gekoppelt: Das Produkt muss nach den im Abkommen festgelegten Bedingungen in der EU produziert werden und Gut Springenheide muss als Exporteur dazu am „Verfahren des registrierten Ausführers“, kurz REX, teilnehmen.
REX soll schrittweise förmliche Präferenznachweise ablösen und ist auch im Freihandelsabkommen CETA mit Kanada vorgesehen – wohin Gut Springenheide ebenfalls liefert. „Das sind positive Veränderungen“, stellt Barbara Tusky klar. Gerade Abkommen, die Zollerleichterungen mit sich bringen, bedeuten für Unternehmer aber zunächst Mehrarbeit. Erfüllen sie überhaupt die Voraussetzungen, beispielsweise dass ein bestimmter Anteil von Zutaten aus Europa kommt? Wird eine Herkunftserklärung benötigt, liegen Erklärungen der Lieferanten vor? „Es gibt viel zu beachten, aber der Draht zur IHK ist immer da.“

Änderungen bei der Zollanmeldung

Große Sorgen bereitete dem Gut Springenheide der Brexit. Auch hier half die IHK mit den neuesten verfügbaren Informationen. „Und mit Onlineangeboten, die auch verständlich sind“, ergänzt sie. Mittlerweile ist Großbritannien für sie ein zwar schwierigerer, aber noch wichtigerer Markt geworden. Aktuell beschäftigt sich Barbara Tusky mit den Änderungen bei der Zollanmeldung, einem Teil des Unionszollkodex. Spätestens zum 29. Oktober verlangt der Gesetzgeber zusätzliche Datensätze, was die Sicherheit in der Lieferkette erhöhen soll. Dazu soll der Exporteur das Kennzeichen des Lkw angeben, mit dem die Waren abgeholt werden. „Das ist noch ganz frisch für uns“, erzählt sie. Praktikabel erscheint ihr diese Regelung nicht. „Die IHK ist aber dran“, betont
sie, was Gerhard Laudwein bestätigt. „Wir sind mit unseren Unternehmen im Gespräch und vertreten ihre Interessen gegenüber der Zollverwaltung“, erläutert er und setzt darauf, dass eine praxisnähere Regelung gefunden wird.
Manchmal aber ist ein Exportgeschäft trotz aller Unterstützung nicht möglich. „Die USA schotten ihren Markt für Eier vollkommen ab“, bedauert Barbara Tusky. Das allerdings gilt nicht für die Variante aus Nougat – sie wird weiter von Metelen aus über den Atlantik geliefert.

Möller Chemie: Import wird wichtiger

Möller Chemie aus Steinfurt liefert chemische Produkte hauptsächlich in Länder der EU. Zudem werden Kunden weltweit, beispielsweise in den USA und Neuseeland, bedient. Die Hauptabnehmer kommen aus der chemischen Industrie, dem Lack- und Farbensektor sowie der Bauchemie. Seit Exportmanagerin Ute Gilmour 2013 zum Großhandels-Unternehmen
stieß, hat aber vor allem der Import weiter an Bedeutung gewonnen. „Wir bekommen Waren aus Europa, Asien sowie aus Nord- und Südamerika“, berichtet sie. Allerdings werde China, ein bedeutender Exporteur für viele Chemikalien, heute als sehr kritisch betrachtet, erklärt sie. „Schon während des Lockdowns war es beschwerlich, Ware aus China zu erhalten.“
Doch auch ohne Corona ist Möller Chemie sehr daran interessiert, die Lieferketten stärker zu diversifizieren. So soll die Abhängigkeit von einzelnen Lieferanten reduziert werden, um somit mögliche Engpässe zu vermeiden. „Ein Lieferant für ein Produkt: Diese Vorgehensweise ist heute nicht mehr anwendbar“, stellt sie fest. Als zum Beispiel ein Rohstoff, der in der Lack- und Farbenindustrie eingesetzt wird, knapp zu werden drohte, sah sich das Unternehmen nach Alternativen um.
Flugzeug
© Heider/IHK
Dabei half die IHK. Eine Datenbank mit HS-Codes brachte Möller Chemie auf die richtige Spur. Der Code steht für das „harmonisierte System zur Beschreibung und Kodierung von Waren“ und wird von den Zollbehörden verwendet. Hierüber ließ sich ermitteln, dass das gesuchte Produkt auch in Nordafrika sowie in Südamerika hergestellt wird. „Aktuell sind wir mit der entsprechenden Auslandshandelskammer (AHK) im Gespräch“, berichtet Ute Gilmour. Diese vermittelt Kontakte zu Lieferanten, wobei Möller Chemie auch schnell erfolgreich war: Der erste ISO-Tank ist bereits auf hoher See.
Ein weiterer Tipp der IHK Nord Westfalen führt nach Skandinavien. „Das schauen wir uns auch noch an“, erklärt die Exportmanagerin – zu viel auf einmal will sich Möller Chemie jedoch nicht „aufbrummen“, wie sie sagt. Das hat auch Zeitgründe: „Es ist immer sehr aufwendig, passende Produzenten zu finden.“ Fast zwangsläufig ist der Importanteil bei Möller Chemie gewachsen, einerseits aus Preisgründen, andererseits aber auch aufgrund der Verfügbarkeiten. Das Großhandels-Unternehmen muss sich dafür nicht nur um die Zollformalitäten kümmern, sondern sich auch intensiv mit den Gegebenheiten vor Ort befassen.


„Hierfür brauchen wir Menschen, die sich mit ausländischen Mentalitäten befassen“, nennt Ute Gilmour ein Beispiel. Da gelte es, Lieferanten und Kunden richtig einzuschätzen. Vor Ort Kontakte zu knüpfen, ist ebenfalls entscheidend. „Deshalb besuchen wir zahlreiche Messen in der ganzen Welt“, erklärt sie. Und nicht zuletzt ist es wichtig, für die einzelnen Produkte die richtigen Länder auszuwählen. Hier gilt es, die genauen Risiken zu untersuchen sowie Freihandelsabkommen und Einschränkungen zu prüfen. Das Russland-Geschäft hat Möller Chemie beispielsweise direkt nach Kriegsausbruch in der Ukraine komplett eingestellt. Die Länderprofile der bundeseigenen Agentur Germany Trade and Invest seien hier sehr hilfreich. „Und es lohnt sich, mit der IHK zu sprechen, denn die Mitarbeitenden sind immer sehr hilfsbereit und liefern neue Ansätze“, betont Ute Gilmour aus ihren eigenen Erfahrungen heraus.