IHK Nord Westfalen

Familienfreundlichkeit als Erfolgsfaktor

Unterstützung für Mitarbeitende ist für die meisten Unternehmen selbstverständlich. Ein Netzwerk von DIHK und Bundesregierung bietet dafür eine Plattform. (Von Daniel Boss)
„Mama, was genau machst du eigentlich, wenn du arbeitest?“ Auf diese Frage – natürlich auch an Väter gerichtet – bekamen etliche Jungen und Mädchen im Jahr 2022 anschauliche Antworten. Die Rose Bikes GmbH hatte mit Hilfe des örtlichen Vereins JusA eine Betreuung für die Herbstferien auf die Beine gestellt. Eine Woche lang wussten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre Kinder in guten Händen. Zum abwechslungsreichen Programm gehörte auch ein Besuch des Unternehmens Rose.
Jeannine Theißen, Personalleiterin bei Rose © Rose Bikes
„Die etwa 20 Sechs- bis Zwölfjährigen konnten in viele Bereiche hinein schnuppern und unter anderem in der Logistik spielerisch beim Verpacken helfen“, erzählt Jeannine Theißen, Personalleiterin beim Fahrrad-Spezialisten. Das Betreuungsangebot, das Rose mit Zuschüssen an die Eltern unterstützte, war ein großer Erfolg. „Wegen der guten Nachfrage planen wir derzeit bereits für die Herbstferien 2024 – in diesem Jahr gab es leider nicht genügend Kapazitäten vom Verein“, sagt Jeannine Theißen. Man arbeite daran, dieses Angebot dauerhaft zu installieren.

Erfahrungen von anderen Firmen

Die Idee zu diesem Ferienspaß war aus dem Unternehmen selbst gekommen. Doch konkrete Anregungen hatte man sich über das bundesweite Netzwerk „Erfolgsfaktor Familie“ geholt. „Es gab ein Webinar zu diesem Thema. Außerdem wurden Kontakte zu Unternehmen vermittelt, die bereits Erfahrungen in diesem Bereich gesammelt haben“, sagt die Personalverantwortliche. Anfang des vergangenen Jahres war Rose dem Zusammenschluss beigetreten. „Durch Zufall waren wir exakt das 8.000ste Mitglied“, so Jeannine Theißen. Zum Gratulieren schaute Bundesfamilienministerin und Schirmherrin Lisa Paus vorbei.
Die Personalabteilung bei Rose war durch Informationsmaterial der DIHK (Deutsche Industrie- und Handelskammer) auf das Netzwerk aufmerksam geworden. Das gemeinsame Projekt der DIHK und des Bundesfamilienministeriums wurde 2007 gegründet und wird vom Netzwerkbüro „Erfolgsfaktor Familie“ in Berlin koordiniert. Es betreut den lockeren Zusammenschluss von Unternehmen, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie stärker in den Blick nehmen wollen – oder bereits Vorreiter auf dem Gebiet sind. Rose hat schon vor seinem Beitritt zahlreiche Maßnahmen im Sinne der Familienfreundlichkeit ergriffen. „Dabei geht es unter anderem um individuelle Lösungen, wenn Mitarbeitende Eltern werden oder sich verstärkt um pflegebedürftige Angehörige kümmern müssen“, so Jeannine Theißen. Die Mitgliedschaft im Netzwerk erleichtere diese Aufgaben deutlich.

Hoher Nutzen fürs Recruiting

Nur wenn die privaten Herausforderungen gemeistert werden können, lassen sich auch im Beruf gute Ergebnisse erzielen. Davon ist man im Familienunternehmen, geführt von Erwin Rose, Tochter Steffi Rose und Ehemann Thorsten Heckrath-Rose, überzeugt. Aber natürlich dient ein familienfreundliches Ambiente auch dem Recruiting. Stimmen diesbezüglich die Bedingungen nicht, kann das zu Frust und letztlich zum Jobwechsel führen. Jeannine Theißen schildert den Beispielfall eines neuen Mitarbeiters in der Verwaltung, der auch wegen der Homeoffice-Möglichkeit zu Rose kam. „Bei seiner vorherigen Stelle herrschte 100 Prozent Präsenzpflicht. Durch das Pendeln verlor der Kollege mehr als eine Stunde pro Tag.“
Jeannine Theißen will nun weitere wichtige Familien-Themen angehen, auch wieder mit Unterstützung durch das Netzwerk. „Ich sehe unter anderem einen hohen und stetig wachsenden Bedarf in der Unterstützung zur Pflege von Angehörigen.“ Hier möchte sie zunächst ausloten, welche Unterstützungsleistungen sinnvoll und machbar sind. „Erst wenn konkrete Maßnahmen erarbeitet sind und auch tatsächlich angeboten werden können, sollte man als Unternehmen damit werben – sonst sind Enttäuschungen vorprogrammiert“, meint Jeannine Theißen.
Lokales Bündnis für Familie
Ein Lokales Bündnis für Familie ist der Zusammenschluss verschiedener gesellschaftlicher Gruppen sowie Akteurinnen und Akteure mit dem Ziel, die Lebens- und Arbeitsbedingungen für Familien vor Ort durch konkrete Projekte zu verbessern und somit bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu unterstützen. Das Bundesfamilienministerium hat ein Servicebüro eingerichtet, das den Aufbau und die Weiterentwicklung der Lokalen Bündnisse bundesweit koordiniert und unterstützt.
Allein im IHK-Bezirk Nord Westfalen gibt es Bündnisse in Lengerich, Ibbenbüren, Rheine, Gronau, Vreden, Rhede, Bocholt, Isselburg, Dorsten, Recklinghausen, Ahlen, Sendenhorst, Ostbevern und Telgte. Über das Lokale Bündnis für Familien in Bocholt hat das Servicebüro jüngst einen Film gedreht.
Alle weiteren Bündnisse finden sich auf der Website:
www.lokale-buendnisse-fuer-familie.de
https://www.lokale-buendnisse-fuer-familie.de/lokale-buendnisse-familie/unsere-buendnisse/buendnisfinder
Mittlerweile hat das Netzwerk mehr als 8.500 Mitglieder. Die Spannbreite reicht von KMUs bis zu DAX-Konzernen. Auch im Bezirk der IHK Nord Westfalen nutzen mehrere Unternehmen die Plattform. Zu ihnen gehört die Metallwerke Renner GmbH in Ahlen. Der Spezialist für Blechverarbeitung und Oberflächentechnik wurde 2014 als familienfreundliches Unternehmen im Kreis Warendorf ausgezeichnet. „Nach Erhalt dieses Siegels habe ich mich entschlossen, dem Netzwerk noch im selben Jahr beizutreten“, sagt der geschäftsführende Gesellschafter Jürgen Henke. Die damalige Zertifizierung sei für das Unternehmen der Anstoß zu weiteren Maßnahmen gewesen. „Und im Netzwerk gibt es hilfreiche Informationen rund um eine entsprechende Personalpolitik.“

Flexible Arbeitszeitmodelle

Ziel bei Renner sei es, den Beschäftigten die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu erleichtern. „Wir haben Mütter und Väter, die für ihre Kinder sorgen müssen und Mitarbeitende, die sich um pflegebedürftige Angehörige kümmern müssen und wollen.“ Aktuell bietet das Unternehmen einer alleinerziehenden Mutter mit drei Kindern eine Teilzeit-Ausbildung an. Der Firmenleitung ist es wichtig, auch die Väter in den Blick zu nehmen, Stichwort Elternzeit. „Wenn das Kind dann in den Kindergarten kommt, kommen wir den Vätern mit den Schichtzeiten entgegen.“ Flexible Arbeitszeitmodelle (24, 25, 30 oder 32 Stunden) sollen helfen, berufliche Aufgaben mit familiären Herausforderungen unter einen Hut zu bringen. „Dieses flexible Arbeiten steigert auch die Produktivität“, betont der Geschäftsführer. Es herrsche eine offene Kommunikation über private Belange und Hilfen – auch monetärer Art. Für die Zukunft gibt es Planungen, Altersteilzeit-Modelle einzuführen.
Nach Meinung von Jürgen Henke ist es entscheidend, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie von der Geschäfts- und Betriebsleitung vorgelebt wird. „Nur so erreicht man eine authentische Unternehmenskultur.“ Man verzeichne eine positive Resonanz von den Mitarbeitenden, „die uns als Unternehmen und Arbeitgeber weiterempfehlen“, aber auch von Kunden und Lieferanten. Die Azubi-Akquise laufe recht erfolgreich. „Doch wir betrachten eine familienfreundliche Personalpolitik nicht allein unter dem Aspekt der Fachkräftesicherung. Wir helfen auch in akuten Notsituationen und möchten durch verschiedene Aktionen wie Grill-Veranstaltungen, gemeinsames Fußballspielen oder Gutscheine zum Geburtstag zur Motivation beitragen.“ Mit Blick auf Ge sundheit und Fitness bietet Renner Job-Räder an. „Die sind sehr beliebt.“

Auszeichnung in Bocholt

Familienfreundlichkeit fördern will auch das „Bündnis für Familie in Bocholt“. Der Verein verleiht alle zwei Jahre die „Bocholter Auszeichnung für Familien-Freundlichkeit“, kurz BAFF. Zur Jury gehört Sven Wolf, Geschäftsbereichsleiter Weiterbildung und Unternehmensförderung bei der IHK Nord Westfalen. „Wir sind dabei nicht auf der Suche nach dem ,perfekten“ Unternehmen’“, betont Sven Wolf. Vielmehr interessieren die Jury die kleinen und großen Maßnahmen, die vor Ort in den Unternehmen helfen, die Familienfreundlichkeit im Sinne der Beschäftigten zu verbessern. „Familienfreundlichkeit zahlt sich aus und ist ein wichtiger Baustein, um im Wettbewerb um Fachkräfte mithalten zu können“, ist Wolf überzeugt.
Karsten Bösing, Geschäftsführer von Effekt Grafik Werbeträger GmbH & Co. KG. © Effekt Grafik
Im Jahr 2023 ging der inzwischen siebte BAFF-Preis an die Effekt Grafik Werbeträger GmbH & Co. KG. „Das Unternehmen hat beispielsweise die Reha eines schwerkranken Kindes einer Mitarbeiterin mitfinanziert“, so Jury-Mitglied Wolf. „Zudem wurde die Ehefrau eines Geflüchteten kurz nach dem Familiennachzug im Unternehmen eingestellt.“ Ein weiteres Beispiel: Der Wechsel von Vollzeit in befristete Teilzeit – wegen eines plötzlichen Pflegefalls in der Familie – wurde kurzfristig und ohne großen Aufwand ermöglicht.
„Familienfreundliche Maßnahmen können dazu beitragen, denn Stress und die Belastungen unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu verringern, die oft mit den beruflichen und familiären Verpflichtungen einhergehen“, sagt Geschäftsführer Karsten Bösing. Er und sein Kollege Patrick Kays sind selbst junge Familienväter – „und wissen nur zu gut, wie schwer es oft ist, den Job und das Familienleben unter einen Hut zu bekommen“.

Besonderes Eltern-Kind-Büro

Die etwas mehr als 80 Mitarbeitenden können ihre Arbeitszeiten weitgehend flexibel gestalten. Elternzeit-Programme sollen helfen, frisch gebackenen Müttern und Vätern Raum für die Betreuung ihrer Kinder zu geben. Auch das Homeoffice soll dazu beitragen. „Wir unterstützen Familien bei der Suche nach einer qualitativ hochwertigen Kinderbetreuung“, fügt Karsten Bösing hinzu. „In Notfällen können die Kinder mit zur Arbeit gebracht werden. In unserem eigens dafür eingerichteten Eltern-Kind-Büro sind Spielen und Arbeiten gleichzeitig möglich.“ Vierbeinige Familienmitglieder werden ebenfalls berücksichtigt: „An manchen Tagen haben wir 15 Hunde im Büro.“
„Ein Team mit der Möglichkeit, Arbeit und familiäre Verpflichtungen in Einklang zu bringen, ist zufriedener. Das Risiko, Mitarbeitende zu verlieren, ist entsprechend geringer.“ In den vergangenen Monaten konnte Effekt Grafik sogar einige Rückkehrer verzeichnen, die nach ein paar Monaten in anderen Unternehmen inzwischen wieder am alten Platz tätig sind. „Das macht uns sehr stolz und zeigt, dass wir uns auf dem richtigen Weg befinden“, so der Geschäftsführer.