Jour-Fixe-Interview

Welcher Ingenieur kann Ziegen zuschauen?

IHK-Hauptgeschäftsführerin Tanja Traub im Gespräch mit
Armin und Volker Gallatz, Gründer des Innovationscampus Empfingen
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Vom Munitionsdepot der Bundeswehr zum wissenschaftlichen Innovationscampus: Wie kam es zu diesem ungewöhnlichen Projekt?

Armin Gallatz (AG): Wir waren mit unserem Unternehmen, der MWI AG, oft am KIT in Karlsruhe. Das KIT ist weiträumig, die verschiedenen Institute und Abteilungen sind auf dem Gelände großzügig verteilt. Uns hat die Atmosphäre dort immer sehr gefallen. Der Austausch mit anderen Forschenden, manchmal draußen im Grünen auf dem Campus, das hat uns fasziniert. Irgendwann erreichte uns die Information: Dieses Gelände hier ist vakant. Und so kamen wir auf den Gedanken, ein „kleines KIT“ in Empfingen zu gründen. Das war die Idee.
Volker Gallatz (VG): Was, in der Rückschau betrachtet, recht mutig war. Sie müssen wissen: Die Rechtsnachfolge von Bundeseigentum anzutreten, ist eine komplizierte Sache. Zum Zeitpunkt des Kaufs 2014 haben wir nicht gewusst, was uns hier erwartet, gerade auch im Hinblick auf Rückstände im Boden oder Ähnliches. Wir mussten die „Katze im Sack“ kaufen und dann die Bewertung des Geländes durch das Umweltamt abwarten.

Wie haben Sie dieses wagemutige Vorhaben finanziert?

AG: Den Kaufpreis für das Gelände haben wir und die Kommanditisten komplett privat eingebracht, weil keine Bank und auch keine Partner so ein Vorhaben unterstützen. Es hat rund zweieinhalb Jahre gedauert, bis überhaupt klar war, dass wir unsere Vision hier verwirklichen können.

Wie ging es dann weiter?

VG: Das Gelände stand ja über 20 Jahre leer. Der erste Schritt war deshalb, die Infrastruktur auf Vordermann zu bringen. Hier gab es noch nicht einmal einen Telefonschluss. Wir haben zunächst alle Wasser- und Stromleitungen erneuert und uns um einen Internetanschluss gekümmert. Heute können wir einen Internet-Traffic von 100 Gigabit synchron bieten, im Upload und im Download. Allein das war eine sechsstellige Investition.
AG: Anfang 2017 haben wir dann angefangen, Menschen hierher einzuladen und zu beschreiben, wie wir aus einem Militärgelände einen Forschungscampus machen wollen. Erklären Sie das einmal einer Behörde! Wir haben bis heute keinen Euro Fördermittel erhalten. Das kam alles aus dem Privatvermögen der Kommanditisten.
VG: Ich sehe die Fragezeichen in Ihren Augen ... Sie müssen wissen: Wir verstehen dieses Projekt nicht rein wirtschaftlich. Wir waren uns von Anfang an einig, dass wir mit dieser Gesellschaft kein Geld verdienen wollen. Sie soll unser Vermächtnis werden

Wie ist es Ihnen gelungen, so renommierte Institute wie das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und innovative Unternehmen nach Empfingen zu locken?

AG: Bei den Start-ups werben wir damit, dass sie zunächst kostenfrei auf unserem Campus starten können. Wissenschaftliche Einrichtungen überzeugen wir mit unserem Leistungsspektrum, das wirklich sehr umfassend ist. Man muss wissen, dass die bauliche und technische Infrastruktur, die für wissenschaftliche Projekte im Bereich Energie- und Umwelttechnik aufgebaut werden muss, eine große Hürde darstellt.
VG: Wenn eine staatliche Einrichtung ein Gebäude benötigt und es selbst bauen möchte, sind die unflexiblen Strukturen und Vorschriften – europaweite Ausschreibung jedes Gewerks etc. – ein Hindernis. Wir können eine effiziente Alternative bieten, indem wir erfragen, was genau gebraucht wird, und wir bauen das dann und vermieten an die Einrichtung. Wir haben einfach erkannt, was deren Problem bei der Realisierung von Forschung ist, und bieten die Lösung.
AG: Wir realisieren ein Bauprojekt also deutlich schneller und preiswerter, als das intern funktionieren würde. Das liegt an unserer Struktur, weil wir weniger Entscheidungsebenen haben. Und weil wir hier vor Ort sehr gut vernetzt sind und die regionalen Handwerker einbeziehen. Zudem werden wir im Rahmen des Möglichen von unserem Bürgermeister Ferdinand Truffner, vom Landrat des Landkreises Freudenstadt Dr. Klaus Michael Rückert und von der Landtagsabgeordneten für den Wahlkreis Freudenstadt Katrin Schindele tatkräftig unterstützt. Ohne Hilfe Dritter kann so ein Konzept nicht funktionieren.

Welche Vorteile können Sie Ihren Mietern außerdem bieten?

VG: Viele überzeugt die Abgeschiedenheit des Geländes und die technische Sicherung. Diese verhindert ungewollten Zutritt, Vandalismus und Diebstahl, vor allem auch Diebstahl von geistigem Eigentum. Außerdem verfügt Empfingen über eine eigene Autobahnauffahrt, Sie kommen in wenigen Minuten von der Autobahn zu uns.
AG: Durch die Campusstruktur schaffen wir ein Netzwerk zwischen den Menschen, die hier arbeiten. Auch die Natur, die wunderbare Lage im Wald, mitten im Grünen, ist ein Argument. Das ist ein Stück Lebensqualität. Welcher Ingenieur kann schon während der Arbeit kletternden Ziegen zuschauen?

Ziegen? Was hat es mit den Ziegen auf sich?

AG: Wir haben Bereiche und Flächen auf dem Gelände, die Lebensraum für Tiere und Pflanzen bieten, für Zauneidechsen oder Grasfrösche zum Beispiel. Diese Bereiche wollen wir möglichst naturnah erhalten. Ziegen eignen sich für die Landschaftspflege optimal, weil sie zum Beispiel auf die überwachsenen Bunkeraußenanlagen hochklettern, sich da um den Rasen kümmern und die Brombeerhecken abfressen.

Das passt gut zu dem Umdenkprozess in Richtung alternative und nachhaltige Gewerbegebiete. Auch die IHK Nordschwarzwald hat vor einigen Jahren angefangen, in diese Richtung Konzepte zu entwickeln.

VG: Wir können nur bestätigen, dass das viele der Menschen, die hier arbeiten, überzeugt. Das würden wir uns auch anderswo für neue Gewerbeflächen wünschen: Da gehören Bäume hinein, unbewirtschaftete Wiesen – man muss doch nicht jeden Quadratmeter nutzen oder mit Zierblumen bepflanzen. Lässt man eine Wiese einfach mal drei Jahre wachsen, hat man eine natürliche Vielfalt, die ganz von alleine entsteht. Wir wollen möglichst viele Grünflächen naturnah erhalten. Auch Bienen haben wir hier, um die sich ein Imker kümmert.
AG: Übrigens bekommt jedes neue Gebäude hier eine Photovoltaikanlage. Die Dächer werden schon so gebaut, dass sie für Photovoltaik möglichst optimal ausgelegt sind. Wir denken natürlich auch über Speichermöglichkeiten nach. Unsere Vision ist, den Campus energieautark zu machen.

Wo sehen Sie den Innovationscampus in zehn Jahren?

AG: Bis dahin werden wir das Projekt in eine Stiftung überführt haben. Aber mein Bruder und ich werden dem Innovationscampus sicher verbunden bleiben. Ich könnte mir vorstellen, dass wir im Stiftungsrat aktiv sind, junge Unternehmen mit unserem Rat, vielleicht auch finanziell unterstützen.
Armin und Volker Gallatz,

Ingenieure und gebürtige Empfinger, sind ihrem Heimatort sehr verbunden. Beide haben vor ihrem Studium eine Ausbildung absolviert. 2006 gründeten sie gemeinsam die MWI Micro Wave Ignition GmbH, aus der später die MWI AG entstand. Seit 2014 entwickeln sie auf einem ehemaligen Bundeswehrgelände im Empfinger Wald die Vision, einen Forschungscampus zu etablieren.
Dr. Ana Kugli