Jour-Fixe-Interview

Europa wird auf den Weltmärkten

IHK-Hauptgeschäftsführerin Tanja Traub im Gespräch mit
Jürgen Pfab und Jürgen Steinbeck, Geschäftsführer der Richard Wolf GmbH

Bildergalerie

Wie beurteilen Sie den Wirtschaftsstandort Europa?

Jürgen Steinbeck: Die Pandemie, die volatile geopolitische Lage und die daraus folgenden Beschaffungskrisen sind auch an uns nicht spurlos vorbeigegangen. Vom Grundsatz her ist der Bereich Medizin und Medizintechnik relativ stabil, was Konjunkturschwankungen betrifft. Jedoch haben auch wir mit gestörten Lieferketten zu kämpfen. Der US-Markt ist für uns der weltweit größte Markt. Deshalb richten wir unser Augenmerk auf die politischen Rahmenbedingungen. China ist mittlerweile durch die „Made in China”-Politik vom Umsatzvolumen her deutlich gesunken. Um dem entgegenzusteuern, investieren wir in eine eigene Fertigung vor Ort, wenngleich dies ein Risiko ist. Europa und vor allem Deutschland werden auch in Zukunft für uns von besonderer Bedeutung sein. Vor allem der Erhalt und der Ausbau der Arbeitsplätze ist uns eine Herzensangelegenheit. Wir wissen aber auch, dass aus Umsatz- und Ertragssicht Europa an Gewicht verlieren wird. 

Was belastet Sie mehr: die Bürokratie oder das Thema Energie und Versorgungssicherheit? 

Jürgen Steinbeck: Uns belastet beides. Von der Auswirkung auf unsere Leistungs- und Innovationsfähigkeit her muss man jedoch sagen, dass die ausufernden Verordnungen aus Brüssel und Berlin für uns enorme Hürden darstellen. Im Ausland lacht man schon über uns Deutsche, weil wir immer noch eins draufsatteln.

Medizinprodukte müssen sicher sein. Dafür sorgt die EU-Verordnung „Medical Device Regulation“ (MDR), die 2017 etablierte Vorgänge für die Einführung von Medizinprodukten abgelöst hat. Wie wirkt sich das auf Ihre Geschäfte aus?

Jürgen Steinbeck: Die Richard Wolf GmbH war als eines der ersten Unternehmen „MDR-ready“. Der Weg dorthin, aber auch die Belastung durch die MDR, ist eine Herausforderung. Neben Millionenausgaben mussten über 50 Prozent unserer Entwicklungsressourcen in die Aufarbeitung von Dokumenten investiert werden. Die personellen Ressourcen fehlen für die Entwicklung neuer Produkte. Die negativen Auswirkungen spüren wir erst in den nächsten Jahren. 

Wie senken Sie angesichts drohender Mangellage den betrieblichen Energieverbrauch? 

Jürgen Pfab: Wir setzen konsequent auf bessere Energieeffizienz. Das betrifft sowohl die Gebäudesanierung als auch die Anschaffung von Maschinen und Anlagen, die nur noch die Hälfte des Stroms benötigen. Mit mehr Photovoltaik werden wir unabhängiger vom Energiezukauf. Es gibt eine Fülle weiterer Einzelmaßnahmen, wie die sukzessive Umstellung auf LED-Beleuchtung. Aktuell planen wir die Einführung eines Energiemanagementsystems, um zielgerichtet Einsparpotenziale aufzuspüren. Dazu brauchen wir gut ausgebildete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Deshalb nehmen einige Auszubildende am Energiescout-Programm der IHK teil. Damit schaffen wir für die Zukunft eine bessere Basis. 

Das Thema Versorgungssicherheit ist auch bei kritischen Rohstoffen wie Seltene Erden oder Metallen für viele Firmen relevant. Wie ist das bei Ihnen?

Jürgen Pfab: Die Versorgungssicherheit ist entscheidend für unseren Erfolg. Im Nachgang zur Coronakrise wurden wir hart von der Lieferkettenproblematik getroffen. Durch den außerordentlichen Einsatz aller Beteiligten aus Forschung und Entwicklung sowie Produktion und Einkauf ist es uns jedoch gelungen, die Krise zu meistern. Generell würden wir begrüßen, wenn es Europa gelänge, hier unabhängiger zu werden. Wenn wir nämlich ein Produkt deshalb ändern müssten, wäre automatisch die Zulassung erloschen.

2022 wurden Sie Opfer eines weitreichenden Cyberangriffs. Wie bewerten Sie das Thema für unsere Wirtschaft?

Jürgen Pfab: Vor einem Jahr war es Cyber-Kriminellen mittels Ransomware gelungen, Teile unserer Sicherheitssysteme zu umgehen, um Lösegeld zu erpressen. Zunächst mussten alle unsere Systeme heruntergefahren und die Forensik gestartet werden. Dank eines hervorragenden Notfallmanagements und einem gemeinsamen Kraftakt unserer Belegschaft ist es uns jedoch schon nach wenigen Tagen gelungen, Herr der Lage zu werden. Wir haben kein Lösegeld bezahlt und auch nicht mit den Kriminellen verhandelt. Seitdem haben wir jedoch massiv in IT-Sicherheit investiert. Unsere Infrastruktur ist deutlich segmentierter geworden. Alle Geräte im Netzwerk werden gesondert überwacht und bei Anmeldungen ist die Zwei-Faktor-Authentifizierung betriebsübergreifend obligatorisch. In den nächsten Monaten werden wir weitere IT-Sicherheitsmaßnahmen einführen. Allerdings muss man auch sagen, dass es trotz aller Vorkehrungen keinen hundertprozentigen Schutz gibt und Cyberangriffe ein sehr großes Risiko für die gesamte Wirtschaft darstellen. Das kurzfristige Lahmlegen eines Unternehmens kann zu immensen wirtschaftlichen Schäden führen. Das kann sich durch den Dominoeffekt auch auf strategische Partnerunternehmen auswirken. 

Mit welcher Strategie begegnet Ihr Unternehmen dem Fachkräftemangel? 

Jürgen Pfab: Auch wir können nicht alle offenen Stellen besetzen. Je nach Anforderungsprofil fahren wir eine vielfältige Strategie. Im Rahmen unserer sehr engen Zusammenarbeit mit der Hochschule Pforzheim beteiligen wir uns unter anderem am Deutschland-Stipendium.Unser Anteilseigner, die Richard und Annemarie Wolf-Stiftung, ist Förderer des Kompetenzzentrums „Center for Market Access and Regulatory Affairs“, das an der Fakultät für Technik angesiedelt ist. Auch mit dem KIT in Karlsruhe haben wir Kooperationen, um die studentische Ausbildung zu fördern und Studienabgänger für uns zu gewinnen. Um auch die ganz Jungen anzusprechen, beteiligen wir uns an Jugend forscht, richten Girls-Days aus, kooperieren mit der Faust-Schule in Knittlingen und bieten Praktika an. Außerdem sind wir auf regionalen Ausbildungsmessen vertreten. In den vergangenen Jahren haben wir sowohl die Zahl der Ausbildungsplätze deutlich erhöht als auch zusätzliche Ausbildungsberufe angeboten. Unsere Auszubildenden sind in ein neues, hochmodernes Ausbildungszentrum umgezogen. Selbstverständlich investieren wir auch in die Ausbildung und Entwicklung unserer Belegschaft durch externe und interne Weiterbildungsprogramme. 
Jürgen Pfab und Jürgen Steinbeck

haben 2013 gemeinsam die Geschäftsführung der Richard Wolf GmbH übernommen. Jürgen Pfab (61) ist für die Finanzen, einschließlich IT, Facility Management, Einkauf, Personal und Produktion zuständig. Jürgen Steinbeck (55) verantwortet die Bereiche Vertrieb und Marketing, Forschung und Entwicklung, Qualität und Regulatorik, Supply Chain Management (SCM) sowie Logistik.
Werner Klein-Wiele