Jour-Fixe-Interview

Alle, die sich erst jetzt auf den Weg machen

IHK-Hauptgeschäftsführerin Tanja Traub im Gespräch mit
Dr. Andreas Kämpfe, Geschäftsführer der Witzenmann-Gruppe
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Herr Dr. Kämpfe, die Witzenmann-Gruppe blickt auf eine lange Geschichte zurück und gilt als Innovationsführer. Wie schaffen Sie es, Tradition und Innovation zu verknüpfen? 

Als Heinrich Witzenmann 1885 in der Goldstadt Pforzheim die Schmuckproduktion transformierte, um sich ganz der Produktion flexibler Metallschläuche zu widmen, wurde er zunächst belächelt. Von der Innovation bis zur Umsetzung ist es oft ein weiter Weg. Wer Erfolg haben möchte, braucht nicht nur gute Produkte und zündende Geschäftsideen, sondern muss den Markt beobachten. Was der Kunde braucht oder will, kann sich morgen schon radikal verändert haben. Deshalb muss man immer offen für Neuerungen sein. 

Wie wichtig ist eine Innovationskultur? 

Innovation ist eine Frage der Einstellung. Unsere Produkte haben sich immer weiterentwickelt, bis hin zur komplexen Funktionalität. Dafür braucht man eine Veränderungskultur, gesunde Neugierde, Zeit und die Bereitschaft, sich vom Gewohnten wegzubewegen. 

Ist die Digitalisierung ein Innovationstreiber? 

Mit der Digitalisierung kann man über ganz neue Aspekte nachdenken. Die Entwicklung verläuft in Wellen. Aktuell beschäftigt uns die KI-gestützte Automatisierung sehr stark. Wichtig ist, Klarheit zu gewinnen, welche Technologien in welcher Ausprägung zukunftsträchtig sind.

Welche Entwicklungen stufen Sie für Witzenmann als vielversprechend ein? 

Elektrizität und Wasserstoff sind die wesentlichen Energieträger der Zukunft. Bei Wasserstoffanwendungen sehe ich sehr großes Potenzial für unsere Produkte. Im Verkehrssektor macht es dagegen wenig Sinn, aus elektrischem Strom Kraftstoff zu gewinnen. Ich sehe Wasserstoff als Energieträger für den Verkehr eher skeptisch, denn voraussichtlich wird er nicht in ausreichender Menge vorhanden sein. Bei Energiespeicherdichte und Ladezeiten ist hingegen unwahrscheinlich viel passiert. Die Batterietechnik wird sich noch deutlich verbessern. Auch im Bereich des Thermomanagements von Batterien sehen wir Chancen für unsere Produkte.

Warum ist unsere Ladeinfrastruktur noch so schlecht aufgestellt? 

In urbanen Zentren ist die Ladeinfrastruktur teilweise schon recht gut ausgebaut, auf dem Land sieht das noch anders aus. Das wird sich aber lösen lassen. Wir sind auf dem richtigen Weg. Schließlich dürfen wir nicht vergessen, dass wir – auch als Gesellschaft – erst seit zehn Jahren über die Zeit nach dem Verbrennungsmotor nachdenken. Für uns stand schon vor Jahren fest, dass wir weg vom Verbrennungsmotor müssen. Bei der aktuellen Dynamik gilt allerdings: Alle, die sich erst jetzt auf den Weg machen, sind zu spät dran. 

Witzenmann legt großen Wert auf Nachhaltigkeit. Welche Bedeutung messen Sie den Themen CO2-Reduktion und Ressourceneffizienz bei?

Wir haben als Purpose in unserem Leitbild verankert, dass wir helfen wollen, die Welt sauberer und verlässlicher zu machen. Auf dieser Basis ist bei uns die Nachhaltigkeitsstrategie entstanden. Wir arbeiten kontinuierlich an der CO2-Reduktion unserer eigenen Prozesse. So wollen wir im Pforzheimer Gewerbegebiet Buchbusch eine klimaneutrale Fertigung aufbauen. An unserem Standort in Zwickau entsteht gerade das erste klimaneutrale Verwaltungsgebäude in der Witzenmann-Gruppe. 

Sie sind seit 2022 Mitglied in der Allianz Wasserstoffmotor und richten zunehmend den Fokus auf diesen Energieträger. Welche Chancen sehen Sie für den Bau von Anlagen zur Wasserstofferzeugung sowie seine Nutzung?

Technologisch zeichnen sich deutliche Entwicklungsrichtungen ab. Ein Wasserstoffmotor für die Straße kann allenfalls eine Übergangslösung sein und auf der Schiene ist er nicht konkurrenzfähig. Für Wasserstoff werden eher andere Anwendungen im Vordergrund stehen: An allererster Stelle stehen dabei die Chemie- und Grundstoffindustrie, zum Beispiel die grüne Stahlerzeugung. Auch eine gute Netzstabilität für die Elektromobilität erreichen wir nur mit ausreichend Speicherkapazitäten. Das kann mit Batterien, aber eben auch über Wasserstoff gelöst werden. Deshalb sind wir auf diesem Feld aktiv. Ein weiteres wichtiges Thema wird die energetische Gebäudesanierung sein. Themenfelder wie Lüftung, Klima und Heizung gehen wir bereits intensiv an. Danach stehen sicher Nutzung, Speichern und Aufbereitung von Wasser auf der Agenda. Die Mobilität wird auch künftig Thema sein, aber darin sehe ich keinen Wachstumsmarkt mehr. Das gilt auch für die klassische Chemie- und die Grundstoffindustrie. Alles, wofür viel Energie gebraucht und CO2 ausgestoßen wird, hat wenig Zukunft. In neuen Prozessen steckt dagegen viel Potenzial. Dazu gehören unter anderem das Herausfiltern von CO2 aus der Luft oder die Produktion von grünem Wasserstoff. Wir sind da völlig technologieoffen und begleiten diese Entwicklungen.


Wie blicken Sie auf die Zukunft des Standorts Pforzheim? Wie wird sich die Beziehung zwischen Witzenmann und Pforzheim entwickeln?

Die Beziehung stimmt. Die Familie Witzenmann steht zum Standort Pforzheim und ist bestrebt, ihn weiter auszubauen. Wir fühlen uns in Pforzheim wohl und spüren auch Verständnis der Stadt für unsere Belange. 

Wie stellt Witzenmann den Know-how-Transfer zwischen seinen internationalen Standorten sicher? Spielen interne Schulungen und Weiterbildungen eine Rolle, um das Wissen um neue Technologien innerhalb der Gruppe zu verbreiten? 

Man kann das digital gut abbilden. Mir ist es aber auch wichtig, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter regelmäßig zu Trainings zu uns ins Haus kommen. Denn „Learning by Doing“ ist immer noch einer der wichtigsten Grundsteine. Wir haben eine starke hausinterne Weiterbildung, greifen aber auch auf externe Angebote zurück, zum Beispiel von der IHK. Auf der anderen Seite bauen wir das Engineering international weiter aus, um unsere Tochterfirmen in die Lage zu versetzen, selbstständiger zu arbeiten. Nicht zuletzt ist unser internes Netzwerk eine große Stärke von Witzenmann, die ihresgleichen sucht. 

Wie halten Sie es mit der Zukunft der Arbeitswelt? 

Bei uns arbeitet gut die Hälfte der Bürobelegschaft mobil. Trotzdem haben alle noch einen eigenen Schreibtisch hier stehen. Das hat eine emotionale Komponente, die auch wichtig für die Identifikation ist. Die Leute gehen sehr verantwortungsbewusst mit dem mobiles Arbeiten um. Insgesamt ist Präsenz im Betrieb aber notwendig, denn Ideen entstehen oft spontan aus einer Diskussion heraus. Wir machen uns viele Gedanken, wie man „New Work“ auch in der Fertigung umsetzen kann. Das ist viel schwieriger als im Büro, aber genauso wichtig. Die Trennung zwischen Arbeit und Freizeit ist ebenso wichtig, denn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sollten auch mal abschalten können. 
Dr. Andreas Kämpfe

wurde 1972 in Chemnitz geboren. Er studierte Maschinenbau an den Universitäten Dresden, Denver und Karlsruhe. 2001 promoviert er und trat als Entwicklungsingenieur in die Witzenmann GmbH ein. Seit 2013 ist er in der Geschäftsführung und wurde 2017 zu deren Vorsitzendem ernannt.
Werner Klein-Wiele