Uni on Top

„Die Leistungen der Auszubildenden haben uns sofort beeindruckt"

Sechs Berufskollegs aus dem Gebiet der Niederrheinischen IHK kooperieren in einem Projekt mit der Mercator School of Management (MSM) der Universität Duisburg-Essen. Das Programm ermöglicht Auszubildenden, Studium und Ausbildung gleichzeitig anzugehen. Dr. Wanja von der Goltz (44), Studiendekan der MSM, und Dr. Max Briesemeister (39) vom Kaufmännischen Berufskolleg Duisburg- Mitte sprechen über ihre Erfahrungen mit „Uni on Top“, das der Exzellenzförderung dienen soll und mit dem die Zahl der Auszubildenden künftig sogar steigen könnte.
Herr Dr. Briesemeister, wie ist die Idee entstanden, bei Ihnen im Berufskolleg die Themen Ausbildung und Studium miteinander zu verknüpfen?
Dr. Max Briesemeister, Kaufmännisches Berufskolleg Duisburg-Mitte © privat
Dr. Max Briesemeister: Ich arbeite seit 2018 am Berufskolleg und habe dort schnell festgestellt, dass in den Klassen einige Auszubildende sitzen, die wirklich exzellente Leistungen bringen. Wir wollten ihnen die Möglichkeit einräumen, sich während der Berufsausbildung weiterzuentwickeln. Da ich vorher wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni Duisburg- Essen war, hatte ich einen guten Draht zu den Verantwortlichen. Wir haben uns zusammengesetzt und ein Modell entwickelt, bei dem geeignete Kandidaten schon während der Ausbildung erste Credits erwerben können.



Klingt zunächst nach einem dualen Studium.
Briesemeister: Da gibt es große Unterschiede. Bei unserem Konzept ist es für Azubis möglich, sich Leistungen, die sie am Berufskolleg erbracht haben, für die Uni anrechnen zu lassen. Das Uni-Studium startet meist nicht direkt parallel zum Ausbildungsbeginn, sondern erst, wenn die Azubis in ihrer Ausbildung etabliert sind. Außerdem ist unser Modell sehr individuell gestaltet: Wer mehr Zeit für den Abschluss braucht, kann sich diese nehmen. Ende 2020 ging es für die ersten Auszubildenden los. Viele haben seither bewiesen, dass es möglich ist, sowohl in der Berufsschule als auch an der Uni sehr gute Leistungen zu erbringen.
Herr Dr. von der Goltz, was für einen Vorteil haben Sie als Hochschulvertreter gesehen?
Dr. Wanja von der Goltz, Studiendekan der Mercator School of Management © C.R.
Dr. Wanja von der Goltz: Wir wollten dem Berufskolleg eigentlich einen Gefallen tun. Als dann die ersten Auszubildenden zu uns gekommen sind, waren wir schnell tief beeindruckt. Schon im ersten Jahrgang waren so tolle Leute dabei, die in den Veranstaltungen mit ihren Leistungen herausgestochen haben. Deshalb waren wir angefixt und haben erkannt, dass das Projekt auch für die Uni ganz interessant sein kann. Und dann kamen schnell weitere Schulen und Bildungsgänge hinzu.

An welche Auszubildenden richtet sich „Uni on Top“?
Briesemeister: Wir sind mit den Steuerfachangestellten gestartet, mittlerweile sind neun Ausbildungsberufe dabei. Bankkaufleute und Sozialversicherungsfachangestellte sind beispielsweise dazu gekommen.
Von der Goltz: Wir bieten das Modell ausschließlich für kaufmännische Berufe an, weil wir eine BWL-Fakultät sind. Aber so ein Konzept könnte man zum Beispiel auch gut auf den Bereich Informatik übertragen.
Was muss ein Auszubildender mitbringen?
Briesemeister: Die Ausbildung steht weiter im Vordergrund und muss exzellent laufen. Das ist den Betrieben und den Schulen sehr wichtig. Kein Azubi sollte sich übernehmen. Wer in der Ausbildung stark performt, kann sich in der Regel selbst organisieren, bringt eine gute Auffassungsgabe mit und ist deshalb ein guter Kandidat für „Uni on Top“. 
Von der Goltz: Das Abitur ist natürlich eine Grundvoraussetzung. Eine Sache möchte ich betonen: „Uni on Top“ wird nie etwas für die breite Masse sein. Wir haben vielleicht die besten zehn Prozent einer Berufsschulklasse im Blick. Unser Ansatz ist nicht, dass auf einmal alle zur Uni kommen. Es geht mehr um eine Exzellenzförderung.
Ab wann können die Kandidaten das Studium aufnehmen?
Briesemeister: Eine Ausbildung beginnt klassischerweise im August. Dann geht es erstmal darum, sich in der Berufsschule und im Betrieb zu akklimatisieren. Im Dezember stehen die ersten Klausuren an. Und nach dem ersten Schulhalbjahr kristallisiert sich meistens heraus, wer für „Uni on Top“ geeignet ist. Dann können die Kandidaten ein Schnupperstudium beginnen. 
Von der Goltz: Das ist ein sanfter Einstieg – ohne Risiko. Wer mal durch eine Klausur fällt, hat dadurch keine Nachteile. Bei manchen Auszubildenden reift dann die Erkenntnis, dass ein Studium doch nicht das Richtige ist. Bei einem Großteil läuft es aber so gut, dass sie im Oktober des zweiten Ausbildungsjahres dann das richtige Studium aufnehmen. Das ist der Idealweg. Mittlerweile bieten aber auch Unternehmen die Möglichkeit, direkt mit dem Ausbildungsstart auch das Studium zu beginnen. Mir gefällt der Ansatz mit dem Testen besser.
Seit fast vier Jahren gibt es nun „Uni on Top“. Welche Herausforderungen haben Sie aktuell?
Von der Goltz: „Uni on Top“ ist erklärungsbedürftig. Da reicht es nicht, den Leuten einen Flyer in die Hand zu drücken. Und wir müssen Sorgen zerstreuen. Wir wollen als Uni den Unternehmen keine Arbeitskräfte wegnehmen. Im Gegenteil. Wir versuchen für die Azubis mit herausragenden Leistungen einen Weg zu finden, der alle zufriedenstellt. Sie können ihren Traum vom Studium verwirklichen und bleiben trotzdem im Unternehmen. 
Briesemeister: Mit dem Programm können wir sogar zusätzliche Auszubildende gewinnen. Es gibt aktuell viele Abiturienten, die sich für ein Studium anmelden, weil sie Sorge haben, durch die Entscheidung für eine Ausbildung, etwas zu verpassen. Mit dem Programm ist es möglich, die praktische und akademische Laufbahn zu verbinden. Die Auszubildenden können Erfahrung im Unternehmen sammeln, theoretische Grundlagen in der Berufsschule erlernen und darauf ihr Studium aufbauen. Auf diese Weise gewinnen wir im Idealfall viel besser ausgebildete Fachkräfte.
Interview: Denis de Haas, Redaktionsbüro Ruhr
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