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Funktionierende Konzepte aus der Region
Wie entwickelt sich der Online-Handel? Diese Frage beantwortet die Studie „E-Commerce-Markt Deutschland 2023“. Zum 15. Mal geben das EHI Retail Institute und die ecommerceDB einen Überblick über die 1.000 umsatzstärksten B2C-Online-Shops. Unter den Top-Unternehmen sind auch wieder niederbayerische Vertreter zu finden.
Erstmalig in der Studiengeschichte mussten die Analysten für die Summe der Top-1.000-Umsätze einen Rückgang ausweisen. Der Online-Handel in Deutschland steuert damit in ungewohntes Fahrwasser. Dieser Umbruch der E-Commerce-Landschaft ließ sich bereits in der Erhebungsphase deutlich bemerken: Diverse Online-Shops haben ihre virtuellen Pforten geschlossen. Von diesem Negativtrend waren aber längst nicht alle Online-Shops und Branchen betroffen. Es gibt tatsächlich einige Wachstumsüberraschungen und mit manchen Marktentwicklungen, die über ein Jahrzehnt als konstant galten, wurde gebrochen. Demzufolge ergeben sich interessante Fragestellungen, wie beispielsweise: Wie haben sich die kleineren Händler im Vergleich zu den Platzhirschen geschlagen? Welche Produktkategorien konnten noch wachsen? Wie haben sich die Marktstrukturen verändert?
Der Netto-E-Commerce-Umsatz der Top-1.000 umsatzstärksten B2C-Online-Shops in Deutschland lag im Geschäftsjahr 2022 bei 77,7 Milliarden Euro. Erstmalig in der Studiengeschichte ist der Top-1.000-Umsatz im Vergleich zum Vorjahr gesunken, und zwar um 2,2 Milliarden Euro – das entspricht einem Rückgang um 2,8 Prozent. Bei einem Pre-Covid-Vergleich ergibt sich für das Jahr 2022 dennoch ein Wachstum von 50,2 Prozent gegenüber 2019 mit damals 51,7 Milliarden Euro.
Konzentration auf Top-500
Der deutsche E-Commerce-Markt ist weiterhin hoch konzentriert: Die Top-100 erwirtschaften mit 70,7 Prozent etwas mehr als zwei Drittel des Top-1.000-Umsatzes. Mehr als neun von zehn Euro netto gehen auf Konten der Top-500. Der Anteil der Top-10 liegt allerdings mit 38,2 Prozent unter dem Vorjahr und sinkt damit um 2,9 Prozentpunkte. Der Netto-E-Commerce-Umsatz der diesjährigen Top-10 ist im Vergleich zu dem vom letzten Jahr um 9,7 Prozent gesunken, die restlichen 990 B2C-Online-Shops hatten hingegen in Summe ein Wachstum von 2,1 Prozent. Die kleineren B2C-Online-Shops auf den hinteren 500 Plätzen des Rankings sind in Summe um 7,3 Prozent relativ am stärksten gewachsen.
Lebensmittelbereich wächst
Die B2C-Online-Shops mit den Hauptproduktsegmenten Haushaltsgeräte (+30,8 Prozent), Lebensmittel und Getränke (+15,1 Prozent) und Taschen und Accessoires (+14,9 Prozent) sind in Summe relativ am stärksten gewachsen – allerdings auf vergleichsweise geringer Umsatzbasis. apple.com (+18,2 Prozent), breuninger.com (+16,1 Prozent), shop-apotheke.com (15,9 Prozent) und aboutYou.de (+8,8 Prozent) sind Wachstumstreiber der Top-20. shop.rewe.de und bestsecret.com sind in die Top-20 aufgestiegen. Innerhalb der bereitgestellten Zahlungsarten kann Klarna um 8,0 Prozentpunkte deutlich wachsen, jetzt bieten etwa 4 von 10 Top-1.000 B2C-Online-Shops diese Zahlungsart an.
amazon.de behält seine führende Position mit einem erheblichen Vorsprung: Der B2C-Marktplatz generiert ein E-Commerce-GMV (Gross Merchandise Volume beziehungsweise Bruttohandelsvolumen), das 1,75-mal größer ist als die Summe des GMV der übrigen neun Top-10 Anbieter.
Lieferdienste sind im Kommen
In urbanen Räumen sind die Logos von Express-Lieferdiensten auf den Straßen immer häufiger zu sehen. Sie liefern den Wochen- oder Spontaneinkauf oft innerhalb von Minuten nach Hause oder ins Büro, meist mit Schwerpunkt auf Lebensmitteln. Einige erweitern bereits ihr Sortiment um Non-Food oder Drogerie-Artikel. Das Segment ist derart kurz- und schnelllebig, dass konkrete haltbare Aussagen schwierig sind. Trotzdem können diese Unternehmen als eine innovative Bereicherung gesehen werden, denn sie treiben die Modernisierung der Lieferbranche voran und unterstützen dabei andere Händler in der sich ständig verändernden Welt des E-Commerce.
Trend weiter rückläufig
Insgesamt hat die Studie eine Entwicklung für das erste Halbjahr 2023 ermittelt, die einen sinkenden Bruttoumsatz der E-Commerce-Branche um insgesamt 13,7 Prozent (im ersten Quartal -15,0 Prozent, im zweiten Quartal -12,2 Prozent) ergibt. „Nachdem für das Geschäftsjahr 2022 zum ersten Mal in der Studiengeschichte ein Umsatzrückgang ausgewiesen wurde, ist für 2023 mit einer Fortsetzung eines rückläufigen Trends zu rechnen“, sagt Lars Hofacker vom EHI Retail Institute.
Stimmen der niederbayerischen Top-Unternehmen
Gregor Leebmann, Auto-Leebmann GmbH, Passau
„Für den Erfolg unseres Online-Shops sind mehrere Faktoren ausschlaggebend: Schon seit 2010 bedienen wir eine spezielle Nische, der Fokus liegt auf unseren BMW- und MINI-Kunden, deren Bedürfnisse versuchen wir, bestmöglich zu erfüllen. Gerade heutzutage wäre es nicht einfach, sich mit einem neuen Webshop oder Marktplatz ohne Spezialisierung gegen Größen wie Amazon und Ebay zu behaupten. Nach wie vor ist eine hohe Sichtbarkeit ein Muss. Die organische Suchmaschinenoptimierung ist immer noch von Bedeutung, aber ohne bezahlte Suchmaschinenanzeigen kommt man heutzutage nicht mehr aus. Des Weiteren muss sich der Kunde leicht im Shop zurechtfinden können und die Kaufabwicklung sollte möglichst intuitiv vonstattengehen. Aktuell arbeiten wir an unserem Shop-Relaunch, um genau das zu gewährleisten. Wir können nun Ersatzteile für alle Modelle von BMW exakt über die Fahrgestellnummer identifizieren, andere Anbieter können das gerade für neuere Modelle nicht anbieten. Features, wie die Fahrzeuggarage, ermöglichen, dass der Kunde sein Fahrzeug für die Zukunft speichern kann und ihm nur noch passende Teile zu seinem ausgewählten Fahrzeug angezeigt werden. Es gibt aber noch viele weitere Neuerungen, zum Beispiel eine neue Bestellhistorie und vieles mehr in unserem neuen Shop, vom neuen modernen Design mal ganz abgesehen. Wie gehabt, bieten wir nach wie vor einen kundenorientierten Service und unterstützen bei Rückfragen. Auch hier wollen wir zukünftig mithilfe von KI noch besser und schneller werden. Ein weiteres entscheidendes Kriterium ist die Lieferzeit: Der Kunde möchte das bestellte Produkt natürlich so schnell wie möglich erhalten. 2020 haben wir ein automatisiertes Kleinteilelager in Betrieb genommen und seither mehr als 30.000 Teile lagernd. Einen großen Teil der Bestellungen können wir innerhalb eines Tages an unsere Versanddienstleister übergeben. Das ist es, was die Kunden auch von uns erwarten“
Philipp Kraiss, mymuesli AG, Passau
„Als wir vor 15 Jahren mit mymuesli begonnen haben, war Online-Shopping noch nicht en vogue und Online-Lebensmittelshops gab es so gut wie gar nicht. Im Laufe der Zeit haben sich die Ansprüche natürlich gewandelt. Früher hat ein Kunde problemlos auch mal länger auf ein Paket gewartet. Heute werden Kunden schon nervös, wenn die Bestellung nach 48 Stunden nicht angekommen ist. Lieferzeiten werden darüber hinaus schlecht toleriert, die Erwartung an einen schnellen Lieferservice sind immens gewachsen. Wenn es aber doch Probleme gibt, muss man sofort reagieren und in die transparente Kommunikation gehen. Zu Beginn von mymuesli gab es auch noch keine sozialen Medien und keinen mobilen Traffic. Wir hatten nur die klassische Website. Heute gibt es dagegen extrem viele Kommunikationsschnittstellen mit den Kunden, die allesamt mit dem Webshop verknüpft sein müssen. Wir sind auf allen bekannten Social Media-Kanälen aktiv und etwa die Hälfte der Bestellungen erfolgt inzwischen über mobile Endgeräte. Darauf muss die Seite ausgerichtet sein. Das höchste Wachstumspotenzial liegt im Bereich Influencer-Marketing und Kooperationen. Darauf legen wir verstärkt den Fokus. Denn unser Produkt ist prädestiniert dafür. Wir können sehr leicht individuelle Produkte schon in geringer Stückzahl produzieren. Das unterscheidet uns maßgeblich von anderen Lebensmittelherstellern.“
Fritz Terbuyken, ETERNA Mode GmbH, Passau
„Wenn man sich die Marktdaten aussieht, dann war das vergangene Jahr wahrlich kein gutes Jahr für die erfolgsverwöhnte E-Commerce-Branche. Der ETERNA Onlineshop konnte 2023 allerdings nicht nur das Vorjahr bei weitem schlagen, sondern auch die eigenen, ambitionierten Ziele übererfüllen. Die Investitionen in IT-Infrastruktur, Stammdatenmanagement sowie zeitgemäße und zukunftssichere Systeme machten sich bereits bemerkbar. Flexibleres Handling, schnellere Abwicklungen und Verkürzung der Prozesse waren ein Grund für das sehr erfolgreiche vergangene Jahr; Technik allein reicht aber nicht aus, um Kunden für sich zu gewinnen und zu binden. Das ETERNA-Angebot an herausragenden Services wie die Individualisierung der Hemden, der exklusive Ready-to-wear-Service (jeder kann sich seine Hemden und Blusen gewaschen und gebügelt liefern lassen) und die Vorzüge der SHIRT ID machen das digitale Einkaufen bei ETERNA besonders angenehm und einfach. Die stetige Analyse der Bedürfnisse der Kunden, eine Customer Journey, die auf den Ergebnissen fußt und eine passgenaue Ansprache über viele Kommunikationskanäle hinweg, sorgen bei ETERNA für eine sehr hohe Wiederkaufrate bei einer Retourenquote, die deutlich unter dem Marktschnitt liegt. Wir ruhen uns aber nicht auf den Erfolgen aus, sondern entwickeln die Dynamik dieses Kanals innerhalb der Omnichannel-Strategie weiter mit neuen, frischen Ideen, die Erfolgsgeschichte weiterzuschreiben.
Ken Rübenstahl, Shirts of Europe GmbH (hemden.de), Bad Birnbach
„Wir sind sehr stolz auf das gute Ergebnis. Wir haben uns auf die Fahnen geschrieben, uns stets auf die wichtigen Basics zu konzentrieren wie Preis, Auswahl und Verfügbarkeit. Wir wollen auch nicht Umsatz um jeden Preis, sondern ganz gezielt nur zwei bis vier neue Lieferanten pro Jahr. Uns gibt es auch nicht auf Marktplätzen. Seit acht Jahren machen wir unsere Hausaufgaben Tag für Tag, nicht zu viele Projekte gleichzeitig, und was uns noch wichtig ist: Prozessoptimierung durch das Erkennen und Benennen von Problemen. Automatisierung spielt natürlich auch eine Rolle bei der Kostenreduzierung. Was wir auch sehen konnten: Zwei große Mitbewerber haben sich in Marketing und PR völlig verausgabt und mussten nun trotzdem schließen, während wir nie so groß in Erscheinung getreten sind, aber eben Kontinuität bieten. Das bestätigt uns, dass wir bodenständig bleiben und weiter kontinuierlich unseren Weg gehen. Und der größte Erfolgsgarant ist das engagierte und motivierte Team.“
Alexander Scharnböck, Nebulus GmbH, Deggendorf
„Damit ein Online-Shop erfolgreich läuft, ist zunächst Usability entscheidend. Der Kunde darf nicht warten müssen. Das zählt für die Beantwortung von Fragen, aber auch die Shopgeschwindigkeit muss hoch sein. Aktuell erfindet sich Nebulus neu. Schließlich muss man sich ständig weiterentwickeln. Mitte des Jahres wird der neue Shop mit bester Usability live gehen, es werden dann auch Videos gezeigt. Zudem werden wir verstärkt Künstliche Intelligenz einsetzen, um im Shop personalisierte Angebote zu zeigen. Ein zweiter Punkt für guten Umsatz ist Werbung. Es gibt Tage im Jahr, an denen 120.000 bis 150.000 Euro an einem einzigen Tag in Werbung investiert werden. Dabei nutzen wir zu nahezu 100 Prozent Online-Marketing. Google und Facebook setzen wir weltweit ein, weil sich über diese beiden Plattformen die Zielgruppe am besten erreichen lässt. Neueste Auswertungen ergaben, dass am erfolgreichsten an die Altersgruppe Herren 50 plus verkauft wird. Männer bestellen in der Regel nicht zur Auswahl, sondern weil sie etwas brauchen. Aus diesem Grund, und weil bei uns der Versand schon immer Geld kostet, ist die Retourenquote mit rund 20 Prozent bereits seit Jahren sehr niedrig. Aktuell umfasst das Nebulus-Team rund 70 Personen. Ich bin der Überzeugung, dass man die Mitarbeiter wie eine Familie behandeln sollte. Dann funktioniert vieles von selbst.“
Die niederbayerischen Online-Shops
Unter den Top 1.000 der umsatzstärksten Online-Shops in Deutschland sind zehn Unternehmen mit Sitz in Niederbayern vertreten. Diese werden im Folgenden kurz vorgestellt.
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Thomas Breinfalk