Corona-Krise

Corona-Krise eine unkalkulierbare Situation

Geschäftsführerin Kerstin Nagy im Interview über Auswirkungen der Corona-Krise auf die Tourismuswirtschaft
Frau Nagy, wie haben Sie den totalen Einbruch des Tourismus in Wernigerode erlebt?
Es war ein bedrückendes Gefühl, Anfang März registrieren zu müssen, dass der für Wernigerode zum Stadtbild gehörende Tagestourismus völlig fehlte, dass die Bummelmeile Breite Straße nahezu menschenleer war, in Restaurants, Geschäften und Cafés gähnende Leere, in den Hotels statt Buchungen Stornierungen. Beängstigend, die Schilder zu lesen »Bis auf weiteres geschlossen«, besorgniserregend, die Unsicherheit über die Gesundheitsrisiken.
Welche Auswirkungen hat die aktuelle Situation auf Ihr Unternehmen, das Hotel am Anger, und auf die gesamte Branche?
Es ist für uns eine nie dagewesene unkalkulierbare Situation: nach einem schwierigen Jahresstart aufgrund fehlenden Schnees, einer sozusagen ausgefallenen Wintersaison, wäre Ostern der erste Buchungsschwung gewesen. Hohe Fixkostenbelastungen einerseits und eine geringe Liquidität andererseits sind für viele Unternehmen – gleich welcher Größe – zu einer Belastungsprobe geworden, deren Bestehen dramatisch ungewiss ist. Bereits vor den bundesweiten Verordnungen war innerhalb kurzer Zeit ein drastischer Rückgang der Übernachtungen und Besucherzahlen zu verzeichnen. Mit der Verordnung des Reiseverbots fielen sämtliche touristische Übernachtungen weg und damit die wirtschaftliche Grundlage unseres Arbeitens. In unserem Haus wurde in nahezu 25 Jahren erstmals Kurzarbeit mit den Mitarbeitern besprochen als zwingend notwendige Maßnahme.
Für den Tourismus, die Gastronomie und Hotellerie eine völlig untypische Situation, hatten wir doch noch wenige Wochen zuvor den Fachkräftemangel als unser größtes Problem gesehen, nun mussten wir unsere wertvollen Fachkräfte in Kurzarbeit nach Hause schicken, ohne sagen zu können, wie lange.
Rechnen Sie nach dem Ende des touristischen Reiseverbotes mit einer schnellen Wiederbelebung des Tourismus im Harz oder wird es zum nachhaltigen Ausbleiben von Gästen kommen?
Der Tourismus hat riesigen Schaden genommen, und für das Jahr 2020 sind die weggebrochenen Gästezahlen definitiv nicht einholbar. Es ist schwierig, realistische Einschätzungen zur Dauer und den direkten und indirekten Folgen der Krise zu stellen. Eine schnelle Erholung des Tourismus halte ich für ausgeschlossen, da die Branche sehr sensibel und von vielen Faktoren abhängig ist, andererseits werden unsere Harzgäste auch nicht nachhaltig ausbleiben, da der Harz als eines derbeliebtesten Reiseziele unseres Landes gilt.
Ich gehe davon aus, dass sich die Gastronomie etwasschneller als die Hotellerie erholen könnte. Schon jetzt hören wir vielfach die Sehnsucht
der Gäste, wieder einmal das Lieblingsrestaurant oder Café besuchen zu können bzw. zu dürfen.
In der Hotellerie erleben wir nach den massenhaften Stornierungen in den ersten zwei Wochen auch vorsichtige Um- und Neubuchungen auf Herbst oder auf das kommende Jahr. Noch sind die Zeiträume ab Himmelfahrt gut gebucht, aber die täglich neuen und beunruhigenden Zahlen der Wissenschaftler lassen unsere Buchungen zur Hauptsaison ab Mai täglich bröckeln.
Die Sorge um die Gesundheit treibt uns alle um und die Angst, die wirtschaftliche Existenz unserer Unternehmen zu erhalten. Zu bedenken sind viele Einflüsse. Neben der Aufhebung bzw. Lockerung eines Reiseverbots spielt es eine Rolle, welche Auflagen auf uns zukommen und ob bzw. in welchem Maße diese in den einzelnen Unternehmen umsetzbar sind und mit welchen Umsatzeinbußen.
Die Sensibilität für die Gesundheit jedes Einzelnen wird auch Veränderungen im Verbraucher- und Reiseverhalten der Gäste mitsichbringen, der Abstand der Tische wird nur eines der Kriterien sein, das Nutzen öffentlicher Verkehrsmittel könnte genauso betroffen sein wie der Besuch öffentlicher Veranstaltungen. Wir sind uns ebenso bewusst, dass Einkommensausfälle und Einbußen im Urlaubsbudget des Gastes sich auf Urlaubsdauer und Konsumverhalten auswirken werden. Dies alles wird uns in den nächsten Wochen beschäftigen und die Entscheidung, wann wir und unsere Mitarbeiter wieder unbesorgt unserer Arbeit nachgehen können.
Sind Ihnen bereits Hotels oder Gaststätten bekannt, die nach der Pandemie den Geschäftsbetrieb einstellen werden?
Die Schließung eines Unternehmens ist immer die letzte Option. Zahlreiche Unternehmen haben in den letzten Wochen sehr viel Unternehmergeist und Kreativität bewiesen, um die Härte der Krise zu mildern, ich denke z. B. an Liefer - und Abholservice in der Gastronomie, an aktive Gästekommunikation oder virtuelle Marketingmaßnahmen der Hotels.
Dennoch ist zu befürchten, dass ein Teil der Unternehmen aus genannten Gründen die Krise nicht überstehen kann und die Branche herbe Verluste hinnehmen muss. Die Dauer der Krise wird entscheidend sein im Überlebenskampf vor allem kleiner Unternehmen. Die jetzt unterstützenden staatlichen Hilfen können aktuell helfen, aber nicht in jedem Fall langfristig retten, wenn mehr als zwei oder drei Monate überbrückt werden müssen.
Welche Unterstützung erwarten Sie über die Soforthilfen hinaus von der Politik?
Die Politik hat in ungewohnt schneller Weise durch Hilfs - und Rettungsmaßnahmen ihre Verantwortung wahrgenommen, das ist respektabel und nimmt einen Teil der Sorgen. Wichtig ist nun die unbürokratische Umsetzung dieser Hilfen, damit sie rechtzeitig die Unternehmen erreicht und so Existenz und Arbeitsplätze sichern kann. Wichtig ist ebenso bei Kreditvergaben, dass die Zinsbelastungen erträglich und leistbar auf lange Sicht sind.
Ein wichtiger Punkt aus Branchensicht ist die bundesweite einheitliche Regelung von Verordnungen für den Tourismus. Tourismus – gerade auch im Harz - ist länderübergreifend und unterschiedliche Handhabungen sind dem Gast schwer vermittelbar. Mögliche Lockerungen der Maßnahmen müssen frühzeitig angekündigt werden, um sie personell und zeitlich umsetzen zu können.
Bei einem Blick nach vorn ist es wünschenswert, dass sich die Politik mehr des Stellenwertes der Branche bewusst wird – sowohl in Bezug auf Arbeitsplätze als auch als Wirtschaftsfaktor innerhalb unserer Gesellschaft. Eine wirkliche Unterstützung ist die beschlossene Reduzierung des Mehrwertsteuersatzes für die Gastronomie. Dies rettet Unternehmen und Arbeitsplätze langfristig.
Verantwortung der Politik liegt auch in der Wertschätzung der Branche in der zukünftigen Entwicklung unserer Gesellschaft nach der Corona-Krise. Fürsorge für Gesundheit, für Zusammenhalt und Hilfsbereitschaft sind Werte, die durch die Corona-Krise eine höhere Wertung erhalten und unsere Unternehmen, als ein erlebnis – und erholungsrelevanter Teil unseres gesellschaftlichen Lebens, wollen möglichst bald wieder ihre Leistungsbereitschaft und Vielfalt unter Beweis stellen. Ich wünsche von Herzen: Bleiben Sie gesund – damit Wernigerode möglichst bald wieder die bunte Stadt sein wird, wie unsere Gäste sie kennen und in der wir gern leben.
Die Fragen stellte IHK-Geschäftsführer Ralf Grimpe
KERSTIN NAGY
Geschäftsfüherin des Hotels am Anger in Wernigerode
Mitglied der Vollversammlung der IHK Magdeburg
aktiv im Tourismusausschuss sowie im Regionalausschuss Harz der IHK
Mitglied im Vorstand des DEHOGA-Kreisverbandes Harz
IHK Magdeburg aus "Der Markt in Mitteldeutschland", 05/2020