Wohnt auf dem Hermes-Dach
Die Bördebiene
Zu wenige Imker und zu wenige Bienen gibt es in Sachsen-Anhalt. Nur noch rund 10.000 Völker werden gehalten. 1990 waren es siebenmal so viele. Engagierte Imker suchen sich deshalb Verbündete. Sie finden sie zum Beispiel in Schulen und in Firmen.
Imker-Biene-Umwelt: Auf der Suche nach der Bienenkönigin im Kurs der Kreisvolkshochschule Harz mit Imker Enrico Kretschmar.
© Bettina Koch
Seit 2014 summt es auf dem Dach des Versandzentrums in Haldensleben. Stefan Köppe von der Imkerei Bördebiene aus Samswegen im Ohretal betreut beim Logistiker Hermes Fulfilment fünf Völker der Rasse Carnica. Die rund 300.000 Bienen haben im vergangenen Jahr insgesamt 390 Kilogramm Raps-Robinien- und Lindenhonig geliefert. Die Insekten finden ihr Futter auf dem Firmengelände und auf angrenzenden Feldern, aber auch in der Stadt. Die erste Honigernte 2017 brachte ca. 25 Kilogramm Rapshonig pro Volk.
Erlebnis- und Wanderimker Enrico Kretschmar zeigt an seinem Bienenstand eine Brutwabe. Der Wagen im Hintergrund gehört seiner Mutter, die mit über 80 Jahren immer noch imkert.
© Bettina Koch
»Als größter Arbeitgeber vor Ort fühlen wir uns verantwortlich für Umwelt und Natur. Mit der Ansiedlung der Bienenvölker tragen wir dazu bei, dass die Pflanzenvielfalt in Haldensleben und Umgebung erhalten bleibt«, betonte Betriebsleiter Andreas Hennig. Und den Mitarbeitern macht es Freude: In der Firmenkantine kaufen sie den in Gläser abgefüllten »Hermes Dachhonig« für sich selbst, als Mitbringsel für die Familie oder zum Verschenken an Freunde.
Auch die Halberstadtwerke sind Bienenhalter. Seit April 2016 kooperiert Erlebnis- und Wanderimker Enrico Kretschmar aus Osterwieck, Ortsteil Hessen, im Landkreis Harz mit dem Unternehmen und betreut fünf Völker. »Wir brauchen mehr Bienenhalter«, betont er, »und es ist wichtig, Kinder und Jugendliche an das Thema heranzuführen.
Imkerprojekt für Schulen
Deshalb wirkt Kretschmar auch am Schulimkerprojekt mit, das im vergangenen Jahr in Sachsen-Anhalt initiiert worden ist, um den Aufbau von Imker-Arbeitsgemeinschaften zu ermöglichen. Fünf Schulen haben nach erfolgreicher Bewerbung eine Grundausstattung für ihre Schulimkerei bekommen, um selbst Bienen zu halten, Honig zu ernten, zu verarbeiten und zum Beispiel bei Schulfesten zu vermarkten. Jeweils ein erfahrener, engagierter Imker wurde ihnen zur Seite gestellt.
Nach dem erfolgreichen Start 2016 gibt es auch in diesem Jahr wieder ein Schulimkerprojekt, gefördert vom Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft und Energie Sachsen-Anhalt, organisiert von der Agrarmarketinggesellschaft und begleitet vom Imkerverband Sachsen-Anhalt. Das Werner-von-Siemens-Gymnasium Magdeburg, die Grundschule Zuckerdorf Klein Wanzleben, die Freie Christliche Schule Langenstein, die Max-Klinger-Grundschule Kleinjena und die Waldorfschule Harzvorland in Thale haben im Juni ihre Ausstattung erhalten.
»Die Kinder sind begeistert«, sagt Erlebnis und Wanderimker Enrico Kretschmar. Er betreut seit einem Jahr Arbeitsgemeinschaften am Gymnasium Stadtfeld Wernigerode und in der Privatschule Landschulheim Grovesmühle in Veckenstedt. Einmal pro Woche trifft sich der Imker mit dem Nachwuchs zum pädagogischen Imkern und freut sich über das Interesse der Schüler: Im Gymnasium in Wernigerode ist die AG mit zwölf Teilnehmern voll besetzt, »wir haben mehr Anmeldungen als wir aufnehmen können«, sagt Kretschmar. »Wir machen alles gemeinsam, wir beobachten und betreuen die Bienen, wir putzen Rähmchen, löten Mittelwände ein, schleudern Honig, füllen ihn ab und wir gießen Kerzen.« Auf Schul- und Vereinsfesten werden die Produkte verkauft.
Auch an der Hochschule Harz in Wernigerode und am Sozial- und Lerntherapeutischen Internat Weiße Villa Harz in Wernigerode begleitet der Erlebnis- und Wanderimker Bienenprojekte. Wichtig ist ihm der Dialog mit
Obst- und Ackerbauern. Das ist zum beiderseitigen Vorteil: Auf Obstplantagen sind die Bienen mit ihrer Bestäubungsleistung zur Ertragssteigerung willkommen, und Obstblütenhonig ist eine wunderbare Delikatesse.
Biene sucht Blüte
Wichtig sind außerdem Blühstreifen und Bienenweiden für die Sommermonate. Im Frühjahr ist der Tisch für die Bienen mit Obstblüte und Raps reichlich gedeckt. Aber im Spätsommer fehlt es an Nektar und Pollen. Hier ist der Anbau zum Beispiel von Phacelia – Futterpflanze, Bodenverbesserer und Bienenfreund – hilfreich. Oder die Durchwachsene Silphie. Der gelb blühende Korbblütler mit guter Trockentoleranz blüht von Juli bis September, ist mehrjährig und kann als Futterpflanze und Energiepflanze für die Biogasproduktion verwertet werden.
Flugloch: Wenn die Temperaturen auf bienenfreundliche Höhen steigen, werden die Insekten aktiv.
© Bettina Koch
Landwirte haben mit ein- und mehrjährigen Blühstreifen sowie Schonstreifen auch die Möglichkeit, ihre Greening-Verpflichtung zu erbringen und gleichzeitig Lebensräume und Nahrungsgrundlagen für Niederwild, Bienen und andere Insekten zu schaffen. »Sinnvoll sind vor allem mehrjährige Blühstreifen«, sagte Christian Apprecht, stellvertretender Hauptgeschäftsführer im Landesbauernverband Sachsen-Anhalt. Doch viele Landwirte sind zurückhaltend. Apprecht sieht das sogenannte Anlastungsrisiko als einen Grund. »Ein Blühstreifen ist ein Stück Natur, eine Pflanzengemeinschaft mit dominanten und weniger dominanten Pflanzen, die sich mit der Zeit verändert. Wenn sich starkwüchsige Pflanzen ausgebreiten und andere verdrängen, und der Landwirt damit Gefahr läuft, deshalb die Förderung zurückzahlen zu müssen, kann das seine Begeisterung für mehrjährige Blühstreifen schmälern.«
Um den Unkrautdruck zu minimieren, könne beispielsweise ein Pflegeschnitt im Schonzeitraum vom 1. April bis 30. Juni beantragt werden, teilte dazu die Pressestelle des Umweltministeriums mit. Die Verwaltung sei im vorgegebenen Rahmen bestrebt, praxisnahe Lösungen zu finden und zur Akzeptanzsteigerung beizutragen. »Beispielsweise wird bei einer Vor-Ort-Kontrolle nicht das Vorhandensein aller Mischungspartner abgeprüft, vielmehr steht der Blühaspekt im Vordergrund.«
Autorin: Bettina Koch aus "Der Markt in Mitteldeutschland", 08/2017