Energiekrise
Wie bei einer Krisensituation vorgegangen wird
Durch die gegenwärtige Situation ist nicht auszuschließen, dass es in der Zukunft zu Versorgungsengpässen bei der Energieversorgung kommt. Vor diesem Hintergrund übernimmt die Bundesnetzagentur (BNetzA) als sogenannter Bundeslastverteiler zahlreiche Aufgaben, um im Falle einer möglichen Mangellage Maßnahmen ergreifen zu können.
Mit diesen FAQs versuchen wir, zahlreiche Fragen, die seitens der Mitgliedsunternehmen an uns herangetragen worden sind, gebündelt zu beantworten. Diese FAQs geben den aktuellen Stand wieder. Vor dem Hintergrund einer komplexen und sich sehr dynamisch entwickelnden Sachlage können diese FAQs eine juristische Einzelfallbetrachtung allerdings nicht ersetzen.
FAQ zur Gasmangellage
- Welche unterschiedlichen Notfallsituationen sind denkbar?
Der Notfallplan Gas unterscheidet zwischen drei Krisenstufen, der Frühwarnstufe, der Alarmstufe und der Notfallstufe:Die Frühwarnstufe wird ausgerufen, wenn konkrete, ernst zu nehmende und zuverlässige Hinweise darauf vorliegen, dass ein Ereignis eintreten kann, welches wahrscheinlich zu einer erheblichen Verschlechterung der Gasversorgungslage sowie wahrscheinlich zur Auslösung der Alarm- oder der Notfallstufe führt.Im Alarmfall liegt eine Störung der Gasversorgung vor, die zu einer erheblichen Verschlechterung der Gasversorgungslage führt; der Markt ist aber noch in der Lage, diese Störung oder Nachfrage zu bewältigen, ohne dass nicht-marktbasierte Maßnahmen ergriffen werden müssen.In der Notfallstufe liegt definitionsgemäß eine außergewöhnlich hohe Nachfrage nach Gas, eine erhebliche Störung der Gasversorgung oder eine andere erhebliche Verschlechterung der Versorgungslage vor, und alle einschlägigen marktbasierten Maßnahmen wurden umgesetzt, aber die Gasversorgung reicht nicht aus, um die noch verbleibende Gasnachfrage zu decken, so dass zusätzlich nicht-marktbasierte Maßnahmen ergriffen werden müssen, um insbesondere die Gasversorgung der geschützten Kunden sicherzustellen.Der Leitfaden Krisenvorsorge Gas von BDEW/VKU/GEODE unterscheidet darüber hinaus zwischen
- einem lokalen Versorgungsengpass ohne eine übergeordnete nationale Gas Mangellage
- einer übergeordneten nationalen Gas Mangellage und
- einer Überschreitung des Marktgebiets.
- Was sind die gesetzlichen Grundlagen in einer Gasmangellage?
Wesentliche rechtliche Grundlagen sind:
- die Verordnung (EU) 2017/1938 über Maßnahmen zur Gewährleistung der sicheren Gasversorgung,
- das EnWG (hier insb. §§ 16, 16a und 53a EnWG) und das Energiesicherungsgesetz,
- die Gassicherungsverordnung und die Gas-Lastverteilungsverordnung,
- der Notfallplan Gas der Bundesrepublik Deutschland,
- § 21 KoV sowie der auf dieser Grundlage verabschiedete Leitfaden Krisenvorsorge Gas vom 31.03.2021 (von BDEW/VKU/GEODE) sowie
- das Energiesicherungsgesetzes in der neuen Fassung.
- Gibt es eine Abschaltreihenfolge?
In Deutschland wird bei der Gasversorgung zunächst gesetzlich auf Basis von EU-Verordnungen bzw. dem EnWG zwischen „geschützten“ und „nicht-geschützten“ Kunden unterschieden. Nicht-geschützt sind der Großteil der Gasverbraucher, die über eine registrierende Leistungsmessung verfügen, insbesondere die mittelgroßen und großen Industriebetriebe.Sind Kürzungen von Letztverbrauchern nicht zu vermeiden, werden diese grundsätzlich in folgender Reihenfolge vorgenommen:
- nicht geschützte Kunden
- systemrelevante Gaskraftwerke
- geschützte Kunden.
Entsprechend sind also zunächst nicht geschützte Letztverbraucher zu kürzen. Obwohl der Notfallplan hier nicht differenziert, sieht der Leitfaden Krisenvorsorge Gas die Festlegung einer diskriminierungsfreien Abschaltreihenfolge für diese Letztverbraucher auf Basis verschiedener Kriterien vor. Dazu können unter anderem physikalische Gegebenheiten, Kapazitäten, Wirksamkeit und Folgen von Abschaltungen, die (Un)Möglichkeit eines Brennstoffwechsel oder Auswirkungen auf das öffentliche Leben durch die Abschaltung gehören.Abschaltreihenfolge „nicht geschützter“ KundenDie in einer Mangellage zu treffenden Entscheidungen sind immer Einzelfall-Entscheidungen, weil die dann geltenden Umstände von so vielen Parametern (u.a. Gasspeicherfüllmengen, Witterungsbedingungen, europäische Bedarfe, erzielte Einsparerfolge, etc.) abhängen, dass sie nicht vorherzusehen sind. Daher bereitet die Bundesnetzagentur keine abstrakten Abschalte-Reihenfolgen vor. Vielmehr müssen Entscheidung mit Blick auf Belange und Bedeutung der betroffenen Akteure, aber eben auch mit Blick auf die netztechnische Situation und die bestehenden Gasflüsse in einer Gesamtabwägung getroffen werden. Die Bundesnetzagentur erarbeitet Kriterien, die für diese Gesamtabwägung maßgeblich herangezogen werden können.Die BNetzA veröffentlichte im Mai 2022 ein Papier zu möglichen Kriterien. Dabei betont die Behörde, dass sich daraus keine feste Abschaltreihenfolge ableiten lässt, sondern immer situationsbedingt die Maßnahmen mit den mildesten Auswirkungen ergriffen werden.Die BNetzA kann gegenüber Fernleitungs- und Verteilnetzbetreibern anordnen, dass sie Netze oder Teile davon abschalten. Im Fall von Großverbrauchern aus der Industrie richteten sich die Abwägungen nach sechs Kriterien:- Dringlichkeit der Maßnahme
- Größe der Anlage
- Vorlaufzeit zur Gasbezugsreduktion
- Volks- und betriebswirtschaftliche Schäden
- Kosten und Dauer der Wiederinbetriebnahme nach einer Gasversorgungsreduktion
- Bedeutung für die Versorgung der Allgemeinheit.
Trotz dieser Zuordnung eines (gesetzlichen) Schutzstatus können sowohl geschützte als auch nicht-geschützte Verbraucher einen für die Gesellschaft wichtigen oder lebenswichtigen Bedarf an Gas haben. Aus diesem Grund hat die BNetzA eine Wertschöpfungskettenanalyse im März 2023 veröffentlicht, in der Kriterien formuliert werden, wie besonders schützenswerte Produktionsbereiche identifiziert werden können. - Was sind geschützte Kunden?
Geschützte Kunden sind gemäß § 53a Energiewirtschaftsgesetz (EnWG):
- Haushaltskunden sowie weitere Letztverbraucher im Erdgasverteilernetz, bei denen standardisierte Lastprofile anzuwenden sind, oder Letztverbraucher im Erdgasverteilernetz, die Haushaltskunden zum Zwecke der Wärmeversorgung beliefern und zwar zu dem Teil, der für die Wärmelieferung benötigt wird,
- grundlegenden soziale Dienste im Sinne des Artikels 2 Nummer 4 der Verordnung (EU) 2017/1938 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2017 im Erdgasverteilernetz und im Fernleitungsnetz,
- Fernwärmeanlagen, soweit sie Wärme an Kunden im Sinne der Nummern 1 und 2 liefern, an ein Erdgasverteilernetz oder ein Fernleitungsnetz angeschlossen sind und keinen Brennstoffwechsel vornehmen können, und zwar zu dem Teil, der für die Wärmelieferung benötigt wird.
Die Definition des geschützten Kunden umfasst somit auch kleine und mittlere Unternehmen aus dem Sektor Gewerbe, Handel Dienstleistung. Unter grundlegende soziale Dienste fallen gemäß der Gesetzesbegründung nachfolgende Einrichtungen, in den Menschen vorübergehend oder dauerhaft stationär behandelt werden oder leben und diese nicht ohne Weiteres verlassen können sowie Einrichtungen, die hoheitliche Aufgaben zur öffentlichen Sicherheit erfüllen müssen:- Krankenhäuser und Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen gemäß §107 SGB V,
- stationäre Pflegeeinrichtungen gemäß §71 Abs. 2 SGB XI,
- stationäre Hospize gemäß §39a Abs. 1 SGB V,
- Einrichtungen zur Pflege und Betreuung behinderter Menschen gemäß §71 Abs. SGB XI,
- Justizvollzugsanstalten gemäß §139 StVollzG sowie
- z.B. Feuerwehr, Polizei und Bundeswehreinrichtungen
- Wie wird bei einer Krisensituation vorgegangen?
Der Leitfaden „Krisenvorsorge Gas“ des BDWS/VKU/ GEODE beschreibt die operative Umsetzung von Maßnahmen in Engpasssituationen und die damit verbundenen Informationspflichten und Kommunikationswege. Die formulierten Anweisungen sind verbindlich und müssen umgesetzt werden. Neben der Benennung von Maßnahmen zur Behebung lokaler Versorgungsengpässe, greift das Dokument auch das Szenario einer übergeordneten nationalen Gasmangellage auf.
- Wer haftet? Gibt es Entschädigungszahlungen?
Ergreifen Fernnetzbetreiber (FNB) Maßnahmen nach § 16 Abs. 2 EnWG, indem sie Gaseinspeisungen, Gastransporte und Gasausspeisungen an die Erfordernisse eines zuverlässigen Betriebs der Netze anpassen oder diese Anpassung verlangen, ruhen gemäß § 16 Abs. 3 EnWG bis zur Beseitigung der Gefährdung oder Störung alle hiervon jeweils betroffenen Leistungspflichten.Die Haftung für Vermögensschäden ist gemäß § 16 Abs. 3 EnWG ausgeschlossen, soweit die Voraussetzungen gemäß § 16 Abs. 2 EnWG vorliegen. Wird der Notfall gemäß Energiesicherungsgesetz (EnSiG) festgestellt, greifen die Entschädigungsregeln gemäß § 11 EnSiG sowie die Regelung zum Härteausgleich gemäß § 12 EnSiG. Die genaue Ausgestaltung soll in gesonderten Verordnungen geregelt werden.
Stand: 3. April 2023