Hotel Bartmanns Haus

"Wie ein Sechser im Lotto"

Dass das Gastgewerbe eine der am schlimmsten von der Corona-Pandemie betroffenen Branche ist, spiegelt sich auch bei den Ausbildungszahlen wider. Diese sind im Vergleich zu 2019 dramatisch eingebrochen. Laut offiziellen Zahlen der HIHK in Frankfurt verzeichnet das Hotel- und Gaststättengewerbe im Vergleich zu 2019 insgesamt einen Rückgang von 32,9 Prozent bei den Ausbildungsstellen. Dort, wo Ausbildungsstellen angeboten werden, tun sich die Betriebe oft schwer, geeignete Bewerber zu finden – auch jenseits des Gastgewerbes ist die duale Ausbildung seit Jahren auf dem absteigenden Ast. Doch ist das tatsächlich bei allen Betrieben so? Nein, ein kleines familiäres Hotel Garni in Dillenburg trotzt jedem Trend. Was macht das Team im „Hotel Bartmanns Haus“ so anders als andere?
Die Lösung ist einfach, aber effektiv: Man muss Zeit in die potentiellen Azubis investieren. Davon ist Bärbel Deborré-Schech, Hotelleiterin im „Bartmanns Haus“, überzeugt. Und man muss sie auch an den Beruf heranführen und ihnen zeigen, wie vielseitig eine Ausbildung im Hotel- und Gaststättengewerbe ist und welche Möglichkeiten diese mit sich bringt. Seit Jahren öffnet Deborré-Schech regelmäßig die Türen des Hotels für Schulklassen aus der Region, um ihnen ein realistisches Bild des Hotelbetriebes zu vermitteln oder besucht mit ihrem Team Klassen vor Ort in der Schule, um Rede und Antwort zu stehen. So auch die zehnte Klasse der Johann-von-Nassau-Schule Dillenburg, die mit ihrer Klassenlehrerin Bianka Vorländer gerade einen solchen Schnuppertag im Hotel wahrgenommen hat. Ein Drittel der Klasse hat bereits einen Ausbildungsvertrag in der Tasche, ein weiteres Drittel möchte eine weiterführende Schule besuchen und das verbleibende Drittel weiß noch nicht, wie es weitergeht. Der Schnuppertag im Hotel könnte hier also hier für eine Initialzündung sorgen. Das Ziel der Aktion: Junge Menschen für das Hotelfach und die Gastronomie begeistern und zu einem Praktikum oder gar einer Ausbildung motivieren.
Bärbel Deborré -Schech möchte, dass die Kids an diesem Tag einen Einblick in die verschiedenen Bereiche im Hotel bekommen: In Gruppen wird nach einer Einführung mitgearbeitet: In der Küche und im Frühstücksservice, auf „Etage“ bei der Zimmerreinigung, im Büro und an der Rezeption. Als Hotel Garni verfügt das Bartmannshaus zwar nicht über ein Abend-Restaurant, bei Feiern und Tagungen werden aber natürlich dennoch Speisen serviert. Logisch, dass die Schüler also auch einen Einblick in den Bereich Restaurantservice bekommen.
Die Brüder Pren und Robert Markaj haben sich hierfür ein paar Übungen ausgedacht. Robert Markaj hat seine Ausbildung zum Hotelfachmann bereits abgeschlossen, sein Bruder Pren steckt noch mittendrin. Gemeinsam demonstrieren sie den Schülern, wie man den Tisch eindeckt, sich dem Gast höflich nähert oder wie man korrekt Wein einschenkt. Natürlich dürfen sich die Tagespraktikanten auch selbst versuchen. Da werden Telefonate angenommen, Schinken geschnippelt, Schränke abgewischt, Betten gemacht und gestaubsaugt.
„Viele haben eine falsche Vorstellung, was man mit der Ausbildung alles machen kann“, weiß Bärbel Deborré-Schech aus Erfahrung. „Die meisten verbinden die Arbeit in der Gastronomie nur mit dem Kellnern und vor allem mit der Arbeit am Wochenende“. Natürlich seien vor allem die Arbeitszeiten für viele ein Hinderungsgrund, in die Gastronomie einzusteigen. Hier nimmt die Hotelchefin aber vor allem die Betriebe in der Pflicht: „Es kann nicht sein, dass die Auszubildenden teilweise vor Weihnachten aus der Berufsschule geholt werden, damit die ganzen Weihnachtsfeiern gestemmt werden können“. Sie wirbt dafür, auch Verständnis für die Altersgruppe zu entwickeln: „Wenn ich einen 18-Jährigen jedes Wochenende arbeiten lasse, raube ich ihm sein Leben und sein soziales Umfeld“.
Ganz klar: Der Mensch steht im Mittelpunkt im „Hotel Bartmanns Haus“. Und zwar nicht nur der Gast. „So ein Betrieb funktioniert nur, wenn man ein gutes Team hat“. Bei Bärbel Deborré-Schech bekommt jeder eine Chance, der bereit ist, im Team zu arbeiten und anderen Menschen den nötigen Respekt entgegenzubringen. Ihr sind die sogenannten Soft Skills wichtiger als die Schulnoten. „Was nutzt mir jemand, der super in Mathe ist, im Sozialverhalten aber eine Vier hat?“ Diese Botschaft richtet sie auch an die Schüler: „Mir ist es egal, welche Nationalität ihr habt, welcher Religion ihr angehört“. Kopfnoten schaue sie sich dagegen sehr genau an, denn es komme darauf an, wie jemand anderen Menschen begegne, ob jemand respektvoll mit anderen umgehe. Entsprechend bunt gemischt ist das Team im Hotel Bartmanns Haus und in dem über das Management verschwisterten und benachbarten Hotel und Gasthaus „Zum Schwan“. Verschiedene Nationalitäten sind hier genauso vertreten wie unterschiedliche Altersschichten. Das sei wichtig, sagt die Hotelleiterin, denn: Die ganz alten Hasen sind zu weit weg von den ganz Jungen. Es brauche Bindeglieder – dann lerne man voneinander. Außerdem gibt es im Hotel Bartmanns Haus in Kooperation mit der Lebenshilfe Dillenburg einen Betriebsintegrierten Beschäftigungsplatz. Dieser ist schon seit vielen Jahren von Lena, einer Patientin mit Down-Syndrom, besetzt. „Lena arbeitet im Service und ist bei unseren Gästen wegen ihrer offenen Art sehr beliebt“.
Lehrerin Bianka Vorländer ist begeistert von dem Engagement des Hotel-Teams und dem tollen Angebot. „Bei uns an der Schule haben die berufsbildenden Maßnahmen einen hohen Stellenwert“. Für die Schüler und Schülerinnen bringe die Aktion echten Mehrwert und sei damit ein echtes Geschenk. „Das ist wie ein Sechser im Lotto“. Es sei nicht selbstverständlich, dass ein Betrieb so viel Zeit investiere, ohne direkt etwas zurückzubekommen. „Ja, es kostet viel Zeit“, sagt Bärbel Deborré-Schech. Sie sieht das Engagement aber als eine Investition in die Zukunft der Branche, aber auch des eigenen Betriebes. Denn sie hat im Hotel Bartmanns Haus nicht mit Nachwuchsproblemen zu kämpfen. „Wenn sie gut ausbilden und Zeit in die Menschen investieren, spricht sich das herum. Und auch die Schüler erzählen weiter, wenn ihnen der Tag bei uns gefallen hat“. So ein Schnuppertag ist also auch für Bärbel Deborré-Schech wie ein Sechser im Lotto. Sabine Glinke