Pressemeldung
Corona-Krise, Grenzregion und Fachkräftemangel: Viele Themen beschäftigen die Unternehmen am Hochrhein. Die BZ (Badische Zeitung) hat darüber mit IHK-Hauptgeschäftsführer Claudius Marx gesprochen.
"Die Wirtschaft ist in ihrer Betroffenheit gespalten"
Corona-Krise, Grenzregion und Fachkräftemangel: Viele Themen beschäftigen die Unternehmen am Hochrhein. Die BZ (Badische Zeitung) hat darüber mit IHK-Hauptgeschäftsführer Claudius Marx gesprochen.
BZ: Herr Marx, wie sind die Unternehmen bislang durch die Corona-Krise gekommen?
Marx: Viele denken, Corona hätte die Wirtschaft gleichmäßig getroffen. Das Gegenteil ist der Fall. Wir haben mit der zunehmenden Dauer der Pandemie eine immer schärfere Trennung in Branchen, die immer härter betroffen werden und Branchen, die relativ gut oder sogar sehr gut durch die Krise kommen. Die Wirtschaft ist in ihrer Betroffenheit gespalten.
BZ: Wie hat sich die Krise auf die kleinen und mittleren Unternehmen ausgewirkt, die diese Region prägen?
Marx: Die familien- oder inhabergeführten Unternehmen sind in besonderem Maße engagiert und überstehen mit sehr großem persönlichem Einsatz, aber auch mit Aufwendung privater Mittel solche Krisen. Das bedeutet nicht, dass sie weniger leiden als andere, sondern der Einsatz der Inhaber, der Familien, größer ist als in anderen Unternehmensformen. Deshalb haben wir eine auffallend geringe Zahl an Insolvenzen – auch durch das teilweise ausgesetzte Insolvenzrecht. Aber es wird vor allem davon gestützt, dass diese Unternehmen sehr viel daran geben, in einer solchen Situation mit ihren Belegschaften zu überleben.
BZ: Liegt im Engagement dieser Unternehmen deren Innovationskraft begründet?
Marx: Es ist nicht so, dass Innovationskraft mit der Größe des Unternehmens abnehmen würde. Aber die Agilität und die Bereitschaft, Geschäftsmodelle zu ändern und anzupassen: Da sind kleine Unternehmen oft schneller als solche, die in großen Strukturen arbeiten.
BZ: Schon vor der Corona-Krise blickten die Betriebe nach jahrelangen Höhenflügen skeptischer in die Zukunft. Traf es die Wirtschaft daher besonders hart?
Marx: Da kann man ein Stück weit Entwarnung geben. Die Industrie hat sich nicht nur mit Corona konfrontiert gesehen, sondern zeitgleich durch andere Herausforderungen. Stichwort: Wandel in der Antriebstechnik, also weg vom Verbrennungsmotor hin zur Elektromobilität. Die Industrie hat sich bis heute besser geschlagen als befürchtet. Das gilt namentlich für den Automobilsektor und seine Zulieferer, die bei uns in der Region stark sind.
BZ: Früher war der Kreis Lörrach in der Bürsten- und Textilindustrie stark. Gibt es noch heute solche für die Region typischen Branchen?
Marx: Generell kann man sagen, dass wir in der Region von der Diversität der Unternehmen profitieren. In Krisenzeiten ist es ein Pluspunkt, dass wir keine monopolen Strukturen haben.
BZ: Wie ist wirkt sich die Grenznähe in normalen Zeiten auf die regionale Wirtschaft aus?
Marx: Die muss kein Handicap sein. Für uns ist nicht die Grenze der Maßstab, sondern ihre Durchlässigkeit. Wenn wir in beiden Richtungen wirtschaften können, ist das ein Vorteil. Deshalb hoffen wir darauf, dass das Rahmenabkommen Schweiz/EU zu einem guten Ende geführt wird. Wo man mit unterschiedlichen Normen, Vorschriften und Zöllen arbeitet, ist das wie Sand im Getriebe.
BZ: Also ist die Grenznähe eher ein Pluspunkt.
Marx: Ja, weil wir eben aus der Nordschweiz eine überschießende Kaufkraft haben, die mehrere Pfeiler hat. Da geht es um das jeweils unterschiedliche Einkommensniveau, Preisniveau im Einzelhandel, um die Stärke des Schweizer Frankens und die Umsatzsteuerrückerstattung für Schweizer Kunden. Diese vier Faktoren sind seit geraumer Zeit sehr günstig für unsere Region. Das war nicht immer so. Einzelne Faktoren haben auch schon in die umgekehrte Richtung gewirkt.
BZ: Wie beim Fachkräftemangel.
Marx: Die Schweiz hat eine ähnliche wirtschaftliche und demografische Entwicklung wie wir, das Fachkräfteproblem besteht genauso in der Schweiz. Natürlich ist die Schweiz ein sehr attraktiver Arbeitsmarkt. Es ist negativ für die Region, wenn man gute Arbeitskräfte verliert oder erst gar nicht gewinnt, weil sie in die Schweiz gehen. Aber volkswirtschaftlich gesehen zählt das gesamte Bild. Es macht wenig Sinn, wenn beim Einkaufstourismus die Schweiz und beim Fachkräftemangel Deutschland klagt. Aber es wäre zu beider Nachteil, wenn man diesen Markt unterbinden würde.
BZ: Wie sieht es auf dem Ausbildungsmarkt aus?
Marx: Da hat uns die Pandemie arg zu schaffen gemacht. Wir haben in 2020 im zweistelligen Prozentbereich weniger Ausbildungsverträge abschließen können, als im Vorjahresvergleich. Dieser Einbruch hat sich 2021 fortgesetzt. Das heißt, uns fehlen zehn, 15 Prozent einer ganzen Ausbildungsgeneration. Das Bedauerliche ist, dass diese Jugendlichen nicht in der Ausbildung und auch anderswo nicht angekommen sind.
BZ: Was bedeutet das konkret?
Marx: Sie warten ab. Das wird zeitversetzt dazu führen, dass wir zwei, drei Jahren später deutlich weniger Berufsabgänger haben, als wir es eigentlich haben sollten. Aber diese Jugendlichen sind nicht weg, sondern orientieren sich gerade nicht. Die Herausforderung ist, dass wir sie nicht verlieren, sondern finden, auffangen und in den kommenden Jahren zurückgewinnen, um diese Delle in der dualen Ausbildung wieder auszugleichen.
BZ: Was ist jenseits von Impfen und Kontaktbeschränkung für den Weg aus der Krise nötig?
Marx: Wir brauchen nach der kollektiven Anstrengung in der Pandemie eine zweite kollektive Anstrengung, um die Wirtschaft schnell und effizient wieder hochzufahren. Dazu braucht es nicht mehr das Geld im Sinne von Hilfsleistungen, sondern dass wir regulatorisch von der Bremse gehen. Dass wir massiv Bürokratie zurückfahren, um die Kraft der Wirtschaft maximal auf die Straße zu bringen. Da steckt noch Potenzial.