Coronavirus

"Es geht nicht um Wirtschaft gegen Gesundheit"

Im Interview spricht IHK-Hauptgeschäftsführer Claudius Marx über die Auswirkungen der Coronakrise auf die Wirtschaft, das Soforthilfeprogramm und einen Stufenplan für den Exit aus den Maßnahmen.

Geschäfte haben geschlossen,  Betriebe produzieren auf Sparflamme: Wie lange hält die Wirtschaft das noch durch?
Laut einer aktuellen DIHK-Umfrage ist bundesweit jedes fünfte Unternehmen von der Schließung bedroht. In der Gastronomie und im Tourismus können sogar 40 Prozent der Betriebe eine Insolvenz nicht ausschließen. Das ist eine Situation, die keine Volkswirtschaft der Welt lange erträgt.

Wie lassen sich massenhafte Insolvenzen noch abwenden?
Wir müssen zuerst durch Soforthilfe dafür sorgen, dass den Unternehmen nicht die Luft ausgeht. Sie brauchen ausreichend Liquidität, um zumindest ihre laufenden Kosten wie Miete, Leasingraten, Löhne decken zu können. Da sind wir dran. Und dann müssen wir einen Ausgang aus der jetzigen Situation mit all ihren Beschränkungen finden. Und das bald.

Welche Branchen leiden besonders und welche kommen eher glimpflich davon?
Alle Unternehmen mit direktem Kontakt zum Kunden leiden extrem. Das ist nicht nur der Einzelhandel, die Hotellerie und die Gastronomie. Viele Dienstleister, vom Tattoostudio über den Friseur bis zum Busunternehmer sind entweder geschlossen oder leiden extrem unter ausbleibenden Aufträgen und Stornierungen. Da ist der Umsatz teilweise von einem auf den anderen Tag auf null gesunken. Eine industrielle Produktion lässt sich dagegen durch Abtrennung von Bereichen und Schichtpläne zumindest eingeschränkt sicher weiterführen. Dort machen eher die Lieferketten und die Logistik Sorge.

Hat die Regierung schnell genug gehandelt, um den Unternehmen zu helfen?
Ja. Vor allem das Soforthilfeprogramm für Kleinunternehmen und Solo-Selbständige haben Bund und Land schnell auf den Weg gebracht. Die Bearbeitung der Anträge, die über uns Kammern abgewickelt wird, läuft derzeit auf Hochtouren. Allein bei uns sind bis heute über 14.000 eingegangen, landesweit sind es 290.000. Zwei Drittel haben wir schon bearbeitet. Alle Instrumente der Krisenbewältigung werden ständig nachgebessert und angepasst. Auf die Soforthilfe für die Kleinen folgt jetzt der Sofortkredit für den Mittelstand. Und die EU hat den Weg freigemacht, die Hausbanken bei der Vergabe von KfW Krediten vollständig vom Kreditrisiko zu befreien. Letztlich ist das aber alles nur ein Arbeiten am Symptom, mit dem wir uns Zeit kaufen. Zeit, die wir nutzen müssen.

Wie groß ist die Gefahr von Mitnahmeeffekten bei der Beantragung von staatlichen Hilfen?
Es gehört zur Wahrheit, dass es solche Mitnahmen gibt. Sie sind der Preis, den wir für die Geschwindigkeit zahlen, dafür, dass das Geld rechtzeitig bei denen ankommt, die es erhalten sollen. Dennoch – jeder Antragsteller gibt eine eidesstattliche Erklärung ab, macht sich also bei falschen Angaben strafbar. Und es gibt die Möglichkeit, die Anträge im Nachhinein noch einmal zu prüfen. Dafür müssen alle Unterlagen aufbewahrt und vorgehalten werden.

Wie können wir den Ausstieg aus der aktuellen Ausnahmesituation schaffen?
Eine Exit-Strategie muss die Gesundheit der Menschen und die Erhaltung der Wirtschaftsstruktur zusammenbringen. Das ist nicht gegeneinander verhandelbar. Es geht nicht um Wirtschaft gegen Gesundheit. Schließlich sind die Menschen, deren Gesundheit auf dem Spiel steht, und die, deren Wohlstand und Arbeit in Gefahr sind, dieselben. Wir müssen also einen Weg finden, das eine zu tun ohne das andere zu lassen. Und wir müssen diese Debatte schon jetzt führen. Man kann ein Unternehmen über Nacht schließen, aber nicht über Nacht wieder hochfahren. Das braucht einen Vorlauf und den haben wir nur jetzt.  

Welche Wirtschaftsbereiche könnten als erstes wieder Fahrt aufnehmen?
Wichtig ist, einen Stufenplan zu entwickeln. Die Teile der Wirtschaft, die weniger Publikumsverkehr haben, können früher zur Normalität zurückkehren. Wenn Gasstätten wieder öffnen dürfen, braucht es wohl noch flankierende Maßnahmen wie Mindestabstände. Auch für andere Schutzmaßnahmen wie Corona-Apps oder eine Schutzmaskenpflicht sollten wir offen sein, wenn dadurch die wirtschaftliche Aktivität schneller wieder aufgenommen werden kann. Risikogruppen stärker zu schützen, um alle anderen wieder mobiler werden zu lassen, scheint mir ein guter Gedanke zu sein – für die Menschen wie für die Unternehmen.

Ist unsere Region durch die starke Abhängigkeit von der Schweizer Kundschaft besonders stark betroffen?
Unsere Region ist zwar relativ widerstandsfähig, weil in einer diversifizierten Struktur nicht ein Großunternehmen oder eine Branche dominiert. Aber so lange die Schweizer Grenze geschlossen bleibt, fehlt vielen Unternehmen fast die Hälfte des Umsatzes. Wenn bei uns wieder Normalität einkehrt, aber die Schweiz ihre Grenze nicht öffnet, ist für diese Unternehmen die Krise nicht vorbei.

Droht uns ein Aussterben der Innenstädte, weil die Menschen sich daran gewöhnen, vom heimischen Computer aus über Online-Dienste wie Amazon zu bestellen?
Manche sehen das so. Ich bin eher optimistisch. Wir spüren doch gerade alle, wie sehr uns die Innenstadt fehlt. Wenn die Beschränkungen aufgehoben sind, bin ich einer der ersten, der zurückkehrt. Und ich bin sicher, die meisten Kunden denken genauso wie ich.

Unsere Region hatte in den letzten Jahren eine besonders niedrige Arbeitslosigkeit. Droht uns jetzt ein Anstieg der Arbeitslosenquote?
Wenn wir einen geregelten Wiedereinstieg schaffen, fürchte ich keine nachhaltige Schwächung des Arbeitsmarktes. Die Wirtschaft an sich ist kerngesund, die Krise kam von außen. Je schneller wir das Virus in den Griff bekommen, desto sicherer fasst auch die Wirtschaft wieder Tritt. Bis dahin kann Kurzarbeit den status quo sichern.

Ist die Corona-Krise noch schlimmer als die Finanzkrise?
Ich fürchte, ja. Die Finanzkrise traf den Finanzsektor, die Corona-Krise die ganze Gesellschaft in allen Facetten. Das Schadenspotenzial hat ein Volumen, das die Krisen der letzten Jahrzehnte in den Schatten stellt, die staatlichen Hilfspakete sind in ihrer Dimension einmalig. Aber es gibt auch starke Zeichen, die Hoffnung machen. Die Kräfte, welche diese Krise entfaltet, sind eindrucksvoll. Wir machen gerade einen Crashkurs in Digitalisierung, in Agilität und in Solidarität. Und in allen drei Disziplinen bin ich beeindruckt, wie gut uns das gelingt. Ich erlebe, dass sich unsere Gesellschaft in allen Bereichen – sei es Wirtschaft, Politik oder Verwaltung – ausgesprochen fähig zeigt, mit solch einer Aufgabe umzugehen.