Insolvenzrecht und Unternehmenskrisen

Der Insolvenzantrag

Stand: September 2020. Die IHK-Information gibt einen Überblick über Grundsatzfragen, die sich im Zusammenhang mit einer Insolvenzantragstellung ergeben.

1. Insolvenzgericht

Der Insolvenzantrag ist bei einem Insolvenzgericht zu stellen. Örtlich zuständig ist ausschließlich das Insolvenzgericht, in dessen Bezirk der Schuldner bzw. das Schuldnerunternehmen seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Die Landesregierungen können zudem durch Rechtsverordnung andere oder zusätzliche Amtsgerichte zu Insolvenzgerichten bestimmen und die Bezirke der Insolvenzgerichte abweichend festlegen.
Im Bezirk der IHK Koblenz sind die Insolvenzgerichte die Amtsgerichte
  • AG Bad Kreuznach
  • AG Bad Neuenahr-Ahrweiler
  • AG Cochem
  • AG Idar-Oberstein
  • AG Koblenz
  • AG Mayen
  • AG Montabaur
  • AG Neuwied

2. Insolvenzfähige Personen

Ein Insolvenzverfahren kann über das Vermögen jeder natürlichen und jeder juristischen Person (insbesondere Unternehmergesellschaft (UG) (haftungsbeschränkt), GmbH, AG etc.) eröffnet werden. Diesen stehen insofern gleich:
  • Offene Handelsgesellschaften
  • Kommanditgesellschaften
  • BGB-Gesellschaften
  • Partnerschaften
  • Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigungen
  • nicht rechtsfähige Vereine

3. Antragsteller

Das Insolvenzverfahren wird nur auf Antrag eröffnet. Antragsberechtigt sind sowohl die Gläubiger als auch der Schuldner. Entsprechende Antragsformulare finden Sie auf den Seiten des jeweils zuständigen Amtsgerichts.

3.1 Gläubigerantrag

Der Fremdantrag eines Gläubigers ist nur dann zulässig, wenn er bestimmte Anforderungen erfüllt, vgl. § 14 Insolvenzordnung (InsO). Der Gläubiger muss
  • die ladungsfähige Adresse, ggf. die Rechtsform und den/die Vertreter des Schuldners benennen,
  • ein rechtliches Interesse an der Eröffnung des Insolvenzverfahrens darlegen,
  • eine fällige Forderung glaubhaft machen; dabei ist zu beachten: Die Forderung darf nicht völlig unbedeutend sein (rückständige Zinsen und Mahnkosten reichen nicht aus, soweit die Hauptforderung beglichen ist). Der Antrag darf nicht als unlauteres Druckmittel missbraucht werden (z. B. Schädigung des Antragsgegners als Wettbewerber) und
  • einen Eröffnungsgrund (Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung) glaubhaft machen.
Erforderliche Unterlagen:
Der Antragsteller muss Unterlagen zum Nachweis der Forderung vorlegen. Außerdem ist darzulegen, dass der Schuldner außerstande ist, diese Verbindlichkeit zu erfüllen. Ausreichend dafür ist beispielsweise das Protokoll eines Gerichtsvollziehers über einen erfolglosen Pfändungsversuch (Fruchtlosigkeitsbescheinigung) oder eine Vermögensauskunft des Schuldners über seine Vermögenssituation. Um missbräuchliche Insolvenzanträge zu verhindern, hat das Insolvenzgericht den Schuldner bei einem Gläubigerantrag grundsätzlich anzuhören. Im Rahmen der Anhörung kann der Schuldner die Erklärungen des Gläubigers bestreiten, eine Gegenglaubhaftmachung oder Gegenbeweise vorlegen.

3.2 Schuldnerantrag

Bei juristischen Personen und Handelsgesellschaften ist zum Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens jedes Mitglied des Vertretungsorgans bzw. jeder persönlich haftende Gesellschafter berechtigt. Wird der Antrag nicht von allen Mitgliedern des Vertretungsorgans bzw. allen persönlich haftenden Gesellschaftern gestellt, muss der Eröffnungsgrund glaubhaft gemacht werden. Der Schuldner bzw. seine Vertretungsorgane sind dem Insolvenzgericht gegenüber unbeschränkt auskunftspflichtig.
Wird eine juristische Person, etwa eine GmbH oder Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt), zahlungsunfähig oder überschuldet, hat das geschäftsführende Organ ohne schuldhaftes Zögern, spätestens drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu beantragen, vgl. § 15a InsO. Gleiches gilt für vergleichbare Auslandsgesellschaften, die ihren Sitz im Inland haben. Bei einer schuldhaften Verzögerung des Antrags machen sich die Antragspflichtigen unter Umständen schadensersatzpflichtig, eventuell sogar strafbar.
Bitte beachten:
Die straf- und haftungsbewehrte Insolvenzantragspflicht von drei Wochen ist nach derzeitigem Stand bis zum 30.09.2020 ausgesetzt, und darüber hinaus teilweise bis zum 31.12.2020 ausgesetzt werden. Die Aussetzung ist aber nicht möglich, wenn die Insolvenz nicht auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht oder keine Aussichten auf Beseitigung der eingetretenen Zahlungsunfähigkeiten bestehen. Weitere Informationen finden Sie auf der Seite des BMJV.
Ist eine GmbH führungslos (d. h. ohne Geschäftsführer), ist auch jeder Gesellschafter, ist eine AG oder Genossenschaft führungslos, auch jedes Mitglied des Aufsichtsrats zur Stellung des Insolvenzantrags verpflichtet, es sei denn, diese Person hat von der Zahlungsunfähigkeit, der Überschuldung oder der Führungslosigkeit keine Kenntnis.
Die Anforderungen an den Insolvenzantrag des Schuldners sind durch das ESUG gestiegen, vgl. § 13 InsO. Wie bisher schon, muss der Schuldner den Insolvenzgrund (Zahlungsunfähigkeit und/oder insolvenzrechtliche Überschuldung) schlüssig und nachvollziehbar darlegen. Überdies ist dem Insolvenzantrag des Schuldners zwingend ein Verzeichnis der Gläubiger und ihrer Forderungen (Gläubigerverzeichnis) beizufügen. Dem Gläubigerverzeichnis und den ggf. erforderlichen weiteren Angaben ist eine Erklärung beizufügen, dass die enthaltenen Angaben richtig und vollständig sind. Ist der Geschäftsbetrieb des Schuldners nicht eingestellt, gelten folgende besondere Anforderungen an dieses Gläubigerverzeichnis:
Bei kleinen Unternehmen sollen grundsätzlich und bei größeren Unternehmen (vgl. unten) müssen in dem Gläubigerverzeichnis verpflichtend bestimmte Forderungen besonders kenntlich gemacht werden. Auch für kleine Unternehmen ist dies verpflichtend, sofern eine Eigenverwaltung oder ein vorläufiger Gläubigerausschuss beantragt ist. Folgende Forderungen sollen/müssen besonders kenntlich gemacht werden:
  • die höchsten Forderungen,
  • die höchsten gesicherten Forderungen,
  • die Forderungen der Finanzverwaltung,
  • die Forderungen der Sozialversicherungsträger sowie
  • die Forderungen aus betrieblicher Altersversorgung.
Der Hintergrund für diese besonderen Anforderungen ist, dass das Gericht bei einem laufenden Geschäftsbetrieb des Schuldnerunternehmens allein schon durch die Angaben im Insolvenzantrag in der Lage sein soll, einen vorläufigen Gläubigerausschuss einzuberufen. Dazu ist erforderlich, dass das Gericht die Angaben über die Struktur der Gläubiger erhält.
Ist der Geschäftsbetrieb des Schuldners nicht eingestellt, müssen außerdem bei allen Unternehmen – und zwar unabhängig von der Größe – verpflichtend folgende weitere Angaben gemacht werden:
  • zur Bilanzsumme,
  • zu den Umsatzerlösen und
  • zur durchschnittlichen Zahl der Arbeitnehmer des vorangegangenen Geschäftsjahres.
Damit das Gericht den Insolvenzgrund prüfen kann, sollten dem Antrag in der Regel sinnvollerweise folgende Unterlagen/Angaben beigefügt werden:
  • ein Vermögensverzeichnis, aus dem durch Gegenüberstellung der Aktiva und Passiva unter Berücksichtigung von Liquidationswerten ein vollständiger Überblick über die Vermögenslage gewonnen werden kann,
  • ein Schuldnerverzeichnis mit genauer Bezeichnung der Schuldner sowie deren Anschriften; bei jeder Forderung sind Betrag und Schuldgrund anzugeben,
  • Angaben zur Fortführung des Geschäftsbetriebes,
  • Angaben zum Tätigkeitsbereich des Unternehmens,
  • Angaben zur Anzahl der Arbeitnehmer,
  • Angaben zum Bestehen von Sanierungsaussichten.
Um ein größeres Unternehmen handelt es sich (gem. § 22 a Abs. 1 InsO), wenn der Schuldner im vorangegangenen Geschäftsjahr mindestens zwei der drei nachstehenden Merkmale erfüllt hat:
  1. mindestens 4.840.000 Euro Bilanzsumme nach Abzug eines auf der Aktivseite ausgewiesenen Fehlbetrags im Sinne des § 268 Absatz 3 des Handelsgesetzbuchs;
  2. mindestens 9.680.000 Euro Umsatzerlöse in den zwölf Monaten vor dem Abschlussstichtag;
  3. im Jahresdurchschnitt mindestens 50 Arbeitnehmer.
Erforderliche Unterlagen:
  • Dem Antrag ist ein Vermögensverzeichnis beizufügen, das so beschaffen sein muss, dass es durch Gegenüberstellung der Aktiva und Passiva unter Berücksichtigung von Liquidationswerten einen vollständigen Überblick über die Vermögenslage gewährt.
  • Weiterhin muss ersichtlich sein, ob seitens Dritter Ansprüche auf Herausgabe oder abgesonderte Befriedigung bestehen. Das Gläubiger- und Schuldnerverzeichnis muss die genaue Bezeichnung der Gläubiger und Schuldner sowie deren ladungsfähige Anschriften enthalten.
  • Bei jeder Forderung und Verbindlichkeit sind der Betrag und der Schuldgrund anzugeben.

4. Insolvenzgründe

Die Eröffnung des Insolvenzverfahren setzt voraus, dass ein Eröffnungsgrund gegeben ist. Dafür kommen drei Möglichkeiten in Betracht:
  • Zahlungsunfähigkeit (s. u. 4.1)
  • Drohende Zahlungsunfähigkeit (s. u. 4.2)
  • Überschuldung (s. u. 4.3)
Bei Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung kann eine Antragspflicht bestehen (s. o.).

4.1 Zahlungsunfähigkeit

In der Insolvenzordnung ist die Zahlungsunfähigkeit ausdrücklich definiert (§ 17 InsO):

"Der Schuldner ist zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Zahlungsunfähigkeit ist in der Regel anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat."
Von der Zahlungsunfähigkeit zu unterscheiden ist die bloße Zahlungsstockung. Geringfügige Liquiditätslücken führen grundsätzlich noch nicht zur Zahlungsunfähigkeit, hier ist aber Vorsicht geboten: Eine bloße Zahlungsstockung liegt vor,
  • wenn der Schuldner die berechtigte Erwartung hat, er werde die Forderungen der Gläubiger innerhalb eines Zeitraums erfüllen können, der üblicherweise als nur vorübergehend anzusehen ist. Dabei darf der Zeitraum nicht überschritten werden, den eine kreditwürdige Person benötigt, um sich die benötigten Mittel zu beschaffen. Der Schuldner muss also kurzfristig (Zeitraum einzelfallabhängig, Richtwert: nicht mehr als 2 – 3 Wochen) imstande sein, sich die erforderlichen flüssigen Mittel zu beschaffen, um die Verbindlichkeiten zu begleichen.
  • wenn zudem der Umfang der offenen Verbindlichkeiten auf weniger als 10 % der fälligen Gesamtverbindlichkeiten begrenzt ist.
Nur unter diesen Voraussetzungen kann von einer bloßen Zahlungsstockung ausgegangen werden, die noch keinen Insolvenzgrund darstellt. Die Abgrenzung kann im Einzelfall sehr schwierig sein. Ausnahmen gelten aber dann, wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke demnächst vollständig oder fast vollständig beseitigt wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zuzumuten ist.
In jedem Falle wird unbedingt zur Einschaltung eines Fachmanns geraten. Es sollte ein Liquiditätsstatus und eine Zeitraumbetrachtung aufgestellt werden. Zur Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit hat das Institut der Wirtschaftsprüfer einen Prüfungsstandard herausgegeben. Hiernach ist zur Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit ein Finanzstatus und ein darauf aufbauender Finanzplan zu erstellen. Ergibt der Finanzstatus, dass die fälligen Verbindlichkeiten nicht beglichen werden können, liegt gleichwohl keine Zahlungsunfähigkeit vor, wenn der Finanzplan ergibt, dass innerhalb von drei Wochen ein Großteil der fälligen Verbindlichkeiten beglichen werden kann. Im Finanzstatus sind die freien Finanzmittel und die fälligen Verbindlichkeiten aufzustellen. Den Nachweis, dass eine Forderung nicht fällig ist, hat der Schuldner zu führen. Ergibt sich eine Liquiditätslücke, ist ein Finanzplan anhand der künftigen Geschäftstätigkeit aufzustellen. Darin sind Einzahlungen und Auszahlungen sowie Ausgleichs- und Anpassungsmaßnahmen aufzuführen.

Typische Indizien für eine Zahlungsunfähigkeit sind:
  • Nichtzahlung von Lieferanten
  • Nichtzahlung von Löhnen, Gehältern und Sozialversicherungsbeiträgen
  • Hingabe ungedeckter Schecks
  • Wechselproteste
  • Zwangsvollstreckungen / Vorliegen von Vollstreckungsanträgen
  • Anträge zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung

4.2 Drohende Zahlungsunfähigkeit

Wegen drohender Zahlungsunfähigkeit kann allein der Schuldner die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens beantragen, nicht aber die Gläubiger. Der Schuldner droht nach § 18 InsO zahlungsunfähig zu werden, wenn er voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen.
Auch die Beurteilung der künftigen Zahlungs(un)fähigkeit hat auf der Grundlage eines Finanz- bzw. Liquiditätsplanes zu erfolgen, der die Bestände an flüssigen Mitteln sowie Planeinzahlungen und Planauszahlungen verdeutlicht. Aussagekräftig ist die Differenz zwischen dem Anfangsbestand an Zahlungsmitteln und den geplanten Einnahmen einerseits und den geplanten Auszahlungen andererseits. Künftige Kreditaufnahmen fließen in den Plan ein, ebenso wie künftig entstehende Verbindlichkeiten, die zwar noch nicht begründet sind, die jedoch in Zukunft mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit begründet werden müssen, etwa um einen Geschäftsbetrieb aufrechtzuerhalten. Ein Mindestzeitraum von einem halben Jahr bildet in der Regel die Untergrenze der Prognose.
Kann anhand eines solchen Finanzplans festgestellt werden, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit überwiegend wahrscheinlich ist, liegt der Insolvenzgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit vor. Als zukünftige Verbindlichkeiten scheiden nur solche aus, die noch derart ungewiss sind, dass der Eintritt als offen angesehen werden kann (z. B. Produkthaftungsansprüche).
Von der Möglichkeit des Eigenantrags des Schuldners wegen drohender Zahlungsunfähigkeit sollte besonders dann Gebrauch gemacht werden, wenn Sanierungschancen für das angeschlagene Unternehmen bestehen, da diese umso höher sind, je früher ein Insolvenzantrag gestellt wird. Der Schuldner hat die Möglichkeit, schon bei drohender Zahlungsunfähigkeit einen Insolvenzantrag zu stellen.

4.3 Überschuldung

Die Überschuldung gemäß § 19 InsO ist lediglich bei juristischen Personen Eröffnungsgrund für ein Insolvenzverfahren. Nach § 19 Abs. 2 InsO liegt Überschuldung vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich. Neben der Frage der rechnerischen Überschuldung - wenn also das auf der Aktivseite der Bilanz ausgewiesene Vermögen kleiner ist als die auf der Passivseite ausgewiesenen Verbindlichkeiten – ist die Fortführungsprognose für die Beurteilung des Insolvenzgrundes der Überschuldung maßgeblich. Durch diese Regelung können rechnerisch überschuldete Unternehmen der Insolvenzantragspflicht entgehen, sofern sie eine positive Fortführungsprognose aufstellen und diese belegen können.
Die positive Fortführungsprognose setzt voraus, dass der Wille besteht, das Unternehmen fortzuführen (subjektives Element) und dass die Fortführung objektiv erfolgsversprechend erscheint. Maßgeblich ist, ob ein ordentlicher Geschäftsleiter sich auf der Grundlage einer gewissenhaften, sachkundigen Prüfung aller am Stichtag erkennbaren wesentlichen Umstände für eine Fortführung des Unternehmens entscheiden würde. Objektiv erfolgsversprechend ist die Fortführungsprognose, wenn das Unternehmen im laufenden sowie im nächsten Geschäftsjahr voraussichtlich nicht zahlungsunfähig wird. Dies wiederum ist anhand eines konkreten Unternehmenskonzeptes zu prüfen und zu belegen. Grundsätzlich wird es als unumgänglich angesehen, die Fortführungsprognose durch einen Finanzplan sowie eine Liquiditätsrechnung zu belegen, da nur so ermittelt werden kann, ob die zukünftige Zahlungsfähigkeit gewährleistet ist. Die wesentlichen Prämissen und Bestandteile der Überschuldungsprüfung, insbesondere die der Fortführungsprognose zugrunde gelegten Tatsachen, Annahmen und Schlussfolgerungen, sollten dokumentiert und erläutert werden. Die Auswirkungen des Unternehmenskonzeptes sind darzulegen. Die ordnungsgemäße Dokumentation ist auch zur Minderung der Haftungsrisiken bedeutsam.

4.4 Schutzschirmverfahren

Durch das am 1. März 2012 in Kraft getretene ESUG wurde ein neues Verfahren eingeführt – das so genannte Schutzschirmverfahren-, dass ein Schuldner unter bestimmten Umständen im Vorfeld eines Insolvenzverfahrens kann.
Das Schutzschirmverfahren gem. § 270 b InsO ist ein Spezialfall der Eigenverwaltung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Es soll dem Schuldner durch frühzeitiges Handeln die Sanierung seines Unternehmens erleichtern. Es handelt sich dabei um ein Verfahren zur Vorbereitung einer Sanierung durch Insolvenzplan in Kombination mit Eigenverwaltung. Eigenverwaltung bedeutet die Fortführung des Unternehmens durch den Schuldner selbst unter Aufsicht eines Sachwalters. Hiermit ist die Möglichkeit eröffnet, innerhalb eines Zeitraumes von drei Monaten in dem so genannten Schutzschirmverfahren in Eigenverwaltung unter Aufsicht eines vorläufigen Sachwalters und ohne Vollstreckungsmaßnahmen einen Sanierungsplan zu erarbeiten. Dieser kann im Anschluss als Insolvenzplan umgesetzt werden. Die Zahlungsunfähigkeit darf aber noch nicht eingetreten sein, wenn das Schutzschirmverfahren beantragt wird. Zudem darf die angestrebte Sanierung nicht offensichtlich aussichtslos sein.
Voraussetzung für das Schutzschirmverfahren ist, dass mit dem Antrag eine mit Gründen versehene Bescheinigung eines Steuerberaters, Wirtschaftsprüfers oder Rechtsanwalts oder einer Person mit vergleichbarer Qualifikation vorgelegt wird. Diese Bescheinigung muss den Inhalt haben, dass drohende Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, aber keine Zahlungsunfähigkeit vorliegt und die Sanierung nicht offensichtlich aussichtslos ist.
Dies läuft in der Praxis auf eine Art Gutachten über Ist-Zustand und über die Sanierungsprognose hinaus. Der Aussteller dieser Bescheinigung muss eine andere Person als der einzusetzende Sachwalter sein. Der Schuldner kann einen vorläufigen Sachwalter vorschlagen, der nur abgelehnt werden darf, wenn die Person offensichtlich für die Übernahme des Amtes nicht geeignet ist. Auch dies soll als Anreiz für eine frühzeitige Beantragung des Schutzschirmverfahrens dienen.
Auf Antrag des Schuldners sind Maßnahmen der Zwangsvollstreckung zu untersagen oder einstweilen einzustellen. Es kann auch angeordnet werden, dass der Schuldner Masseverbindlichkeiten begründen darf, die im Insolvenzverfahren vorrangig befriedigt werden. Dies kann die Fortführung des Betriebes erleichtern. Das Gericht darf während des Schutzschirmverfahrens keinen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellen und dem Schuldner auch die Verfügungsbefugnis über sein Vermögen nicht entziehen. Dem Schuldner wird eine Frist von max. drei Monaten zur Ausarbeitung eines Insolvenzplans gesetzt. Nach Ablauf der Frist oder nach gerichtlicher Aufhebung der Anordnung des Schutzschirmverfahrens entscheidet das Insolvenzgericht über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens. In der Schutzschirmphase ist es typischerweise entscheidend, ob der Schuldner das Vertrauen der Vertragspartner und Gläubiger in die Möglichkeit einer Sanierung gewinnt oder nicht. Eine spätere Aufhebung des Schutzschirmverfahrens ist möglich, wenn der vorläufige Gläubigerausschuss dies mit Kopfmehrheit beantragt.

5. Folgen des Insolvenzantrags

Bis zur Entscheidung über den Insolvenzantrag hat das Gericht alle Maßnahmen zu treffen, die erforderlich erscheinen, um eine den Gläubigern nachteilige Veränderung in der Vermögenslage des Schuldners zu verhüten. Das Gericht kann insbesondere
  • einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellen
  • dem Schuldner ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegen und dabei anordnen, dass Verfügungen des Schuldners nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind
  • Maßnahmen der Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner untersagen oder einstweilen einstellen.
Wird ein vorläufiger Insolvenzverwalter eingesetzt, so hat dieser
  • das Vermögen des Schuldners zu sichern und zu erhalten
  • ein Unternehmen, das der Schuldner betreibt, bis zur Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens fortzuführen, soweit nicht das Insolvenzgericht einer Stilllegung zustimmt, um eine erhebliche Verminderung des Vermögens zu vermeiden
  • zu prüfen, ob das Vermögen des Schuldners die Kosten des Verfahrens decken wird.
Wenn das Gericht seine Ermittlungen abgeschlossen hat, kann es
  • den Insolvenzantrag mangels Vorliegens eines Eröffnungstatbestandes zurückweisen
  • den Insolvenzantrag mangels einer die Kosten des Verfahrens deckenden Vermögensmasse zurückweisen
  • das Insolvenzverfahren eröffnen.
Die Antragsabweisung mangels Masse führt bei juristischen Personen zu deren Auflösung. Natürliche Personen werden im Schuldnerverzeichnis eingetragen.
Liegen die Voraussetzungen für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens vor, erlässt das Gericht einen Insolvenzeröffnungsbeschluss. Dort wird die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgesprochen und eine Person zum Insolvenzverwalter ernannt. Der Eröffnungsbeschluss enthält weiter den Namen und die Anschrift des Schuldners sowie den Tag und die Stunde der Eröffnung. Gleichzeitig werden dort die Gläubiger aufgefordert, ihre Forderungen innerhalb einer bestimmten Frist beim Insolvenzverwalter anzumelden und diesem ihre Sicherungsrechte mitzuteilen. Den Schuldnern wird aufgegeben, nur noch an den Verwalter zu leisten. Es werden der so genannte Berichtstermin und der Prüfungstermin bestimmt. Im Berichtstermin wird insbesondere darüber entschieden, ob das Vermögen des Schuldners liquidiert wird oder ob Aussichten bestehen, das Unternehmen im Ganzen oder in Teilen zu erhalten, ob Möglichkeiten für einen Insolvenzplan bestehen und welche Auswirkungen jeweils für die Befriedigung der Gläubiger eintreten würden. Im Prüfungstermin werden die von den Gläubigern angemeldeten Forderungen ihrem Rang und Betrag nachgeprüft.

6. Verbraucherinsolvenzverfahren

Handelt es sich bei dem Schuldner um eine natürliche Person, die eine selbstständige wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt hat, können unter bestimmen Voraussetzungen die besonderen Verfahrensvorschriften des sogenannten Verbraucherinsolvenzverfahrens zur Anwendung kommen. Voraussetzung für die Anwendung dieser besonderen Verfahrensvorschriften ist neben der erfolgten Aufgabe der selbständigen Tätigkeit, dass die Vermögensverhältnisse des Schuldners überschaubar sind (weniger als 20 Gläubiger zum Zeitpunkt der Antragstellung) und gegen ihn keine Forderungen aus Arbeitsverhältnissen bestehen. Des Weiteren muss der Schuldner (ggf. neben einem Fremdantrag) selbst einen Insolvenzantrag gestellt haben.
Die Restschuldbefreiung ist vor allem dann für den Schuldner wichtig, wenn zu erwarten ist, dass er auch nach dem Insolvenzverfahren auf einem Schuldenberg sitzen bleiben wird. Nach einer sogenannten Wohlverhaltensperiode kann einem redlichen Schuldner die Restschuldbefreiung erteilt werden. Die Restschuldbefreiung bewirkt, dass der Schuldner von den restlichen (Alt-)Verbindlichkeiten gegenüber seinen Gläubigern befreit wird.
Für die Einleitung des Verbraucherinsolvenzverfahrens sind besondere Antragsvordrucke zu verwenden, die bei den Insolvenzgerichten erhältlich sind. Außerdem ist die Bescheinigung einer dafür legitimierten Stelle vorzulegen, aus der sich ergibt, dass eine außergerichtliche Einigung mit den Gläubigern über die Schuldenbereinigung auf der Grundlage eines Plans innerhalb der letzten sechs Monate vor dem Eröffnungsantrag versucht worden ist.
Seit 01. Juli 2014 kann die Restschuldbefreiung bereits nach drei Jahren erteilt werden, wenn der Schuldner die Verfahrenskosten des Insolvenzverfahrens komplett bezahlt und mindestens 35 Prozent seiner Schulden beglichen hat. Zahlt er zumindest die Verfahrenskosten ist eine Befreiung nach fünf Jahren möglich. In allen anderen Fällen wird der Schuldner wie bisher nach sechs Jahren schuldenfrei. Zwangs- und Vollstreckungsmaßnahmen einzelner Gläubiger sind während der Wohlverhaltensperiode unzulässig. Der Schuldner muss sein pfändbares Arbeitseinkommen oder diesem gleichgestellte Bezüge an einen Treuhänder abtreten. Neu ist seit 01. Juli 2014, dass er sich bereits mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens um eine Erwerbstätigkeit bemühen muss. Soweit der Schuldner einer selbständigen Tätigkeit nachgeht, obliegt es ihm, die Gläubiger durch Zahlungen an den Treuhänder so zu stellen, als wenn er ein angemessenes Arbeitsverhältnis eingegangen wäre.
Eine Versagung der Restschuldbefreiung kommt unter anderem dann in Betracht, wenn der Schuldner seine Erwerbsobliegenheiten verletzt, wegen Insolvenzstraftaten verurteilt wird, unter Umständen, wenn er in den letzten 3 Jahren vor dem Insolvenzantrag bzw. danach vorsätzlich oder grob fahrlässig schriftlich unrichtige oder unvollständige Angaben über seine wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht hat, er in den letzten drei Jahren vor dem Antrag bzw. danach Vermögen verschwendet oder auch Auskunfts- und Mitwirkungspflichten verletzt hat.
Von der Restschuldbefreiung ausgenommen sind solche Forderungen, die aufgrund einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung gegen den Schuldner begründet worden sind. Ebenfalls ausgenommen sind Forderungen aus rückständigem Unterhalt, wenn der Schuldner pflichtwidrig seinen Unterhaltsverpflichtungen nicht nachgekommen ist und der Gläubiger die Forderung zur Tabelle angemeldet hat. Auch Steuerstraftäter können nicht im Wege der Restschuldbefreiung von Ihren Verbindlichkeiten befreit werden.
Verstößt der Schuldner gegen seine Pflichten und Obliegenheiten, kann das Gericht bereits während der Dauer der Wohlverhaltensperiode die Restschuldbefreiung versagen. Konnte der Gläubiger bislang einen Versagungsantrag nur im Schlusstermin stellen, kann er jetzt während des gesamten Verfahrens einen schriftlichen Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung stellen. Ist dem Gläubiger der Versagungsgrund erst nachträglich bekannt geworden, kann er jetzt auch nach dem Schlusstermin innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab Kenntnis der Gründe einen Versagungsantrag stellen. Die Versagung der Restschuldbefreiung wird im Schuldnerverzeichnis eingetragen.
Quelle: IHK Region Stuttgart