Konjunktur Frühsommer

Klimaindex fällt unter 100 Punkte

Die Konjunktur im Bezirk der IHK Kassel-Marburg trübte sich im Frühsommer 2022 deutlich ein. Zu diesem Ergebnis kam die IHK-Konjunkturumfrage.
Der IHK-Klimaindex, der gewichtete Faktor aus gegenwärtiger und zukünftiger Lagebeurteilung, fiel auf 94,4 Punkte (Jahresanfang: 114,5 Punkte, Vorjahr: 105,6 Punkte) und damit deutlich unter die wichtige Marke von 100 Punkten.
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Als größtes Risiko für die wirtschaftliche Entwicklung nannten 83,5 Prozent der befragten IHK-Mitglieder nicht mehr wie in den Umfragen zuvor den Fachkräftemangel, sondern steigende Rohstoff- und Energiepreise. Mit 57,4 Prozent folgte der Fachkräftemangel nunmehr auf Platz zwei, in den wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen sahen 57,0 Prozent ein Risiko für ihr Unternehmen in den folgenden zwölf Monaten. Einen Lichtblick stellte die Situation im Gastgewerbe dar: Die Branche schaute mit Zuversicht auf die kommenden Monate. Neben einem Corona-Nachholeffekt könnte hier der Ausblick auf die documenta fifteen eine wesentliche Rolle für die positive Stimmung gespielt haben. Die Konjunkturumfrage fand vom 19. April bis 5. Mai 2022 statt.
Die Gründe für die Konjunktureintrübung lagen auf der Hand: Der Krieg in der Ukraine, der zu deutlich steigenden Energiepreisen führt, sich ausweitende Lieferengpässe sowie die weiter zunehmende Inflation hinterließen neben anderen Faktoren wie dem weiterhin bestehenden Fachkräftemangel Spuren. Die Beurteilung der gegenwärtigen Lage unterschied sich dabei deutlich von den zukünftigen Geschäftserwartungen der Unternehmen in Nordhessen und der Region Marburg. Während die Unternehmen die gegenwärtige Lage noch weitgehend als befriedigend beurteilten, schätzten sie die folgenden zwölf Monate deutlich negativer ein: 38,9 Prozent der heimischen Betriebe gingen von einer schlechteren Entwicklung aus.
Auch und vor allem für Branchen wie Verkehr und Logistik waren steigende Energiekosten eine große Herausforderung: „Die Kraftstoffkosten für den Logistiksektor sind zu einem extremen Belastungsfaktor geworden. Insbesondere mittelständisch geprägte Betriebe kommen zunehmend an ihre Grenzen“, kommentierte IHK-Präsidiumsmitglied Ellen Kördel-Heinemann, Geschäftsführerin der Spedition Heinrich Kördel GmbH in Guxhagen. „Die im Entlastungspaket enthaltene Senkung der Energiesteuer auf Diesel und Benzin ist ein erster richtiger Schritt, aber ohne weitere Entlastungen wie zum Beispiel die Einführung des Gewerbediesels wird es sehr schwer.“
Insgesamt ging die Investitionsneigung leicht zurück, wenngleich die Situation sich hier angesichts des herausfordernden Umfeldes als recht stabil erwies. 29,6 Prozent (Vorbericht: 35,3 Prozent, Vorjahr: 24,9 Prozent) gingen sogar von einer zunehmenden Investitionstätigkeit aus, 42,2 Prozent (Vorbericht: 45,4 Prozent, Vorjahr: 48,6 Prozent) von einer etwa gleichbleibenden Investitionstätigkeit. 28,2 Prozent (Vorbericht: 19,3 Prozent, Vorjahr: 26,5 Prozent) erwarteten abnehmende Investitionen. Das ergab im Saldo ein Plus von 1,4 Punkten (Vorbericht: + 16,0 Punkte). Die Hauptmotive für die Investitionen waren Ersatzbedarf, Rationalisierungen und Kapazitätsausweitungen. Investitionen in den Umweltschutz nahmen bei Mehrfachnennungen 27,2 Prozent (Jahresanfang 24,1 Prozent) der Unternehmen vor. Die Beschäftigungspläne der Unternehmen blieben aktuell weitestgehend stabil: Bei 61,1 Prozent sollte die Zahl der Beschäftigten gleichbleiben. 14,5 Prozent wollten in den kommenden zwölf Monaten Arbeitsplätze reduzieren. 24,4 Prozent planten, zusätzliches Personal einzustellen.
Auch der Export litt unter den globalen Rahmenbedingungen. In Asien sorgten strikte Corona-Maßnahmen wie die Schließung des wichtigen Handelshafens Shanghai für weitere Probleme in den angespannten Lieferketten. Jedes dritte Unternehmen ging von einem rückläufigen Exportvolumen aus, so zum Beispiel die Kahl & Schlichterle Maschinen- und Getränkeindustrie GmbH: „Unsere Auslandsnachfrage ist noch weitestgehend intakt“, so Esther Kahl, Geschäftsführerin des in Burgwald ansässigen Unternehmens. Sie unterstrich: „Gründe hierfür sind unter anderem, dass die Getränkeindustrie weniger konjunkturabhängig ist als andere Industriezweige. Dennoch hat die gesamtwirtschaftliche Entwicklung auch Auswirkung auf unsere Aktivitäten. Wir sind zum Beispiel mit längeren Lieferzeiten für Bauteile, Problemen bei der globalen Transportlogistik und steigenden Kosten für Beschaffung und Energie konfrontiert. Von dem Krieg in der Ukraine ist unser Unternehmen derzeit direkt betroffen, da wir eine bereits angezahlte Maschine mit hohem Auftragswert für eine russische Brauerei nicht ausliefern können und auf die Restzahlung warten.“
IHK-Hauptgeschäftsführer Dr. Arnd Klein-Zirbes betonte mit Blick auf die zahlreichen Krisen, die sich derzeit überlagern, es sei wichtig, dass die Politik die Belastungen für die Unternehmen jetzt so gering wie möglich hält: „Als äußerst schwierig könnte sich herausstellen, dass sich an die Corona-Krise, deren Ende noch nicht definitiv zu konstatieren ist, keine Erholungsphase anschließt. Wirtschaft und Politik sind nun – nicht zuletzt mit Blick auf den Transformationsprozess hin zur Klimaneutralität – besonders gefordert. Nun heißt es, alle beeinflussbaren Rahmenbedingungen so stabil wie möglich zu halten. Dazu zählt eine Verminderung der Abhängigkeit von Russland ebenso wie der beschleunigte Ausbau von Wind- und Sonnenenergie.“ Um eine größere Unabhängigkeit von Russland und China zu erreichen, sei es erforderlich, dass die EU und die Bundesregierung leistungsfähige Kooperationen mit anderen Ländern anstreben, unterhalten und stärken.
Der gesamte Konjunkturbericht mit detaillierten Brancheninformationen ist unter www.ihk.de/kassel-marburg/konjunktur zu finden.