1. November 2024

Wirtschaft im IHK-Bezirk weiterhin im Krisenmodus

Die Wirtschaft in Nordhessen und Marburg befindet sich im Herbst 2024 weiter in einer Rezession. Als größtes Risiko betrachten die befragten Unternehmen die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingen.
Der IHK-Klimaindex, der gewichtete Faktor aus gegenwärtiger und zukünftiger Lagebeurteilung, liegt wie in der Vorumfrage über alle Branchen hinweg bei nur rund 92 Punkten, was die Abkühlung der Konjunktur bestätigt. Er verharrt weiterhin unter der wichtigen 100-Punkte-Marke, die zwischen einer positiven und negativen Einschätzung der Konjunktur unterscheidet. Fast ein Drittel der Unternehmen (30,1 Prozent) erwartet eine weitere Verschlechterung der konjunkturellen Situation in den kommenden Monaten. Das sind die Kernbotschaften der jüngsten Konjunkturumfrage der Industrie- und Handelskammer (IHK) Kassel-Marburg, an der sich rund 270 Unternehmen beteiligt haben.
„Deutschland hat in vielen Bereichen deutlich an Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt. Überbordende Bürokratie, hohe Energiekosten, eine vernachlässigte Infrastruktur und im internationalen Vergleich zu hohe Unternehmenssteuern belasten unsere Unternehmen. Das Resultat spiegelt unsere Befragung klar wider“, macht IHK-Hauptgeschäftsführer Dr. Arnd Klein-Zirbes deutlich.
Als größte Risiken für die wirtschaftliche Entwicklung nennen die Unternehmen bei Mehrfachnennungen die schlechten wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen (66,7 Prozent), eine rückläufige Inlandsnachfrage (61,1 Prozent), steigende Arbeitskosten (56,3 Prozent), den Fachkräftemangel (52,8 Prozent) sowie höhere Energie- und Rohstoffpreise (46,2 Prozent). „Die wachsende Unzufriedenheit mit den Standortbedingungen wird immer deutlicher. Besonders besorgniserregend ist das niedrige Investitionsniveau der Betriebe, das sich vorwiegend auf Ersatzbeschaffungen konzentriert. Zukunftsorientierte Investitionen hingegen werden häufiger ins Ausland verlagert“, betont Dr. Arnd Klein-Zirbes.
Eine positive Nachricht der aktuellen Umfrage sei jedoch, dass es entgegen dem IHK-Hessen- und Bundestrend im Bezirk Kassel-Marburg keine weiteren Einbrüche in der Industrie gebe: „Der Klimaindex zur Industrie liegt bei rund 90 Punkten (hessenweit bei nur noch 78 Punkten). Unsere Unternehmen aus dem produzierenden Sektor stabilisieren sich, wenn auch auf niedrigem Niveau. Sie stemmen sich mit aller Kraft gegen die Krise“, so Dr. Klein-Zirbes. Der Wert sei auch darauf zurückzuführen, dass Kassel bedeutende Unternehmen im Bereich der Sicherheitstechnologien beheimatet und Marburg über einen starken Pharmasektor verfügt. Diese Branchen seien weniger von der Rezession betroffen als der reine Automobilsektor und der klassische Maschinenbau.
Besorgniserregende Entwicklungen verzeichnen sowohl die Bauwirtschaft als auch der Einzelhandel. Der IHK-Klimaindex in der Bauindustrie bricht von 104,2 auf 78,6 Punkte ein. Kein Unternehmen erwartet eine Verbesserung der konjunkturellen Lage in den kommenden Monaten. Rund 44 Prozent der Betriebe rechnen sogar mit einer weiteren Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation. Auch der Klimaindex im Einzelhandel bricht massiv von 92,5 auf nur noch 67,4 Punkte ein. Die Einzelhändler im IHK-Bezirk Kassel-Marburg bewerten ihre wirtschaftliche Lage deutlich schlechter als der hessische Durchschnitt, der bei 79 Punkten liegt.
Martina Pape, stellvertretende Vorsitzende des IHK-Handelsausschusses und Inhaberin der Etuis-Mertl GmbH & Co. KG in Kassel, unterstreicht die Bedeutung der kommenden Monate: „Das bevorstehende Weihnachtsgeschäft ist wichtiger denn je. Wir spüren eine deutliche Kaufzurückhaltung. Die negativen Nachrichten über große Arbeitgeber in der Region bleiben nicht ohne Einfluss auf die Verbraucher. Umso entscheidender sind die Rahmenbedingungen. Nur attraktive, gut erreichbare Stadtzentren mit einem vielfältigen Angebot schaffen ein zeitgemäßes Einkaufserlebnis.“
Wieland Sulzer, Geschäftsführer der Spielwaren Sulzer GmbH & Co. KG in Marburg, hebt hervor, dass Einzelhändler derzeit mit einer Vielzahl von Herausforderungen konfrontiert sind. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, sei es für stationäre Händler unerlässlich, ihre digitale Präsenz zu stärken und ihren Kunden einen ansprechenden Onlineshop anzubieten, unterstreicht Sulzer, dessen Kunden sowohl vor Ort als auch online einkaufen können. Seinen Ausführungen zufolge ist der Spielzeughandel bestens auf das Weihnachtsgeschäft vorbereitet und legt höchsten Wert auf Qualität und Sicherheit: „Gerade deshalb lohnt es sich, lokal einzukaufen. Trotz der strengen EU-Vorschriften zur Spielzeugsicherheit hat der Verband der Spielzeug-Industrie kürzlich eine Warnung ausgesprochen – insbesondere im Hinblick auf den Onlinehändler Temu sowie andere Drittanbieter außerhalb der EU. Der Verband hebt hervor, dass Nicht-EU-Anbieter auf Onlineplattformen nach wie vor unsicheres Spielzeug offerieren, das eine ernsthafte Gefahr für die Gesundheit unserer Kinder darstellt“, betont Sulzer.
Um die Konjunktur und Investitionen anzukurbeln, fordert die IHK Kassel-Marburg umfassende Reformen und gezielte Entlastungen. Notwendig seien vor allem steuerliche Entlastungen und die Abschaffung des Solidaritätszuschlags. Zudem müsse die Energiepolitik überarbeitet, die Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigt und die Entbürokratisierung vorangetrieben werden.
Der vollständige Konjunkturbericht mit detaillierten Brancheninformationen ist unter www.ihk.de/kassel-marburg/konjunktur zu finden.