29. Juni 2023
Leere Innenstadt nach Plan
Die IHK-Regionalversammlung Marburg schaut mit großer Sorge auf den Abschlussbericht zu MoVe35 und lehnt Zwangsmaßnahmen zur Reduzierung des Kfz-Verkehrs ab. Bei dem Konzept ginge es um Verdrängung, weniger um Lösungen, so die Unternehmensvertreter in ihrer Sitzung am 27. Juni.
Die Unternehmensvertreter machten bei der Regionalversammlung deutlich: Es drohten erhebliche Einschränkungen der Erreichbarkeit zentraler Ziele in der Innenstadt, da sich die Knotenpunkte weiter verdichten würden. Dies werde dazu führen, dass sich der Verkehr auf Ausweichrouten verlagert, Staus zunehmen und dass die Umweltbelastungen und Emissionen sich erhöhen. Dies sei eher schädlich für unser Klima.
Einbahnstraßen, Sperrungen, verkehrsberuhigte Bereiche, Parkplatzabbau und der Ausbau von Tempo-30-Zonen in der Innenstadt: Um den ÖPNV attraktiver erscheinen zu lassen, soll laut MoVe 35 der Autoverkehr verlangsamt werden. Übergeordnetes Ziel: Die Anzahl der PKW soll um 50 Prozent reduziert werden. Im Beteiligungsprozess brachten die IHK Kassel-Marburg ebenso wie andere Wirtschaftsvertreter den Vorschlag ein, die Reduzierung stattdessen auf den CO2 -Ausstoß zu beziehen. Doch dieser Vorschlag wurde abgelehnt. Obwohl die Bundesregierung die Antriebswende hin zum E-Fahrzeug will, wolle ein Teil der Stadtgesellschaft offenbar gar kein Auto mehr. Das könne man so wollen, müsse dann aber vorher die Strukturen dafür schaffen.
Zudem scheinen die Interessen von großen Teilen der Wirtschaft nicht berücksichtigt zu werden. Viele der stationären Händler und Dienstleistungsbetriebe teilen täglich ihre Sorgen mit und sehen sich teilweise in ihrer Existenz bedroht. Sie sehen das Konzept als Einladung an Global Player im Onlinehandel. Sollte es wie geplant realisiert werden, bedeute dies, dass der vielfältige Einzelhandel nach und nach aus Marburg verschwindet. MoVe35 ist zudem ein geeignetes Wirtschaftsförderungsprogramm für die Umlandgemeinden, hebt der stellvertretende Vorsitzende Karl-Heinz Feußner hervor.
„Das Konzept hat durchaus begrüßens- und unterstützungswerte Stellschrauben wie beispielsweise den Ausbau des ÖPNV und die Einführung einer städtischen Mitfahrer-App“, hebt der Vorsitzende der IHK-Regionalversammlung Udo Diehl hervor. „Solche Vorhaben haben Priorität, nicht jedoch Zwangsmaßnahmen gegen den Individualverkehr.“ Irritierend sei aber, dass das MoVe35-Konzept, das erst seit Mitte Juni öffentlich ist, im Juli verabschiedet werden soll. Für den Nahverkehrsplan, der die Ausweitung des ÖPNV ermöglichen soll, ist dies aber erst im Herbst geplant. „Hier wird der zweite Schritt vor dem ersten gemacht“, sagt der stellvertretende Vorsitzende Andreas W. Ditze. Im Übrigen widersprechen die gegen das Kfz gerichteten Maßnahmen dem von der Stadtverordnetenversammlung im August 2021 verabschiedeten Ziel- und Leitliniensystem. Danach soll die Reduzierung der Kfz-Verkehrsmengen anreizbasiert durch den Ausbau attraktiver Alternativen erreicht werden.
„Die Reduzierung des motorisierten Individualverkehrs kann nach Ansicht der IHK auch ohne Zwangsmaßnahmen gemeinsam gelingen. Das heißt, wir brauchen ausreichende und konkurrenzfähige Alternativen“, sagt der stellvertretende IHK-Hauptgeschäftsführer Oskar Edelmann und Leiter der IHK-Geschäftsstelle Marburg. Dabei geht es unter anderem um den Ausbau des ÖPNV mit deutlich höherer Taktung und gegebenenfalls neuen Linien, die großflächige Implementierung des Deutschlandtickets als Jobticket und die Einführung einer städtischen Mitfahrer-App. Auch kostenlose Park + Ride-Parkplätze, beispielsweise an der alten Universitätsbibliothek, dem Afföller oder dem Georg-Gassmann-Stadion mit gut getakteten kostenlosen Shuttle-Bussen in die Innenstadt sowie Schnellbussen zu zentralen Arbeitsorten wie den Behring-Standorten oder den Lahnbergen tragen dazu bei, die Pendlerströme durch Individualverkehr mittelfristig zu reduzieren“.