Zukunftsfeste Innenstädte und Ortskerne fördern

Vollversammlung verabschiedet Impulspapier

Der Handelsausschuss der IHK Kassel-Marburg benennt acht Handlungsfelder für eine zukunftsfeste Entwicklung der Innenstädte in Nordhessen und der Region Marburg. Diese beziehen sich sowohl auf die Innenstädte als auch auf zentrale Bereiche wie Orts- und Stadtteilzentren, die bereits vielfältige Funktionen übernehmen und Städte attraktiv machen. Die IHK Kassel-Marburg fordert alle Akteure zu gemeinsamem Handeln auf, um zu einer positiven Entwicklung der Innenstädte und Ortskerne beizutragen.

Die aktuelle Situation

Unsere Innenstädte stehen aufgrund des demografischen Wandels, der Covid-19-Pandemie, der Energiekrise und nicht zuletzt wegen der Inflation unter Druck. Seit vielen Jahren stellen Onlinehandel und ein verändertes Käuferverhalten den Einzelhandel in seiner Rolle als traditionelle Leitfunktion der Innenstadt vor Herausforderungen.
Räumlich ist die Region Nordhessen von dem Oberzentrum Kassel im Norden und dem Oberzentrum Marburg im Süden geprägt. Daneben sind es vor allem Mittelzentren wie Eschwege, Korbach, Bad Hersfeld und Homberg, die wesentliche Funktionen für die Versorgung der Bevölkerung anbieten. Ergänzend sind es die vielen Kleinstädte und Dörfer, die zur Versorgung des ländlichen Raumes beitragen. Prägend für die Region sind die Fachwerk- und Barockensembles, die für den Tourismus ein großes Vermarktungspotenzial bieten.
Die IHK Kassel-Marburg begleitet den Wandel der Innenstädte mit einer Vielzahl an Maßnahmen, so zum Beispiel die Aktionstage Heimatshoppen, an denen regelmäßig über 20 Kommunen teilnehmen. Der Handel in den Innenstädten konnte damit gezielt unterstützt werden. Eine digitale Landkarte, die regionale Initiativen zum Onlineeinkauf abbildet, ergänzt die Aktionstage. Für die Transformation hin zu mehr Klimaschutz in unseren Innenstädten bietet die IHK Kassel-Marburg ihren Mitgliedern Unterstützung durch die Unternehmensallianz Klimaschutz und Nachhaltigkeit.

Handlungsfelder der IHK Kassel-Marburg

1. Multifunktionalität:

Der Handel setzt in den Innenstädten nach wie vor wichtige Impulse. Eine Vielzahl von Studien (u.a. Institut für Handelsforschung [„Vitale Innenstädte“], CIMA [„Deutschlandstudie Innenstadt 2022]) belegen, dass Innenstädte durch multifunktionale Nutzungen stärker und krisenfester werden. Kunst, Kultur, Sport, Freizeit, Gesundheit, Arbeit und vieles mehr bereichern das Angebot in den Innenstädten. Auch die Rückführung sowohl des produzierenden Gewerbes als auch des Handwerks (Urban Production) trägt zur weiteren Diversifizierung bei.
Innerstädtische Masterpläne wie sie in Köln, Heilbronn oder Wiesbaden erstellt wurden, helfen dabei, Multifunktionalität gezielt zu fördern und durch das Zusammenspiel der unterschiedlichen Akteure aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft die Innenstadt zukunftsfähig aufzustellen. Ein City-Management, mit einem „Innenstadtkümmerer“ als Ansprechpartner, bietet eine Plattform für Austausch und Dialog und professionalisiert die Prozesse in der Innenstadt. Die Etablierung eines aktiven Leerstandsmanagements mit einer kontinuierlichen Erfassung und Aktivierung leerstehender Flächen trägt dazu bei, langfristige Leerstände zu vermeiden oder vorhandenen Leerständen neue Nutzungen zuzuführen (u.a. Co-Working Spaces oder 3-D-Druck).
Wir fordern eine gemeinsame Innenstadtstrategie, die unterschiedliche Akteure zusammenbringt und die Multifunktionalität fördert.

2. Verkehr und Wirtschaft

Der Kunden-, Pendler- und Lieferverkehr erfolgt über unterschiedliche Verkehrsmittel. Der Individualverkehr gehört genauso wie das Fahrrad, die Fußläufigkeit und qualitative ÖPNV-Anbindung zu den zentralen Elementen der Erreichbarkeit von Innenstädten. Umsteigepunkte und Maßnahmen, die ein multimodales Verkehrsverhalten fördern, werden relevanter.
Die Gewährleistung einer guten Erreichbarkeit der Innenstädte ist für uns ebenso elementar wie die Etablierung eines einheitlichen Besucherleitsystems. Kostenfreie Kurzparkangebote, faire Parkgebühren und eine gute Vernetzung zwischen den Zentren erhöhen die Fluktuation in den Innenstädten. Der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) sollte im Hinblick auf multimodale Mobilitätsstationen stetig ausgebaut und angepasst werden. Push-and-Pull-Maßnahmen müssen ausgewogen umgesetzt werden. So sollte bspw. ein Wegfall von Parkplätzen in Innenstädten von einem schnellen Ausbau des ÖPNVs begleitet werden, um zu einer Verbesserung der Verkehrssituation in Innenstädten zu führen.
Generell gilt es, Maßnahmen unter Beachtung der Wirtschaftlichkeit und unterschiedlicher Stadt- und Ortsgrößen umzusetzen. Zur Steigerung der Effizienz der Wirtschaftswege ist zudem die Einführung von Logistik-Hubs zu prüfen. Dort, wo es die Gegenüberstellung von Aufwand und Ertrag gebietet, sollten sie zum Einsatz kommen. Digitale Konzepte bieten zusätzlich zahlreiche Chancen zur Optimierung des Verkehrs beispielsweise durch Sharing-Apps, Verkehrs-Apps oder Parkplatzsysteme. Hinzu kommen zukunftsweisende Entwicklungen wie das autonome Fahren oder der Einsatz von Drohnen.
Wir fordern den gleichberechtigten Einsatz von Verkehrsträgern und zukunftsgerechte, realistische Konzepte für Kunden-, Liefer- und Pendlerströme

3. Innovation und Gestaltung

Innenstädte verändern sich fortwährend durch neue, vielfältige und flexible Arbeits-, Lebens- und Wirtschaftsmodelle. So hat die Zunahme von mobilem Arbeiten und Homeoffice infolge der Covid-19-Pandemie vielerorts zu Frequenzrückgängen geführt. Um den neuen, dynamischen Anforderungen gerecht zu werden, sollten Innenstädte sich neuen, innovativen Konzepten öffnen, wie es auch der Innenstadtbeirat des Bundesministeriums des Inneren und für Heimat hervorhebt.
Zeitlich begrenzte Modellvorhaben durch Reallabore, Pop-up-Stores und Raumexperimente können Stadträume neu beleben. Gewerbeflächen können durch temporäre kreative Nutzungen und Zwischennutzung bespielt werden. Wettbewerbe und die Förderung der Start-up-Szene sind sowohl für neue Geschäftsmodelle als auch für eine dynamische Innenstadt von großer Bedeutung. Weitere Impulse für die Belebung und Gestaltung der Innenstadt können durch Gewerbevereine und andere private Initiativen erfolgen.
Wir fordern eine Entbürokratisierung und Unterstützung für Immobilieneigentümer zur Umsetzung von Experimenten und temporären Nutzungen.

4. Identifikation und Fachkräftesicherung

Innenstädte sind wichtige Identifikationspunkte der Bürgerinnen und Bürger mit ihrer Stadt. Gerade für Klein- und Mittelstädte sind lebendige Zentren wichtig, um für auswärtige Fachkräfte attraktiv zu sein. Geeignete Kultur-, Gastronomie-, Freizeit- und auch Wohnangebote sind daher von zentraler Bedeutung für das Thema der Fachkräftesicherung.
Öffentliche Plätze und Räume sind prägende Bestandteile einer Innenstadt und sollten sicher, sauber und mit ausreichend Stadtmobiliar ausgestattet sein, um ein angenehmes Aufenthaltserlebnis zu bieten. Einheitliche Öffnungszeiten können ebenfalls dazu beitragen, ein attraktives Zentrum zu schaffen und somit die Identifikation mit der (Innen-)Stadt zu stärken. Letztlich sollten mit gezielten Marketingmaßnahmen, Veranstaltungen und Social-Media-Kampagnen die positiven Aspekte von Innenstädten hervorgehoben und vermarktet werden.
Ein Instrument zur Verbesserung der Standortqualität können Business Improvement Districts (BID) sein. Beispiele aus Baunatal und Frankenberg zeigen, dass BIDs einen wichtigen Beitrag zur Attraktivität leisten können.
Wir fordern, die Themen Fachkräftesicherung und Innenstadtentwicklung in ihren Wechselwirkungen und somit im Zusammenhang zu betrachten und Ansätzen wie BIDs offen gegenüberzustehen.

5. Digitalisierung

Die Digitalisierung ist Chance und Herausforderung zugleich. Einerseits bietet die Digitalisierung die Möglichkeit, neue Kunden zu erreichen, das Einkaufserlebnis beim stationären Einzelhandel zu verbessern und die Servicequalität zu steigern. Andererseits führt der vermehrte Onlineeinkauf oft zu Umsatzeinbußen in der Innenstadt. Digitalisierung ist kein Selbstzweck und muss individuell gedacht und konzipiert werden.
Smart-City-Projekte und digitale Angebote wie Stadt-Apps, Stadtgutscheine und regionale Onlineplattformen haben das Potenzial, den Aufenthalt und die Erlebnisqualität in der Innenstadt zu verbessern. Um diese Maßnahmen erfolgreich umzusetzen ist es unerlässlich, dass eine solide digitale Infrastruktur in Form von guter Breitbandverfügbarkeit und leistungsstarken WLAN-Netzwerken vorhanden ist. Zusätzlich sind Multichannel- und Omnichannel-Modelle wichtige Bausteine für den Handel, um bestehende Kunden zu binden und neue zu gewinnen. Die Bereitstellung von Fördermitteln für die Betriebe unterstützt diese digitale Transformation.
Wir fordern die konsequente Umsetzung digitaler Infrastruktur und appellieren an die Innenstadtakteure, die Digitalisierung als Chance zu sehen.

6. Nachhaltigkeit

Innenstädte sind aufgrund ihrer hohen baulichen Dichte und großflächigen Versiegelung in besonderem Maße von den Folgen des Klimawandels betroffen. Lärm und Feinstaub sind weitere Effekte, die nachteilig auf Innenstädte wirken. Nachhaltiges Städtemanagement und grüne Konzepte können dagegen die negativen Auswirkungen reduzieren und einen positiven Beitrag zur Innenstadtentwicklung leisten. Die grüne und blaue Infrastruktur, in Form von Bäumen und Wasserflächen, trägt zur Abkühlung und Schaffung einer angenehmen Atmosphäre bei.
Eine Verbesserung der Infrastruktur für E-Mobilität und die Verfügbarkeit von E-Ladesäulen an innerstädtischen Parkplätzen können die Bereitschaft zum Mobilitäts-Wechsel erhöhen und gleichzeitig Lärm- und Feinstaubbelastungen reduzieren. Ein Ausbau der erneuerbaren Energien, die Umsetzung von Fern-, Nah- und Abwärmekonzepten sowie die energetische Sanierung von Gebäuden sind weitere zentrale Bausteine einer erfolgreichen Klimapolitik für Innenstädte.
Klimaschutz und Wirtschaft müssen kein Widerspruch sein. Entscheidend ist eine konstruktive Zusammenarbeit von Kommunen und Gewerbetreibenden. Um Klimaschutzmaßnahmen bei Innenstadtakteuren zu fördern, sind Förderprogramme und Beratungsleistungen notwendig.
Wir fordern, bei klimapolitischen Maßnahmen die lokale Wirtschaft auf Augenhöhe mit einzubeziehen.

7. Tourismus

Innenstädte bieten ein umfangreiches touristisches Potenzial. Neben Einkaufsmöglichkeiten haben Innenstädte einen architektonischen Erlebniswert, beispielsweise in Form von Fachwerkensembles. Aber auch die Kulinarik ist ein Magnet für Touristen und heimische Innenstadtbesucher. Die touristische Ausrichtung einer Innenstadt hat einen Nutzen sowohl für den Handel, die Gastronomie, die Hotellerie als auch für die einheimischen Bewohner.
Eine großzügige Zulassung der Außengastronomie verbessert das Besuchererlebnis und unterstützt die Gastronomie gleichermaßen. Feste, Märkte und Ausstellungen tragen dazu bei, dass Innenstädte an Attraktivität gewinnen. Zusätzlich gilt es, regionale und architektonische Besonderheiten herauszustellen und zu erhalten, um den besonderen Charakter einer Innenstadt zu bewahren.
Wir fordern eine koordinierte Abstimmung zwischen Tourismus und Innenstadtentwicklung unter besonderem Blick auf Gastronomie, Events und das Stadtbild.

8. Regionalentwicklung

Innenstädte und Ortskerne sind von zentraler Bedeutung für Städte und Regionen. Als Verkehrsknotenpunkt des ÖPNV, als Kern des Einzelhandels und als Zentrum von Kunst und Kultur stellen sie einen elementaren Bestandteil des städtischen Raums dar. Neuansiedlungen und Betriebserweiterungen des großflächigen Einzelhandels sollten strategischen und ordnungspolitischen Überlegungen folgen.
Betriebsvergrößerungen oder Ansiedlungen von großflächigem Einzelhandel sollten daher in einem größeren Rahmen – aus dem Blickwinkel auf die eigene Innenstadt, aber zugleich auch auf die der benachbarten Kommunen – abgestimmt und geplant werden. Dafür sind eine interkommunale Zusammenarbeit und regionale Zentrenkonzepte von großer Bedeutung, um negative Auswirkungen auf die Innenstädte zu minimieren und eine positive regionale Entwicklung voranzutreiben.
Wir fordern bei der Ansiedlung großflächiger Einzelhandelsbetriebe interkommunale Zusammenarbeit unter Berücksichtigung strategischer Zielvorgaben.

Lebendige und nachhaltige Innenstädte und Ortskerne von Marburg bis Bad Karlshafen

Die dargestellten Punkte unterstreichen, wie sich Ortskerne und Innenstädte in Nordhessen und in der Region Marburg mit starken Konzepten lebendig, nachhaltig und wirtschaftlich ausrichten können. Jede Kommune ist dabei mit individuellen Herausforderungen konfrontiert, die genannten Impulse sind daher immer angepasst an die jeweilige Situation vor Ort zu betrachten.
Die sich verschärfenden Herausforderungen aufgrund von Covid-19, der Energiekrise und Inflation verlangen ein Handeln. Den Austausch unter und Kommunikationsprozesse mit Eigentümern, Mietern, den Bürgern, Investoren und der Wirtschaft sind zu fördern, um notwendige Veränderungen zu initiieren. Letztlich muss eine Innenstadt mit allen relevanten Akteuren kooperativ sowie partizipativ qualifiziert werden, um die Attraktivität und Wirtschaftlichkeit der Innenstädte und Ortskerne von Marburg bis Bad Karlshafen zu sichern.