Fachkräftesicherung

Mit Teilqualifizierungen Arbeitskräfte gewinnen

Fehlende Fachkräfte werden immer mehr zum Problem – auch für Unternehmen in Nordhessen und der Region Marburg. Grund ist neben dem demografischen vor allem der strukturelle Wandel, den viele Wirtschaftszweige erleben: Digitalisierung und Automatisierung nehmen zu. Statt einfacher Arbeitsschritte fallen hochkomplexe Aufgaben an, die entsprechende Fachkenntnisse erfordern.
Mit Teilqualifizierungen (TQ) absolvieren Menschen ohne Berufsabschluss einzelne Module einer Ausbildung und bilden sich so passgenau für die betrieblichen Einsatzfelder weiter. Mitte Februar stellte die IHK Kassel-Marburg TQ in einer Informationsveranstaltung vor.
Ein sinnvolles Mittel, diesen Herausforderungen zu begegnen, hat die IHK Kassel-Marburg bei einer Informationsveranstaltung Mitte Februar vorgestellt: Teilqualifizierungen (TQ), bei denen Menschen ohne Berufsabschluss einzelne Module einer Ausbildung absolvieren und sich so passgenau für die betrieblichen Einsatzfelder weiterbilden. Bis zum Jahr 2035 werden deutschlandweit drei Millionen Fachkräfte fehlen. Mit dieser Prognose machte Michael Schubert, operativer Geschäftsführer der Agentur für Arbeit Kassel, die Dramatik der Lage deutlich. Die Liste der Engpassberufe – darunter die Bereiche Pflege, Energie- und Elektrotechnik sowie Softwareentwicklung – werde immer länger.
Diese Entwicklung bestätigt auch Jürgen Kümpel, Geschäftsführer des Arbeitgeberverbands Hessenmetall Nordhessen: „Gerade der Bedarf an neuen Berufsbildern, insbesondere im Bereich Elektronik und Digitalisierung, ist hoch. Um diese Fachkräftelücke zu kompensieren, müssen Unternehmen alle Möglichkeiten in Erwägung ziehen.“

Mehr als 35 Berufe im Portfolio

Arbeitgeberseitig habe man den Wert des Instruments Teilqualifizierung früh erkannt: Seit 2013 gibt es die Arbeitgeberinitiative Teilqualifizierung (AGI TQ), eine Kooperation zwischen den Arbeitgeberverbänden und den Bildungswerken der deutschen Wirtschaft mit mittlerweile mehr als 35 Berufen im Portfolio. Gerade in den zahlreichen ungelernten Beschäftigten in regionalen Unternehmen liege großes Potenzial, so Kümpel.
Laut Agentur für Arbeit sind das aktuell 48.000 Personen. Hinzu kommen 21.000 Menschen ohne Berufsausbildung, die arbeitslos gemeldet sind. Qualifizieren sich diese Personenkreise weiter, profitieren die Unternehmen von diesem Fachwissen. Für die Arbeitnehmer zahlt sich die Qualifizierung auch finanziell aus: Mit der Ausbildung steigt meist in der Regel das Gehalt.

Für die TQ drei bis sechs Monate freistellen

Wer eine Teilqualifizierung absolviert, wird für die jeweilige Dauer – in der Regel drei bis sechs Monate – von der Arbeit freigestellt. Der Theorieunterricht erfolgt bei einem Bildungsträger, der Praxisteil im Unternehmen. Jedes Modul schließt mit einem Kompetenzfeststellungsverfahren ab. Mehrere Teilqualifizierungen zu absolvieren, lohnt sich: In der Summe bilden sie die Inhalte eines Ausbildungsberufs ab. Wer also alle Module durchläuft, kann am Ende zur externen Prüfung zugelassen werden und den Berufsabschluss erlangen.
Kosten entstehen dem Arbeitgeber nicht, denn berufsanschlussfähige Teilqualifikationen sind bis zu 100 Prozent förderfähig, wie Schubert erklärte. Die Lehrgangskosten werden von der Agentur für Arbeit übernommen, ebenso bis zu 100 Prozent des Arbeitsentgelts für die Zeit der Qualifizierung. So bleiben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Arbeit und haben keine finanziellen Verluste.

Continental: Mehrere Kurse abgeschlossen

Beim Reifenhersteller Continental hat man sehr gute Erfahrungen mit dem Konzept gemacht. Am Standort Korbach haben bereits mehrere Kurse die Qualifizierungsmodule zum Verfahrensmechaniker für Kunststoff- und Kautschuktechnik abgeschlossen, wie Amelie Schmitt von der dortigen Personalabteilung bei der Informationsveranstaltung in der IHK berichtete: „Wir möchten den Wandel der Arbeitswelt aktiv gestalten und unseren Beschäftigten eine Perspektive bieten.“ Die Möglichkeit der Teilqualifizierung sei ein echter Mehrwert – für das Unternehmen ebenso wie für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die fit für die Arbeit von morgen werden.

Die Bindung zum Arbeitgeber festigen

Gracjan Sikorski gehört zu den ungelernten Continental-Beschäftigten, die die Teilqualifizierungen aktuell in Kooperation mit dem unternehmenseigenen Bildungsträger CITT durchlaufen. Wenn alles gut funktioniert, wird er nach zweieinhalb Jahren seinen Berufsabschluss in der Tasche haben. „Ich bin sehr dankbar für diese Möglichkeit – auch, weil ich durch die Ausbildung einen Einblick in viele Unternehmensbereiche bekomme.“ So lerne er das große Ganze kennen, was letztlich auch die Bindung zum Arbeitgeber festige.
Teilqualifizierungen bietet auch die DEKRA Akademie als Bildungsträger an, zum Beispiel im Bereich Transport- und Lagerlogistik. Derzeit absolvieren dort unter anderem Mitarbeiter eines deutschlandweit tätigen Personaldienstleisters Teilstücke einer Ausbildung. „Sie bilden sich weiter und steigern so ihre Einsatz- und Verdienstmöglichkeiten“, sagt Liene Kraukle, die das Qualifizierungsprogramm in der Region betreut.

Zeitlich viel flexibler als bei Umschulungen

Als weiterer Bildungsträger wird das Bildungszentrum Kassel (BZ) demnächst Teilqualifizierungen für die Berufe Maschinen- und Anlagenführer sowie Elektroniker für Betriebstechnik anbieten. „Wir bekommen viele Anfragen von Unternehmen, die händeringend Fachpersonal suchen“, berichtet Martin Simon, Fachbereichsleiter Elektround Gebäudetechnik. Teilqualifizierungen seien zeitlich wesentlich flexibler als Umschulungen und somit sehr attraktiv. Derzeit suche man Betriebe, bei denen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer den praktischen Teil der Qualifizierung absolvieren können. Und wer weiß: Vielleicht werden so auch Kontakte für ein langfristiges berufliches Miteinander geknüpft.
Dr.Roswitha Wöllenstein
Referentin Team Fachkräfte | Koordinatorin MINT