8 min
Lesezeit
#22 Über den Umgang mit Scheitern
Johanna Schirmer hat eine ganz besondere Nachfolgegeschichte und ist, wie sie in ihren eigenen Worten berichtet, eines Tages als duale Studentin für BWL-Foodmanagement aufgestanden und am Abend als Geschäftsführerin und Stiftungsvorstand wieder ins Bett gegangen. Das ist mittlerweile sieben Jahre her, das war kurz vor ihrem 21 Geburtstag. Sie ist Holding-Geschäftsführerin der Irene Gantz GmbH & Co. KG, die unter anderem als Lebensmittelgroßhändler und Gastronomie-Zulieferer tätig ist und ungefähr 200 Mitarbeiter hat. Sie ist außerdem Stiftungsvorstand der Familienstiftung und verfügt über eine Wirtschafts-Mediationsausbildung, als Coach unterstützt sie auch Nachfolgerinnen und Nachfolger auf ihrem Weg zur Nachfolge, auch mit diesem Thema, über das wir in dieser Podcast Folge sprechen, dem Thema Scheitern in der Unternehmensnachfolge. In dieser Folge erfahren Sie mehr über das Thema Scheitern und wie man als Nachfolgerin und Nachfolger gut mit diesem Thema Scheitern umgehen kann.
Hallo und herzlich Willkommen zum IHK-Podcast Nachfolge ist Vertrauenssache: Mein Name ist Miriam Postlep, und gemeinsam mit meinen Kolleginnen und Kollegen von der IHK Kassel-Marburg berate ich zum Thema der Unternehmensnachfolge.
Herzlich willkommen beim Podcast, Frau Schirmer!
Vielen Dank, dass ich heute hier sein darf.
Ich denke, wir sollten anfangen mit Ihrer Geschichte, weil die doch sehr besonders ist. Also gerade mal kurz vor dem 21 Geburtstag Geschäftsführerin zu werden, am selben Tag morgens noch als Studentin aufzuwachen, vielleicht können Sie nochmal ein bisschen dazu berichten, wie es dazu gekommen ist. Ich weiß, dass das sehr plötzlich für Sie kam.
Ja genau, um meine Geschichte zu verstehen, da müssten wir eine kleine Zeitreise machen, und zwar gehen wir 54 Jahre zurück. Vor 54 Jahren kam meine Oma zu 1000 Hühnern, und aus diesen 1000 Hühnern sind heute 200 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen geworden. Wir verkaufen alles, was professionelle Köche so brauchen, also von der Bratpfanne über Brokkoli, über Pommes, Pommes sind unheimlich wichtig, wir haben 25 Sorten Pommes im Sortiment, über ganze Küchen, wir kaufen das Ganze ein, packen es auf LKWs und fahren das zu unseren Kunden in der Hotellerie, Gastronomie und Gemeinschaftsverpflegung. Gemeinschaftsverpflegung das ist so was wie Altenheime, Krankenhäuser, Kitas, Betriebskantinen, also ganz klassischer Lebensmittel-Großhandel. Jetzt hatten meine Großeltern nicht nur eine Begeisterung für Lebensmittel, sondern auch für sehr komplexe Firmenkonstrukte. Also wenn Sie auf meinem LinkedIn-Profil vorbeikommen, dann sehen Sie ganz, ganz tolle Titel. Ich habe für alles eine Visitenkarte, ob man das braucht, ist eine andere Frage.
Wie viele Visitenkarten haben Sie?
Vier.
Ja, wir haben seit 2000, ich sag mal einen “Fremdgeschäftsführer”. Ich mach das in ganz große Anführungszeichen, weil das fühlt sich überhaupt nicht so an. Wir haben damals einen Schicksalsschlag in der Familie erlebt, und zwar ist mein Opa der Mann hinter dem Unternehmen, plötzlich verstorben, und damals ist ein enger Vertrauter von ihm in die Bresche gesprungen, Thomas Rabe. Und Thomas führt bis heute die operativen Geschäfte. Mir ist das immer ganz wichtig zu sagen! Ich möchte mich nicht mit Thomas Federn schmücken, er macht einen hervorragenden Job. Und wäre er nicht da, könnte ich hier auch gar nicht sitzen und mit ihnen über das Thema Nachfolge sprechen. In diesem Zuge hat man sich überlegt, ach, eine Holding wäre eine Superidee, und um es dann noch komplizierter zu machen, hat man 2014 die Holding dann noch mal in der Familienstiftung eingebracht. 300 Titel braucht kein Mensch, genau, und hätten Sie mich jetzt als 16-Jährige gefragt, ja, Johanna wie sieht's aus Familienbetrieb-Nachfolge, hätte ich die ganz klare Antwort gehabt: Nein, macht euren Kram ohne mich! Und, ja, ich bin dann erstmal weg, habe meine Ausbildung gemacht in Süddeutschland, ich habe dual studiert, BWL-Food-Management, und bin aber nicht so richtig weggekommen vom Familienbetrieb, ich bin in der Familienstiftung irgendwie als Stiftungsrat gelandet. Bomben-Job – man sitzt da, trinkt Kaffee, richtig viel Verantwortung hat man jetzt nicht, sieht super aus im Lebenslauf, eine Aufwandsentschädigung gab es auch - ein Traumjob.
Eines Tages bin dann morgens eigentlich als duale Studentin dahin gefahren zu einer Sitzung und dann abends als geschäftsführende Holding und Stiftungsvorstand wiedergekommen, schnellster Karrieresprung meines Lebens, das werde ich nie wieder so wiederholen können, vielleicht auch ganz gut. Und dann war ich auf einmal in dieser Nachfolge, und das ist jetzt sechseinhalb Jahre her, und bin da so reingeplumpst. Der Harvard Business-Manager hat es mal schön beschrieben als 100 Tage Schleudergang. Deswegen kenne ich das Thema scheitern sehr gut, ich habe den Betrieb von meiner Großmutter übernommen. Meine Oma war zu dem Zeitpunkt schon demenziell erkrankt. Das war eine besondere Situation.
Sie haben eben schon angedeutet, dass Sie sich mit dem Thema scheitern auskennen. Können Sie so daran erinnern, was war so der erste Moment, wo Sie vielleicht gescheitert sind oder das Gefühl hatten, sich jetzt mit dem Thema auseinandersetzen zu müssen?
Ich glaube, für Nachfolger ist scheitern erstmal die Angst, mit der man morgens aufsteht und abends wieder ins Bett geht. Weil, man hat einfach diese Riesen-Verantwortung, und das ist nicht nur bei mir so, ich spreche mit vielen anderen Nachfolgern, die genau das gleiche erzählen, dass die Angst zu scheitern so groß ist. Man fühlt sich verantwortlich für die Mitarbeiter, für die Arbeitsplätze, für das Lebenswerk, was die Eltern einem da irgendwo hinterlassen haben, und das ist eine verdammt große Aufgabe. Und viele von uns Nachfolgern sind echt jung, sind irgendwo in den Zwanzigern und auf einmal in einer super hohen Position, sind oft gut ausgebildet, haben aber nicht Erfahrungen, die man sonst mit Mitte 40 oder 50 hat. Und jedem ist klar, wenn du scheiterst, wenn du abbrechen musst, wenn du das nicht hinbekommst, dann ist das auch ein Gesichtsverlust.
Und ich glaube, deswegen ist dieses Thema scheitern bei ganz vielen Nachfolgern jeden Tag auf der Agenda.
Wahrscheinlich auch ein ziemlich hoher Druck, das weiterführen zu wollen, auch diese Familientradition weiterzuführen.
Genau.
Wie stehen Sie denn ganz allgemein zu dem Thema scheitern?
Also ich habe lange über diese Frage nachgedacht. Als Sie mich mit dem Interview angefragt haben, dachte ich erstmal so, habe ich was nicht mitbekommen, ich bin ja noch hier, ich bin noch in der Nachfolge. Ich fand es interessant, darüber nachzudenken. Weil Scheitern, das ist erstmal so ein Riesenwort, also wirklich so Apokalypse, ich konnte damit erstmal nicht so viel anfangen. Weil, ganz lange hat bei mir am Schreibtisch gehangen:
I don`t fail, I learn!
Und dann habe ich drüber nachgedacht, was bedeutet scheitern eigentlich. Also für mich ist das eine Skala. Es gibt irgendwo auf der einen Seite Erfolg, dann gibt's Fehler, dann gibt's Misserfolg, und dann gibt's scheitern. Scheitern ist für mich der Zustand, wo man ein Ziel hatte und sagte, ok ich möchte das unbedingt erreichen, man hat alles versucht, und es gibt auch keine Möglichkeit mehr, irgendwas zu retten. Man hat dieses Ziel einfach nicht erreicht und kann auch nichts mehr daran gutmachen. Und ich finde, wir reden viel zu oft von scheitern, mit einer Härte auch über Nachfolger oder in der Nachfolge, wo es eigentlich mit einem Blick zurück mal ein Fehler war oder ein Misserfolg, den wir alle haben. Ich finde, scheitern ist ein guter Clickbait, gerade irgendwie eine Schlagzeile, aber wie oft scheitern wir wirklich und wie oft sind es einfach Misserfolge, das war die Frage, die ich mir gestellt habe.
Sie sind jetzt nicht nur Nachfolgerin, sondern haben ja auch eine Wirtschaftsmediations-Ausbildung und sind Coach für Nachfolgerinnen und Nachfolger. Wie oft kommen denn Nachfolgerinnen und Nachfolger mit diesem Thema auf Sie zu? Sie haben ja eben gesagt, dass Sie glauben, dass das ein Thema ist, mit dem Sie jeden Tag oder Nachfolger oft jeden Tag aufstehen und quasi abends ins Bett gehen, dass Sie Sorge haben, dass es vielleicht nicht funktioniert oder Sie vielleicht scheitern könnten. Ist das auch eine Frage, bei der Sie im Coaching oft drüber sprechen?
Ja, klar, oft ist es ein reinkommen ins Gespräch mit „Ich bin gescheitert“, apokalyptische Endzeitstimmung und dafür sind Coaching-Gespräche auch erstmal da, dass man dann auch einen Raum hat, um mit einer Niederlage umzugehen. Weil, den hat man im Betrieb nicht, und man hat das auch nicht immer unbedingt in der eigenen Familie. Also, Coaching ist erstmal ein Raum, wo man drüber spricht und nicht alleine ist mit dieser Niederlage, und in meiner Erfahrung würde ich sagen, in den meisten Gesprächen kommt man schnell zu dem Punkt, dass man feststellt, hey, es ist jetzt nicht apokalyptische Endzeitstimmung, das ist ein Misserfolg, das ist ein Fehler. Aber es ist nicht das Ende der Welt.
Scheitern hat sofort diese Ende der Welt-Mentalität mit drin, und ich glaube, da ist ein Gespräch auch einfach gut, um eine Distanz aufzubauen und dann auch analysieren zu können, woran hat es denn gerade gelegen.
Weil, wenn man selbst in so seiner Emotion ist, dann ist es super schwierig, jetzt den Schritt zurück zu machen, neutral auf das große Ganze zu blicken, die eigenen blinden Flächen zu erkennen und zu sagen, da war der Fehler, der hat dazu geführt, und jetzt ergreife ich Maßnahmen, damit es nicht noch mal passiert. Jeder von uns hat Misserfolge, und da muss man gucken, wie man damit umgeht.
Wenn Sie mehr über das Thema Unternehmensnachfolge erfahren möchten, dann würde ich mich freuen, wenn Sie diesen Podcast abonnieren und uns eine Bewertung hinterlassen. Viele weitere Informationen finden Sie in den Shownotes. Wenn Sie sonst noch konkrete Fragen haben oder Themenwünsche, dann freue ich mich über eine E-Mail an nachfolge@kassel.ihk.de. Wir würden uns freuen, wenn Sie bei dem nächsten Podcast wieder mit dabei sind, wenn es heißt: Nachfolge ist Vertrauenssache!
Das gesamte Interview mit Johanna Schirmer können Sie in unserem Podcast hören.