Rentenversicherungspflicht

Scheinselbstständigkeit und arbeitnehmerähnliche Selbstständige

Die gesetzlichen Regelungen über die Scheinselbstständigkeit und die Rentenversicherungspflicht bestimmter Selbstständiger haben unter anderem zum Ziel, nur zum Schein als Selbstständige tätige Arbeitnehmer für die Sozialversicherung besser zu erfassen und bestimmte Selbstständige als Pflichtversicherte in die Rentenversicherung aufzunehmen.
Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen der soziale Schutz der Betroffenen dauerhaft sichergestellt und die Finanzgrundlagen der Sozialversicherung vor Erosion bewahrt werden.

Erfassung scheinselbstständiger Arbeitnehmer

Als scheinselbstständig gelten solche Erwerbstätige, die zwar den Status eines selbstständigen Unternehmers (freiwillig oder auf Drängen ihres „Auftraggebers“) beanspruchen, deren Tätigkeit in Wirklichkeit aber der eines Arbeitnehmers entspricht.
Bei der Beurteilung des Status wird auf die Gesamtsituation abgestellt. Erkennbares unternehmerisches Handeln und die freie Entscheidung des Unternehmers stehen dabei im Vordergrund. Vermutungsregelungen für die Unselbstständigkeit einer Beschäftigung bestehen seit 2003 nicht mehr.
Allerdings werden die früher im Gesetz genannten Kriterien damit nicht bedeutungslos. Vielmehr spielen die Aspekte
  • keine Beschäftigung eigener sozialversicherungspflichtiger Arbeitnehmer
  • Tätigkeit auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber
  • Auftraggeber hat Beschäftigte, die dieselben Tätigkeiten verrichten wie der Selbstständige
  • Weisungsgebundenheit und Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Auftragsgebers – kein unternehmerisches Auftreten am Markt
  • Der Unternehmer hat die Tätigkeit beim Auftraggeber zuvor als dessen Arbeitnehmer ausgeführt
auch weiterhin bei der Beurteilung der Gesamtsituation eine Rolle.

Merkmale der Selbstständigkeit
Bei der Beurteilung des Status wird auf die Gesamtsituation des Einzelfalles abgestellt.
Im Vordergrund dieser Betrachtung steht als Merkmal für eine selbstständige Tätigkeit der Grad der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit und inwiefern ein unternehmerisches Risiko getragen, unternehmerische Chancen wahrgenommen und hierfür beispielsweise Eigenwerbung betrieben wird.
Typische Merkmale unternehmerischen Handelns sind die Erbringung von Leistungen im eigenen Namen und auf eigene Rechnung. Ferner die eigenständige Entscheidung über
  • Einkaufs- und Verkaufspreise, Warenbezug
  • Personelle Fragen (Einstellung, Entlassung)
  • Einsatz von Kapital und eigener Arbeitsgeräte
  • Entscheidung über Einkaufs- und Verkaufskonditionen
  • eigene Kundenakquisition
  • Werbemaßnahmen und Auftreten als Selbstständiger in der Geschäftswelt (Eigene Briefköpfe, Zeitungsannoncen)
Der Umstand, dass ein Unternehmer auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig ist, führt nicht automatisch zur Annahme einer abhängigen Beschäftigung, sondern stellt lediglich ein Indiz für das Vorliegen einer Scheinselbstständigkeit dar. Maßgeblich ist die Gesamtsituation. Selbstständige mit nur einem Auftraggeber können aber rentenversicherungspflichtig sein.

Feststellung der Sozialversicherungspflicht

Die Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung Bund (ehemals BfA) ist zuständig für das Anfrageverfahren, durch das die Beteiligten eine Klärung der Statusfrage erreichen können. Der Antrag kann sowohl vom Auftragnehmer als auch vom Auftraggeber gestellt werden. Bei Unklarheiten bezüglich der "Scheinselbstständigkeit" sollte bei der Deutsche Rentenversicherung Bund innerhalb von einem Monat nach Aufnahme der Beschäftigung ein Antrag auf Feststellung gestellt werden.

Seit dem 1. April 2022 befristet bis 30. Juni 2027 gelten die Neuregelungen des § 7 a SGB IV für das Statusfeststellungsverfahren. Sie sollen das Verfahren vereinfachen und beschleunigen. Die Neuregelung umfasst 5 wesentliche Änderungen:
  1. Feststellung des Erwerbstatus statt der Versicherungspflicht: Nach der Neuregelung prüft die DRV nicht, ob eine Versicherungspflicht besteht, sondern ob die Tätigkeit selbstständig oder abhängig ist. Die Prüfungen der Versicherungspflicht führt somit der Arbeitgeber durch.
  2. Prognoseentscheidung VOR Beginn des Auftrags: Durch die Einführung einer Prognoseentscheidung kann der Status des Auftragnehmers jetzt bereits VOR Aufnahme der Tätigkeit festgestellt werden und damit frühzeitiger als bisher. Für die Prüfung VOR Beginn des Auftrags sind konkrete Angaben zu machen. Vorsicht: Die DRV kann den Antrag mangels konkreter Angaben ablehnen. Ein erneuter Antrag kann nach einer Prognoseentscheidung erst gestellt werden, wenn sich die Umstände geändert haben.
  3. Gruppenentscheidung für mehrere gleichartige Auftragsverhältnisse: Vor allem Auftraggeber gleicher Auftragsverhältnisse müssen nunmehr nicht mehr für alle Auftragnehmer separate Statusfeststellungsverfahren beantragen. Stimmen mehrere Umstände und Vereinbarungen der Tätigkeit überein, können vergleichbare Aufträge den gleichen Erwerbsstatus haben wie ein bereits geprüfter Auftrag. Der Feststellungsprozess soll damit verkürzt werden.
  4. Auftragsverhältnisse mit mehr als zwei Parteien: Zukünftig können auch Dreieckskonstellationen geprüft werden. Mit dieser Neuregelung sollen sogenannte verdeckte Arbeitnehmerüberlassungen verhindert werden. Beispiel: Auftraggeber beauftragt den Auftragnehmer bei einem Kunden im Betrieb zu arbeiten (meist Dienst- und Werkverträge). Es soll festgestellt werden, mit wem konkret der Auftragnehmer ein Vertragsverhältnis hat. Der Kunde kann diese Feststellung ebenfalls beantragen.
  5. Mündliche Anhörung im Widerspruchsverfahren: Der Antragsteller kann gegen die Entscheidung des DRV Widerspruch einlegen. Im Widerspruchsverfahren ist eine mündliche Anhörung möglich.
Kontaktdaten der Clearingstelle:
Deutsche Rentenversicherung Bund
Clearingstelle für sozialversicherungsrechtliche Statusfragen
10704 Berlin
Service-Telefon: 0800 10004800

Weitere Informationen zum Verfahren: Merkblatt der DRV Bund

Konsequenzen der "Scheinselbstständigkeit"

Sozialversicherungsrechtliche Folgen
Der bisherige Auftraggeber hat nunmehr als Arbeitgeber die üblichen Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung an die gesetzlichen Krankenkassen abzuführen und den Arbeitnehmer dort als solchen anzumelden. Die Kranken- und Pflegeversicherungspflicht richtet sich nach der jeweiligen Versicherungssituation (unter anderem Höhe des Einkommens, aktuelle Beitragsbemessungsgrenze).
Arbeitsrechtliche Folgen
Wird eine sog. Scheinselbstständigkeit festgestellt, so kann der "Scheinselbstständige" seinen Arbeitnehmerstatus gegebenenfalls einklagen. Das Arbeitsgericht prüft dann anhand der bisherigen Kriterien der Rechtsprechung, ob dem "Scheinselbstständigen" Arbeitnehmerstatus zuerkannt werden kann.
Ist dies der Fall, so ist der vermeintlich Selbstständige nun Angestellter mit Kündigungsschutz, Urlaubsanspruch, Lohnfortzahlungsanspruch im Krankheitsfall und unterliegt der Sozialversicherungspflicht.
Steuerrechtliche Folgen
Die Veränderung der Verhältnisse kann auch steuerrechtliche Konsequenzen haben. Sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer haben dann die neue Situation gegebenenfalls steuerrechtlich nachzuvollziehen und haften für die Nachzahlungen als Gesamtschuldner, sie können also beide zur Zahlung der Außenstände in voller Höhe aufgefordert werden.
Da dies Einzelfallbetrachtungen sind, empfiehlt es sich, einen Steuerberater hinzuzuziehen und sich mit dem zuständigen Finanzamt abzustimmen.
Gewerberechtliche Folgen
Spätestens mit Feststellung der "Scheinselbstständigkeit" endet auch die unternehmerische Tätigkeit für das betriebene Gewerbe. Dies heißt, das Gewerbe muss abgemeldet werden. Auch die gesetzliche Mitgliedschaft in der Industrie- und Handelskammer und die gesetzliche Verpflichtung zur Mitgliedschaft in der Berufsgenossenschaft enden zu diesem Zeitpunkt.

Arbeitnehmerähnliche rentenversicherungspflichtige Selbstständige

Kann nach den zuvor gemachten Ausführungen von einer selbstständigen Tätigkeit ausgegangen werden, so ist als nächstes zu klären, ob es sich um einen arbeitnehmerähnlichen Selbstständigen handelt. Arbeitnehmerähnliche Selbstständige sind zwar „echte“ Selbstständige, also gerade nicht scheinselbstständig, sie unterliegen aber der Rentenversicherungspflicht.

Arbeitnehmerähnlich ist, wer regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigt und auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig ist (§ 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI).
Werden mindestens 5/6 des Umsatzes über einen Auftraggeber generiert, so ist der Selbstständige im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig. Gleiches gilt, wenn eine vertragliche Ausschließlichkeitsvereinbarung vorliegt.
Von einer Dauerhaftigkeit der Tätigkeit ist auszugehen, wenn die Tätigkeit im Rahmen eines Dauerauftragsverhältnisses oder eines regelmäßig wiederkehrenden Auftragsverhältnisses erfolgt. Bei einer im Voraus begrenzten und nur vorübergehenden Tätigkeit für einen Auftraggeber (projektbezogene Tätigkeit) wird grundsätzlich keine Dauerhaftigkeit dieser Tätigkeit für nur einen Auftraggeber vorliegen, wenn die Begrenzung innerhalb eines Jahres liegt.

Arbeitnehmerähnliche Selbstständige haben sich innerhalb von drei Monaten nach Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit beim zuständigen Rentenversicherungsträger zu melden.

Die Beiträge zur Rentenversicherung müssen Selbstständige in voller Höhe selbst zahlen.
Eine Befreiung von der Rentenversicherungspflicht ist in bestimmten Fällen auf Antrag möglich.

Sonderfälle

Geschäftsführende Gesellschafter
Auch selbstständig tätige geschäftsführende Gesellschafter einer juristischen Person können nach der oben beschriebenen Regelung rentenversicherungspflichtige Selbstständige sein. Für die Beurteilung der Versicherungspflicht kommt es darauf an, ob die Gesellschaft (und nicht der Gesellschafter) im Wesentlichen nur einen Auftraggeber hat, beziehungsweise ob die Gesellschaft sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer beschäftigt. Nachdem das Bundessozialgericht dies zur früheren Gesetzeslage anders entschieden hatte, ist eine entsprechende Klarstellung im Gesetz erfolgt.
Handelsvertreter
Mit dem Wegfall der Vermutungskriterien ist auch die Ausnahmeregelung für Handelsvertreter hinfällig geworden. Entscheidend für die Frage ihrer Selbstständigkeit ist damit, ob sie ihre Tätigkeit im Wesentlichen frei gestalten und über ihre Arbeitszeit bestimmen können (§ 84 Abs. 1 S. 2 Handelsgesetzbuch). Wenn diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind, können auch Handelsvertreter "scheinselbstständig" sein.
Indizien dafür sind beispielsweise Umsatzvorgaben, eng angelegte Kontrollen des Auftraggebers, Pflichtanwesenheit, vorgegebene Pflichttermine bei Kunden, Tourenpläne, Urlaubsabstimmung mit dem Auftraggeber sowie das Verbot, Angestellte einzustellen.
Sofern der Handelsvertreter seine Arbeitszeit und Tätigkeit aber frei einteilen kann, kann er dennoch den rentenversicherungspflichtigen Arbeitnehmern gleichgestellt sein, wenn er regelmäßig keine sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigt, deren Entgelt 450,- € im Monat übersteigt und wenn er im Wesentlichen für einen Auftraggeber tätig ist (siehe: Arbeitnehmerähnliche rentenversicherungspflichtige Selbstständige).

Hinweis: Diese Kurzinformation soll - als Service Ihrer Kammer - nur erste Hinweise geben und erhebt daher keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Obwohl diese Kurzinformation mit größtmöglicher Sorgfalt erstellt wurde, kann keine Haftung für die inhaltliche Richtigkeit übernommen werden.