Trüber Konjunkturherbst in Baden-Württemberg
- Was tun für wirtschaftliches Wachstum? – BWIHK stellt aktuelle Umfrageergebnisse vor – Inlandsnachfrage als größtes Geschäftsrisiko eingestuft
- Strukturelle Herausforderungen und Wachstumshemmnisse angehen
- Top-Risiken bleiben – Inlandsnachfrage knapp vor Fachkräftemangel
- Inlandsinvestitionen
- Blick in die Branchen
- Exporterwartungen der Industrie eingebrochen
Was tun für wirtschaftliches Wachstum? – BWIHK stellt aktuelle Umfrageergebnisse vor – Inlandsnachfrage als größtes Geschäftsrisiko eingestuft
Nach einer kurzen Aufhellung im Sommer hat sich die Lage von Baden-Württembergs Wirtschaft in der BWIHK-Herbstumfrage wieder eingetrübt. „Das Ergebnis dieser Umfrage zeigt deutlich, dass es allerhöchste Zeit ist zu handeln. Es darf keine weiteren bürokratischen Belastungen geben. Im Gegenteil – es müssen sofort alle unnötigen Hemmnisse beseitigt und der andauernde politische Streit beendigt werden. Die Wirtschaft braucht klare, berechenbare politische Vorgaben und vor allem Bewegungsfreiheit, um bestehende Chancen auch nutzen zu können“, erklärt Claus Paal, Präsident der IHK Region Stuttgart, die im Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertag (BWIHK) für die Volkswirtschaft federführend ist. Derzeit bremsen Unsicherheiten durch Krisenherde, die hohe Inflation und hohe Energiepreise, eine schwächelnde Weltwirtschaft und steigende Zinsen die Konsum- und Investitionsgüternachfrage und trüben damit in weiten Teilen der Wirtschaft die Erwartungen ein. „Wir sind dermaßen mit lähmendem Kleinklein beschäftigt, dass wir es verpassen, die zentralen politischen Ziele der Energiewende, der Fachkräftezuwanderung und für den Wohnungsbau umzusetzen. Die Politik muss handeln und wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen schaffen. Sonst verlieren die Unternehmen endgültig den langen Atem.“
Anders als in einigen anderen Bundesländern überwiegen im Südwesten noch immer die positiven Rückmeldungen, doch eine zunehmende Anzahl Unternehmen hat zu kämpfen: Inzwischen beschreiben nur noch 33 Prozent ihre Geschäftslage als gut, 17 Prozent schätzen die Lage als schlecht ein. Zum Frühsommer meldeten noch fast die Hälfte der Befragten (41 Prozent) gute und nur zehn Prozent schlechte Geschäfte. Deutlich eingebrochen sind dagegen die Geschäftserwartungen der Unternehmen: Nur noch 16 Prozent blicken optimistisch in die Zukunft, während doppelt so viele von einer weiteren Verschlechterung ausgehen (33 Prozent). Im Frühsommer rechneten noch 23 Prozent mit einem Aufschwung und 20 Prozent mit einer Lageverschlechterung.
Strukturelle Herausforderungen und Wachstumshemmnisse angehen
„Die Umfrageergebnisse zeigen einmal mehr, dass in Deutschland große konjunkturelle Herausforderungen auf langfristige strukturelle Schwächen am Standort Deutschland treffen“, so Paal. „Das zermürbt unsere Unternehmer und führt derzeit zu weniger Investitionen, weniger Innovationen und weniger Wettbewerbsfähigkeit über alle Branchen hinweg.“ Bereits jeder dritte Befragte (31 Prozent) sieht inzwischen die politischen Rahmenbedingungen als bedeutendes Geschäftsrisiko. „Dies ist hinter der Inlandsnachfrage die zweitstärkste Zunahme bei den Risiken. Bei den Themen Bürokratieabbau, Arbeitsmarkt und Kalkulierbarkeit der politischen Vorgaben müssen wir ansetzen, damit dieser Herbst nur eine verzögerte Konjunkturerholung und kein bleibender Einbruch wird“, macht Paal deutlich.
Top-Risiken bleiben – Inlandsnachfrage knapp vor Fachkräftemangel
Die Reihenfolge der vier größten Risiken hat sich im Vergleich zum Sommer leicht verändert – die Themen sind geblieben: Wegen der Kaufzurückhaltung rücken aktuell 64,1 Prozent der Befragten die Inlandsnachfrage als größtes Geschäftsrisiko in den Vordergrund. Fast gleichauf hält sich weiterhin der Fachkräftemangel mit 63,5 Prozent der Nennungen. Im Sommer lag dieser mit dem Höchstwert von 68 Prozent mit großem Abstand an der Spitze. Hier macht sich die Konjunkturschwäche mit den derzeit überwiegend nach unten korrigierten Beschäftigungsaussichten bemerkbar.
Doch der Arbeitsmarkt bleibt angespannt - viele Unternehmen haben Probleme oder gehen leer aus bei der Suche nach Fachkräften, so kann jedes zweite (53 Prozent) der befragten Unternehmen offene Stellen zumindest teilweise nicht besetzen. Die Unternehmen scheitern wie im Vorjahr am häufigsten an der Stellenbesetzung für Fachkräfte mit dualer Berufsausbildung (78 Prozent). Dies betrifft alle Branchen. 21 Prozent der Betriebe suchen derzeit vergeblich nach geeignetem Personal bei Stellen, die auch ohne abgeschlossene Berufsausbildung ausgeübt werden können. Besonders vom Fachkräftemangel betroffen sehen sich Verkehr (76 Prozent) und Bauwirtschaft (70 Prozent). „Das Problem ist weiterhin groß: Angesichts dieser Rückmeldungen und des demografischen Wandels bleibt der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften eine der drängendsten strukturellen Herausforderungen für unsere wirtschaftliche Zukunft“, warnt Paal.
Die inflationsbedingten Kaufkraftverluste und der Fachkräftemangel haben zu höheren Löhnen und Gehältern geführt – der Druck hält trotz konjunktureller Eintrübung weiterhin an: Die Arbeitskosten bleiben im Herbst für 55 Prozent das drittgrößte Geschäftsrisiko. Einige Dienstleistungsbranchen wie das Gastgewerbe (74 Prozent) mit eher unterdurchschnittlichem Lohnniveau, hohem Personalbedarf und Problemen bei der Arbeitskräftesuche, nennen das Risiko besonders häufig. Mit rund 60 Prozent der Nennungen und etwas Abstand folgen die Industrie, der Handel und Verkehr. Vergleichsweise etwas weniger relevant ist das Problem in der Baubranche mit 44 Prozent.
Die Energiepreise, die im Herbst 2022 durch die hohe Abhängigkeit von russischem Erdgas noch das dominierende Problem waren (78 Prozent), haben mit der Entspannung der Energiemärkte etwas an Schrecken verloren. Aktuell sieht darin nur noch rund jedes zweite Unternehmen (54 Prozent) eine Gefahr für seine Geschäfte (nach 58 Prozent im Sommer).
Inlandsinvestitionen
Die schlechte wirtschaftliche Entwicklung, Unsicherheit über die politischen Rahmenbedingungen und die hohen Zinsen wirken sich negativ auf die Investitionspläne der Südwestwirtschaft aus, so dass diese unterm Strich rückläufig sind: 29 Prozent wollen weniger investieren – nur 20 Prozent mehr. Einzig im Fahrzeugbau überwiegen aufgrund der grünen und digitalen Transformation die Investitionssteigerungen die -kürzungen in nennenswerter Weise – dort sogar deutlich dynamischer als in der Vorumfrage. Um international wettbewerbsfähig zu bleiben, wären hier allerdings noch deutlich mehr Investitionen – gerade in Innovationen – notwendig. Derzeit überwiegen in der Industrie die Ersatzbedarfsinvestitionen.
Blick in die Branchen
Hohe Preise für Energie und Baumaterial, fehlende Fachkräfte und die Auftragsrückgänge durch steigende Zinsen und die allgemeine Ausgabezurückhaltung setzen den Unternehmen im Baugewerbe zu. Die Auftragspolster sind weitgehend abgebaut und es droht eine Unterauslastung der aufgebauten Kapazitäten – der Wettbewerb unter den Unternehmen steigt, Investitions- und Beschäftigungspläne werden verschoben. Die Lage wird noch überwiegend als gut bezeichnet, verschlechtert sich aber zunehmend. Doch jeder zweite erwartet schlechtere Geschäfte in den kommenden Monaten – so gut wie keiner bessere.
Die Umsätze und Erträge des Groß- und Einzelhandels werden durch den Nachfragerückgang, die Inflation, die Energiepreise und den Fachkräftemangel spürbar geschmälert. Dies führt zu massiven Korrekturen nach unten bei den Lagebewertungen, Erwartungen, Beschäftigungs- und Investitionsplänen. Besonders negativ hat sich die Lage beim produktionsnahen Großhandel entwickelt. Dem konsumnahen Großhandel geht es noch mehrheitlich gut, wenn auch schlechter als im Frühsommer.
Das Hotel- und Gaststättengewerbe bewertet seine Lage durch seine andauernde Erholung von den Pandemiejahren überwiegend positiv und sogar etwas besser als im Sommer. 44 Prozent der Unternehmen vermelden einen Umsatzanstieg zum Vorjahresquartal. Allerdings kommt dieser eher von Privatkunden als von Geschäftskunden, was auf die geringere Geschäftsreisetätigkeit seit der Pandemie zurückzuführen sein dürfte. Die größten Herausforderungen für diese Betriebe sind nach wie vor hohe Energiepreise (83 Prozent) und steigende Arbeitskosten aufgrund des Fachkräftemangels. Auch hier blicken die Unternehmen kritisch auf die kommenden Monate - die Investitions- und Beschäftigungspläne bleiben zurückhaltend.
Das Transport- und Verkehrsgewerbe in Baden-Württemberg zeigt seit der Corona-Pandemie eine volatile Geschäftslage. Die Lagebewertungen haben sich verschlechtert, sind aber noch im positiven Bereich. Doch die Erwartungen haben sich auch hier verdüstert. Bei näherer Betrachtung unterteilt sich die Branche: Der Personenverkehr meldet eine sehr gute Lage und steigende Umsätze, allerdings etwas rückläufige Aufträge und entsprechend korrigierte, aber optimistische Geschäftserwartungen. Der Güterverkehr spürt die zurückgefahrene Produktion der Industrie und den Konsumrückgang bereits jetzt mit deutlich sinkenden Umsätzen, Auftragseingängen und richtet seine Erwartungen entsprechend aus. Belastend wirken für drei Viertel der Befragten die Energiepreise ebenso wie der Fachkräftemangel – und für 63 Prozent die mit der anstehenden Mauterhöhung verbundene Unsicherheit, ob eine Kostenüberwälzung auf die Preise möglich sein wird.
Abgesehen von den Zeitarbeitsfirmen bleibt die Geschäftslage der Dienstleistungsunternehmen positiv. Allerdings rechnet die Branche (mit einigen Ausnahme wie ITK-, kaufmännisch-rechtlichen oder technischen Dienstleistern) für die kommenden Monate insgesamt mit rückläufigen Geschäften. Die Investitions- und Beschäftigungsplanungen stagnieren.
Das konjunkturelle Umfeld für die Industrie hat sich stark abgekühlt. Nur 23 Prozent der Betriebe stufen ihre Lage noch als gut ein – 29 Prozent als schlecht. Kritisch wird die Ertragslage in vielen Unternehmen der energieintensiven Industrien (Chemie, Metallerzeugung, Glas, Baustoffe, Papier): Der im internationalen Vergleich hohe Strompreis verhindert im Wettbewerb mit anderen Ländern die Kostenweitergabe an die Kunden. Die Betriebe blicken angesichts der konjunkturellen und strukturellen Handelshemmnisse entsprechend sorgenvoll auf die kommenden Monate: Die pessimistischen Einschätzungen (38 Prozent) überwiegen um 23 Prozentpunkte die positiven Prognosen (15 Prozent). Die größten Risiken für ihre Geschäftstätigkeit sehen die Betriebe in der gesunkenen Inlandsnachfrage (72 Prozent), den hohen Energiepreisen (71 Prozent), den Arbeitskosten (62 Prozent), dem Fachkräftemangel (59 Prozent) und der nachlassenden Auslandsnachfrage (47 Prozent).
Exporterwartungen der Industrie eingebrochen
Inzwischen stellt die Auslandsnachfrage für jedes zweite Industrieunternehmen (47 Prozent) ein Geschäftsrisiko dar – diese Sorge ist in den vergangenen Jahren permanent gewachsen. Die andauernde wirtschaftliche Schwäche in Schlüsselmärkten wie dem Euroraum und China bremst die Exportnachfrage. Gleichzeitig beeinflussen geopolitische Spannungen und neue Handelsvorschriften wie das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz die Handelsflüsse und den Aufwand für die Exporteure. Dies belastet zusammen mit den hohen Energiepreise, Arbeitskosten und dem Fachkräftemangel die internationale Wettbewerbsfähigkeit der baden-württembergischen Industrie. Inzwischen ist der Auftragsrückstau aus der Pandemie weitgehend abgearbeitet, die Neuaufträge sind bei fast der Hälfte der Befragten (47 Prozent) rückläufig. Nur elf Prozent melden eine Verbesserung der Auftragseingänge. Die Exporterwartungen der auslandsaktiven Industrie ist zum Herbst deutlich eingebrochen: Die pessimistischen Einschätzungen (37 Prozent) überwiegen um 15 Prozentpunkte die positiven Prognosen (22 Prozent).
Als einzige Branche erwartet der Fahrzeugbau ein leichtes Wachstum. Wachstumsimpulse erhofft man sich nur noch aus den USA – trotz nachlassender Exportnachfrage und drohendem Konjunkturrückgang, da auch deutsche Investitionsgüterhersteller von den laufenden milliardenschweren Förderprogramme profitieren.