Gründungen und Geschichten

Jede Menge coole Geschäftsideen und spannende Produktentwicklungen: In der neuen Serie präsentiert die UW-Redaktion die bunte Wirtschaftswelt im IHKLW-Bezirk.

Mit der App zum Arzt

Was tun, wenn jemand krank ist oder Hilfe braucht – man aber nicht dieselbe Sprache spricht? Kommunikation per Hand und Fuß mag zwar für vieles funktionieren. „Aber es muss eine bessere Lösung dafür geben, auch im Sinne gesellschaftlicher Teilhabe.“ Davon war Andreas Lippke überzeugt, als er gemeinsam mit zwei Mitstreitern 2017 ein Unternehmen gründete. Und er ist es heute mehr denn je. Denn die Aidminutes GmbH mit Sitz im Gründerzentrum in Buchholz i.d. Nordheide hat mittlerweile mehrere Applikationen entwickelt, die zwischen Ärzten, Sanitätern und Patienten übersetzen – in mehr als 40 Sprachen.
Gemeinsam mit seinen Mitgründern Boran Burchhardt (49) und Andreas Barth (47) sowie zahlreichen medizinischen Beratern entwickelte Lippke eine digitale Anamnese. „Sie ermöglicht eine bessere Behandlung und schenkt Ärzten und Patienten wertvolle Zeit durch ihre validierte Abfrage.“ Schwierig sei während der Entwicklung die Skepsis gegenüber der Digitalisierung im medizinischen Bereich gewesen. Dies habe sich aber mittlerweile gelegt. Besonders großen Erfolg erzielte die Aidminutes GmbH mit ihrer Rescue-App: Mit dem Programm arbeiten bereits mehr als die Hälfte aller deutschen Rettungsdienste, die App wurde mehr als 100.000-mal heruntergeladen. Gerade hat die GmbH für die ständige Weiterentwicklung ihrer sozialen Innovation Platz drei beim Durchstarterpreis Niedersachsen belegt.
Stolz ist Aidminutes darauf, dass die Gesellschaft ohne Risikokapital auskommt, sondern über Landesbanken und mittelständische Beteiligungsgesellschaften ihre Investitionen finanziert. Nächste Ziele sind der Rollout der Schwangerschaftsplattform Hedi auf ganze Bundesländer sowie die Integration weiterer Gebärdensprachen. Die zahlreichen positiven Rückmeldungen motivieren die Unternehmer sehr, sagt Andreas Lippke. „Sie zeigen uns, dass es richtig ist, was wir tun.“

Der Drohnen-Doktor

Geschraubt hat Luk Boving schon als Schüler gern. Erst an Modelleisenbahnen, dann an ferngesteuerten Autos. Und als er sich mit 14 Jahren nicht die Drohne leisten konnte, die er haben wollte, kaufte er sich kurzerhand zwei kaputte und baute daraus eine funktionierende. Heute ist Luk Boving 22 Jahre alt und verdient seinen Lebensunterhalt mit seinem Hobby.
Dr. Ohnen Praxis“ hat der Schulabgänger aus Buchholz i.d. Nordheide seine Idee getauft, als er sich im Sommer 2020 offiziell selbstständig machte. Noch auf dem Gymnasium hatte er mit der Reparatur von Drohnen sein Taschengeld aufgebessert, und als er nach dem Abitur nicht recht wusste, was er tun sollte, dachte er: „Ich mache das, was ich gut kann.“ Und das ist, Drohnen zu reparieren.
Auf viel Verständnis für seine Pläne stieß der 19-Jährige damals nicht: Familie und Freunde fanden, mit seinem guten Abitur solle er doch lieber studieren, anstatt einer Arbeit nachzugehen, ohne sie gelernt zu haben. „Mir aber war ein Studium zu theoretisch“, sagt Luk Boving.
Zwar sei auch die Kundengewinnung am Anfang nicht einfach gewesen. Zwei bis drei Drohnen pro Woche reparierte „Dr. Ohnen“ im ersten Jahr – erst auf dem Esstisch der Familie, dann in seinem Kinderzimmer. Die allerersten zwei Aufträge waren zudem die erste große Pleite für den jungen Gründer: Die Kunden zahlten ihre Rechnung nicht. Doch die gute Arbeit des Drohnen-Doktors sprach sich herum, zum Beispiel unter Kameraleuten von Fernsehsendern. 2022 reparierte Luk Boving bereits rund 1.200 Drohnen, seine Gewinne haben sich seit Gründung verzehnfacht. Sein Geschäftsfeld hat er außerdem auf Flugdienstleistungen und die 3D-Modellierung von Gebäuden, Thermografieaufnahmen und Fotovoltaik-Wartung erweitert. Für Werkstatt und Büro hat er eine Wohnung angemietet.
Sein Ziel für dieses Jahr: Luk Boving sucht fünf Mitarbeitende und will eine zweite Firma für den Verkauf von Drohnen gründen. Die Idee hat auch die Jury des Gründungspreises im Landkreis Harburg überzeugt: Die Drohnen-Praxis belegte im November den ersten Platz.

Für mehr Sicherheit in Fertigung und Logistik

Eine Warnweste ist zwar gut. Aber sie kann nicht die Lösung sein. Jedenfalls nicht, wenn es um die Sicherheit in Produktion und Logistik geht. „Wir zeigen Unfallrisiken auf und verhindern so Unfälle. Und das zum ersten Mal unabhängig von jeder menschlichen Interaktion oder Reaktion.“ Das sagt Sebastian Bienia. Gemeinsam mit seinem Kollegen Dr. Michael Demes (37) hat der 36-Jährige im Mai 2022 die Sentics GmbH gegründet. Ihre Geschäftsidee: ein auf künstliche Intelligenz basiertes Echtzeit-Lokalisierungssystem für mehr Sicherheit in industriellen Betrieben.
Die beiden sind studierte Wirtschaftsingenieure und Maschinenbauer, vor ihrer Gründung haben sie zusammen am Institut für Werkzeugmaschinenbau und Fertigungstechnik an der Technischen Universität (TU) Braunschweig gearbeitet. Sie beschäftigten sich mit Digitalisierung, IT-Systemen und Sensoren, bauten einen Prototyp.
„Wir haben eine neue Basistechnologie entwickelt“, sagt Sebastian Bienia. Sensoren erfassen in Echtzeit Personen und Fahrzeuge, können kritische Bereiche identifizieren und tragen so dazu bei, Unfälle präventiv zu verhindern. Kommt es dennoch zu gefährlichen Situationen, kann das System zum Beispiel Fahrzeuge bremsen und Unfälle aktiv verhindern. Aus den Daten lassen sich außerdem Maßnahmen ableiten wie der Bau eines Schutzzaunes oder einer Schranke.
Die technische Infrastruktur für ihre Entwicklung bietet die Open Hybrid LabFactory in Wolfsburg. Finanzielle Förderung kommt aus dem Programm Exist-Forschungstransfer des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz. „Dies beides und die Unterstützung der TU Braunschweig helfen uns sehr“, sagt Bienia. „Schwierig ist es für uns vor allem, fachlich spezifisch ausgebildetes Personal zu finden.“ Die Energiekrise führe zudem dazu, dass vor allem energieintensive Betriebe sich mit Investitionen zurückhalten.
Gerade hat das Gründerduo einen dritten Kollegen zum Geschäftspartner gemacht: Lokesh Bisht, Experte für künstliche Intelligenz, gebürtig aus Indien. Das nächste Ziel? Der Markteintritt.
Carolin George