Von elegant bis lässig

Wie Anzugkäufer ticken, weiß Leonie Westermann ziemlich genau: „Männer sind nicht so einkaufswillig wie Frauen“, formuliert sie diplomatisch. „Die kommen, weil sie einen Bedarf haben und der muss möglichst schnell gedeckt werden. Also muss spätestens der zweite Anzug, der anprobiert wird, auch passen.“ Der Haken dabei: „Die wenigsten Männer kennen ihre Anzuggröße.“ Es kommt also stark auf das geschulte Auge des Personals an. Im Fachhandel sowieso, genauso aber auch im Fabrikverkauf. Der ist beim Lüneburger Herrenausstatter Roy Robson in weiblicher Hand: Als Retail Managerin startete Leonie Westermann (35) 2016 im Familienunternehmen, das damals noch ihr Vater Heiko Westermann führte. Mittlerweile teilt sie sich mit ihrem Bruder Frederick Westermann die Geschäftsführung im Fabrikverkauf, der seit 1999 unter dem Namen Roy Robson Trade firmiert.
25 Jahre sind angesichts der über 100-jährigen Geschichte des Mutterunternehmens Roy Robson Fashion natürlich ein Klacks. „Im Grunde hatten wir schon immer einen Fabrikverkauf“, sagt Frederick Westermann, „denn es gab ja immer Zweite-Wahl-Artikel und Musterteile, die nicht in den regulären Verkauf gingen.“ Der 42-Jährige hat im Firmenarchiv gestöbert und ein Foto des alten Gebäudes entdeckt, in dem bis 2017 die Reste aus Produktion und Vorsaison zum Verkauf standen: Der dunkle Betonklotz sei „zweckmäßig und okay“ gewesen, sagt der Unternehmer, der seit 2019 geschäftsführender Gesellschafter der Roy Robson Fashion ist. „Das war eine alte Aldi-Filiale, in die wir einfach unsere Kleiderständer geschoben haben.“ Wie Fabrikverkauf früher funktionierte, weiß seine Schwester aus Erzählungen: „Weil es keine Kabinen gab, haben sich die Kunden auf dem Gang umgezogen. Es war drei Tage geöffnet und dann wurde drei Tage auf- und nachgeräumt.“ Heute undenkbar.
Das neue Büro- und Geschäftsgebäude hat die alten Zeiten des Reste-Lagers auch konzeptionell endgültig beendet: Modernes Industrial Design auf 2.550 Quadratmetern Verkaufsfläche, ansprechende Warenpräsentation, ein nachhaltiges LED-Lichtkonzept, dazu Sessel und eine Spielecke für die Kleinsten. „Die Ansprüche der Kunden haben sich stark verändert“, sagt Leonie Westermann. „Wir haben uns für ein modernes und zweckmäßiges Gewand entschieden, in dem wir mit einer ansprechenden Atmosphäre und geschultem Fachpersonal punkten.“ Egal ob Konfirmationsanzug, Hochzeitsoutfit oder Businesslook - die 26 Beraterinnen und Berater wissen, was zum Anlass und zur Figur passt. Und das ist längst mehr als der Klassiker Anzug: „Roy Robson reicht heute vom Hut bis zur Socke“, sagt Frederick Westermann und lacht. „Wir haben uns breiter aufgestellt, sind legerer geworden.“ Gut angezogen ist der Mann heute eben auch im T-Shirt zum Sakko oder in Sneakern zur Anzughose.
Roy Robson produziert seine qualitativ hochwertigen Kollektionen im eigenen Werk im türkischen Izmir mit 800 Beschäftigten, 250 weitere arbeiten am Stammsitz Lüneburg. „Wir sind sehr gut aus der Corona-Krise gekommen“, sagt Frederick Westermann zufrieden. In dem Familienunternehmen mit vielen langjährigen Mitarbeitenden profitiere man von flachen Hierarchien und kurzen Entscheidungswegen.
Entscheidungen wurden jetzt auch mit Blick auf die Zukunft des Fabrikverkaufs gefällt. Auf Eckpunkte dazu haben sich das Unternehmen und das Lüneburger Citymanagement (LCM) im Rahmen eines Mediationsverfahrens verständigt. Hintergrund ist, dass im Fabrikverkauf neben Roy Robson-Produkten auch Fremdmarken aus dem Segment Damenbekleidung und Wäsche verkauft werden. Dieser Bereich soll nun nicht mehr wachsen. „Der Großteil unserer Kunden kommt von außerhalb“, sagt Leonie Westermann. „Weil Männer häufig in weiblicher Begleitung einkaufen, möchten wir, dass auch Frauen bei uns fündig werden.“ Wie die externe Kundschaft zum Besuch der rund einen Kilometer entfernten Lüneburger Innenstadt animiert werden kann, dazu werde man weiter Ideen entwickeln, ergänzt Frederick Westermann: „Uns geht es um eine Win-win-Situation. Es ist nicht in unserem Interesse, die Innenstadt zu schwächen.“ Denn eines sei klar: „Geht es der Stadt gut, dann geht es auch uns allen gut.“ Ute Klingberg
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