Saftladen mit System

Wer Saft produziert, lebt mit den Jahreszeiten: Im Winter beobachtet Helmut Rüter mit einer gewissen Anspannung das Wetter. Milde Winter gefolgt von Spätfrösten sind schlecht für die Apfelblüte und damit für die Saftproduktion. So war es zu Beginn des Jahres 2024.
„Wir hatten die früheste Apfelblüte seit Beginn der Aufzeichnungen“, sagt der Inhaber der Fruchtmosterei Rüter. Mittlerweile zeigt sich, dass es so schlimm wohl doch nicht kommt: Die Produktion ist längst gestartet, wie immer zuerst mit Rhabarber und Erdbeeren, gefolgt von Johannisbeeren, Stachelbeeren und Sauerkirschen. Bald startet die Hochsaison für Rüters Hauptprodukt, den Apfelsaft: „Ab August kommen die ersten Äpfel und Birnen, das geht dann bis November“, sagt der Saft-Produzent.
Die Folgen des Klimawandels sind hier in der Produktion in Eimke bei Munster längst angekommen: Kaum noch ein Apfeljahr gleicht dem anderen. Zugute kommt Rüter da die Sortenvielfalt der Rohware vom Baum: „Weil wir viele verschiedene Apfelsorten verarbeiten, gibt es immer einen gewissen Ausgleich, wenn mal eine Sorte ausfällt.“
Es war Großmutter Elisabeth Rüter, die den Betrieb als Süßmost- und Fruchtweinkelterei unmittelbar nach der Währungsreform gründete. Garten- und Streuobst zu verwerten, sei für die Nachkriegsgeneration selbstverständlich gewesen, sagt ihr Enkel: „Damals gab es überall Mostereien, mittlerweile sind wir hier die einzige im Umkreis von 70 Kilometern.“ Das liegt auch daran, dass die zweite Generation, Karl-Heinz-Rüter, der 1986 übernahm, kräftig in moderne Produktionstechnik investierte. Hauptaufgabe der aktuell zehn Beschäftigten ist seither die Kontrolle der Maschinen, etwa an der Füllstraße, wo bis zu 11.000 Liter Saft pro Stunde in Glasflaschen abgefüllt werden können. Oder an der Zentrifuge, die den frischgepressten Saft separiert. Oder am Herzstück, der großen Siebbandpresse, die zehn Tonnen Obst pro Stunde verarbeiten kann. Nach dem Sortieren, Waschen und groben Zermahlen wird die Fruchtmaische hier zu Saft gepresst. Aus 100 Kilogramm Äpfeln lassen sich rund 70 Liter Saft gewinnen, sagt Rüter: „Technisch würde noch mehr gehen, aber dann landen Bitterstoffe im Saft. Das würde den Geschmack negativ verändern.“
Überhaupt – der Geschmack: Ein Saft, der wirklich nach Saft schmeckt, das ist seit 75 Jahren das Erfolgsrezept von Rüter. Weil das erntefrische Obst und Gemüse überwiegend aus privaten Gärten oder von Streuobstwiesen stammt und weil es schonend verarbeitet wird, gibt es bei Rüter die volle Vitaminausbeute, aber keinen Saft, der immer gleich schmeckt. Wer sein Obst in einer der 50 Sammelstellen in Niedersachen und dem südlichen Schleswig-Holstein abgibt, erhält einen Gutschein zum vergünstigten Kauf von Rüter-Säften. „Bei uns landet nicht die Monotonie von Großplantagen in der Flasche. Wir haben eine wilde Mischung, auch mit vielen alten Apfelsorten. Das ergibt einen intensiven Geschmack. Und der überzeugt unsere Kunden“, sagt der Produzent.
Mit Geschmacksnoten kennt sich der studierte Diplom-Braumeister bestens aus. Seit Jugendzeiten hat er im elterlichen Betrieb mitgeholfen, das Studienfach mit Bedacht ausgewählt: „Ich wollte einfach alles über Getränketechnologie und -herstellung erfahren, dafür war das Studium sehr gut geeignet“, sagt der 54-Jährige.
Auf Rüters profundes Wissen und Erfahrung greifen landwirtschaftliche Betriebe aus der Region gern zurück. Denn Auftragsarbeiten mit größeren Mengen Obst sind das zweite Standbein der Mosterei. Landwirte lassen ihr Plantagenobst von Rüter verarbeiten und vermarkten den Saft unter eigenem Label. Ob Selleriesaft, Ingwer-Shot, mit oder ohne Bio-Label - was bei der Herstellung zu beachten ist, weiß Rüter sehr genau: „Wir richten uns nach den Wünschen der Kunden, beraten aber auch bei neuen Projektideen.“
Nach Missernten und schwierigen Coronajahren sind es aktuell die hohen Energiepreise, die Sorgen bereiten. Der Rücklauf der Pfandflaschen ist schleppend, der Preis für neue Glasflaschen aber deutlich gestiegen. Rüter hat deswegen seine Sortenvielfalt eingeschränkt, verarbeitet keine Zitrusfrüchte mehr und konzentriert sich aktuell auf das heimische Obst. „Zum Glück haben wir ein großes Tanklager, wo wir Mengen bis zur Abfüllung zwischenlagern können.“
Rüter-Säfte gelangen über die Sammelstellen, die regionalen Supermärkte und Hofläden in den Verkauf. Und der laufe bei heimischem Obst gut, sagt Rüter. „Es gibt ein neues Bewusstsein für Regionalität und Nachhaltigkeit“, das komme seinem Geschäftsmodell zugute. „Das ist wirklich ein Umbruch. Immer mehr junge Familien sammeln Äpfel ein. Die sagen sich: Ich brauche nicht noch eine neue exotische Frucht, sondern der Apfelbaum vorm Haus tut es auch. Dazu kann in unserem Geschäftsmodell jeder selbst Teil der Wirtschaftskette sein.“ Daher sieht Rüter trotz vieler Unwägbarkeiten das alte Prinzip der Lohnmosterei noch lange nicht am Ende: „Es ist eine Rückbesinnung auf alte Werte. Die neue Wertschätzung für das Sammeln und Verwerten von Obst wird weiterwachsen.“

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