Von Natur aus gut

Der Wasserrohrbruch war ein Glücksfall. Im Nachhinein jedenfalls. „Wir waren gezwungen zu sanieren“, sagt Johannes Weide. „Dabei entstand die Idee, den Hofladen komplett neu zu machen. Mein Vater war erst skeptisch, aber er wurde von uns allen überstimmt. Dann kam Corona und der Laden war fertig – genau zum richtigen Zeitpunkt.“ Denn während für den Wildhandel Blajus die Gastronomie als wichtiger Kundenkreis wegfiel, kam mit dem Ausbau des Hofladens während der Pandemie ein neuer hinzu. Und der wächst weiter.
„Auch viele Leute aus der Umgebung wussten vorher nicht, dass es uns gibt“, sagt der 36-Jährige. „Mittlerweile haben wir Stammkunden in ganz Deutschland dazugewonnen.“ Um sie zu erreichen, setzt der Fleischermeister neben Anzeigen in der Lokalpresse auf seine Social- Media-Kanäle: Er postet Videoclips direkt aus dem Schlachthaus, Fotos der frischen Maibock-Rehkeule und präsentiert neue Produkte aus dem Hofladen. „Solche Bilder bleiben im Kopf“, sagt Weide und lacht, „man muss sich eben was einfallen lassen.“
1923 von Heinrich Blajus gegründet, feiert die Wildhandlung Blajus im Mai ihr 100. Jubiläum. Inzwischen führen Johannes und Monika Weide führen den Familienbetrieb. © Andreas Tamme
Frische Ideen stehen bei Blajus gleichberechtigt neben der Tradition eines 100-jährigen Familienbetriebs: „Ich bin dankbar und stolz, dass ich das als Fünfter in der Generationenfolge weiterführen darf“, sagt Weide. Während er heute Bestellungen für Rehrücken per WhatsApp annimmt, musste Ururgroßvater Heinrich Blajus anno 1923 viele Wege und Gespräche absolvieren, um sich einen Kundenkreis aufzubauen. Vieles ist dennoch unverändert: Verkauft wird ausschließlich frisch geschossenes Wild aus Bundes- und Landesforsten sowie privaten Jagdrevieren in einem Umkreis von etwa 100 Kilometern.
Jedes der jährlich 4.000 bis 5.000 Stück Wildschwein, Reh und Hirsch wird tierärztlich geprüft, bevor es in die Verarbeitung und danach in den Verkauf oder in die Kühlhauslagerung geht. Besonders während der Jagdsaison, zwischen August und Januar, haben der Chef und seine vier Angestellten alle Hände voll zu tun. Im Familienbetrieb packen dabei die Eltern Jörg und Margret Weide sowie Ehefrau Monika Weide mit an. Hauptabnehmer ist nach wie vor der Großhandel, dazu steht in vielen Restaurants der Region Wild von Blajus auf der Speisekarte. Nur die Direktvermarktung läuft inzwischen nicht nur über den Hofladen, sondern auch über einen Onlineshop, den Weide noch weiter ausbauen will.
Offiziell hat der Fleischermeister das Geschäft Anfang 2022 von seinem Vater übernommen. So war es immer geplant: „Ich bin schon als kleiner Junge mit meinem Opa auf Tour gewesen, um das Wild bei den Jägern abzuholen. Das hat mir immer Spaß gemacht.“ Mit 22 Jahren legte Weide in Frankfurt die Meisterprüfung ab, hängte einen Abschluss als Betriebswirt an, um anschließend in den Familienbetrieb zurückzukehren.
Fleisch ist nicht gleich Fleisch. Für den Fachmann ist entscheidend, dass Wild-Fleisch alle nur denkbaren Vorteile vereint. „Offiziell ist es kein Bio-Fleisch, aber mehr Öko geht ja eigentlich nicht. Die Tiere wachsen gesund auf, bewegen sich frei in der Natur und haben keinen Stress. Das ist Qualität, die man schmeckt.“ Damit passen Wildprodukte in die Zeit: „Die Menschen sind sensibilisiert“, sagt Weide. „Die Nachfrage nach Fleisch aus guter Haltung ist gestiegen. Ich habe sogar Kunden, die eigentlich Vegetarier sind, aber sich ab und zu ein Stück Wild gönnen, weil das einfach was Gutes ist.“ Dabei entwickelt der Fleischermeister das Sortiment ständig weiter. Wurden früher vorwiegend große Keulen verkauft, gibt es heute Vielfalt auch in kleinen Portionen: Currywurst, Leberkäse, Bratwurst oder Burger-Patties aus Wild locken Grill-Fans genauso wie Feinschmecker ins kleine Frielingen.
Mit der langen Tradition im Rücken blickt Weide optimistisch in die Zukunft. Wild werde weiter geschossen und gegessen werden, auch wenn der Wolf in den Jagdrevieren zunehmend Probleme bereite. Das Personal der Zukunft ist jedenfalls schon da: Vier kleine Söhne wachsen als sechste Generation auf dem Hof heran. Was die am liebsten machen? Der Vater lacht: „Mit dem Opa auf Tour fahren, um das Wild abzuholen.“ Ute Klingberg