Die Müsli-Pioniere

An die Gründung im Jahr 1899 kann sich Dr. Rüdiger Kühl (56) naturgemäß nicht erinnern, an den Neustart 2013 dafür umso besser: „Das waren beruflich die spannendsten Jahre, die ich jemals erlebt habe“, sagt der DE-VAU-GE-Geschäftsführer. „Es fühlte sich an wie ein Start-up nach mehr als 100 Jahren. Es war nicht leicht, weil nichts investiert worden war, Kunden und Vertrauen verloren gegangen waren.“ Mittlerweile ist auch diese Phase wieder Geschichte, die DE-VAU-GE Gesundkostwerk GmbH steht in ihrem 125. Jahr gefestigt da: Der Umsatz hat sich in zehn Jahren von rund 100 auf 320 Millionen Euro mehr als verdreifacht, die Zahl der Beschäftigten wuchs von 550 auf über 900 – eine Erfolgsgeschichte.
Das Beinahe-Aus ist nicht die einzige Besonderheit in der Geschichte des Lüneburger Traditionsunternehmens. Hervorgegangen ist es aus dem „Deutschen Verein für Gesundheitspflege“, der 1899 durch die Siebenten-Tags-Adventisten gegründet wurde. Die Freikirche widmete sich bereits im 19. Jahrhundert einem heute hochaktuellen Thema – der Gesunderhaltung des Körpers durch eine ausgewogene Ernährung. Man produzierte in Friedensau bei Magdeburg etwa Vollkorn-Getreideflocken, die über Reformhäuser vertrieben wurden. 1912 erfolgte der Umzug nach Hamburg, 1976 ging es nach Lüneburg an die Lüner Rennbahn. Seit 1998 betreibt die DE-VAU-GE in Tangermünde einen zweiten Produktionsstandort.
Die Entwicklung trägt vor allem die Handschrift des ehemaligen Geschäftsführers Michael Makowski (86), der das Gesundkostwerk mit klarer Strategie aus dem Nischendasein zu einem der führenden deutschen Hersteller für Frühstückscerealien formte. Auch wenn die Buchstabenfolge DEVAUGE den meisten Deutschen unbekannt sein dürfte, in aller Munde ist sie trotzdem: als Müsli, Cornflakes, Fruchtriegel, Reiswaffel oder Plant Based Drink im Eigenmarkensegment des deutschen Lebensmitteleinzelhandels. Als die beiden DE-VAU-GE-Werke 2007 an den französischen Konkurrenten Dailycer verkauft wurden, geschah das vor allem mit Blick auf die wachsende Internationalisierung. Doch der Erfolg blieb aus. Um Werke und Arbeitsplätze zu retten, kauften der Ex-Manager und sein Sohn, Dr. Andreas Makowski, das Unternehmen aus dem Insolvenzverfahren heraus. Zwei Punkte seien daraufhin entscheidend gewesen, sagt Dr. Kühl: „Der Generationswechsel vollzog sich in idealer Art und Weise. Und uns ist es gemeinsam mit unseren wunderbaren Mitarbeitern gelungen, das Vertrauen der Kunden zurückzugewinnen – mit Begeisterung, Liefertreue, Innovation und Qualität.“
Mit einer Produktionskapazität von 250.000 Tonnen ist die DE-VAU-GE heute wieder einer der bedeutendsten Handelsmarkenhersteller von Frühstücks­cerealien, Müslivarianten und Fruchtriegeln. Und mit ihren Kunden längst international unterwegs: Snacks und Flakes aus Lüneburg landen über deutsche Discounter wie Aldi in Großbritannien, den USA, Australien und China im Einkaufskorb der Menschen. „Dadurch haben wir eine enorme Vielfalt an Rezepten und Artikeln“, sagt Dr. Kühl. Das seit 100 Jahren tradierte Müslirezept wird man bei der DE-VAU-GE daher nicht finden, stattdessen ist Innovation Alltagsgeschäft: „Bei uns werden beinahe täglich neue Produkte entwickelt.“ In die hochspezialisierte Technik sind seit der Übernahme durch das alte Management noch einmal 120 Millionen Euro investiert worden. Dabei gilt: Nicht jeder, der Cornflakes backen kann, kann auch Proteinriegel oder Sojamilch, die DE-VAU-GE aber kann´s: „Wir vereinen beinahe alle technischen Möglichkeiten, die es in der Branche gibt“, sagt Dr. Kühl. „Das ist ein Alleinstellungsmerkmal, mit dem wir weltweit einzigartig sind.“ Und natürlich erwarten Verbraucher*innen heute spezielle Features, Bio-Müsli etwa oder glutenfreie Proteinriegel, die in speziell abgegrenzten Bereichen hergestellt werden.
Nach den Jahren der Konsolidierung richtet sich die Strategie nun stärker nach außen: „Uns ist wichtig, unsere Verantwortung für die Region und die Gesellschaft wahrzunehmen“, sagt Wirtschaftswissenschaftler Dr. Kühl, der sich als Vizepräsident unserer IHKLW engagiert. Zum Konzept gehört die Verarbeitung möglichst vieler regionaler und zertifizierter Rohstoffe, vom Zucker aus Uelzen bis zur Fairtrade-Schokolade. Auch wird an der Energieeffizienz ständig gefeilt, seit 2020 ausschließlich mit Ökostrom produziert. „Mit diesen Themen ist man ja nie fertig, das ist ein ständiger Prozess“, sagt Dr. Kühl. Einmal kräftig durchatmen nach 125 Jahren darf jedoch erlaubt sein. Was ihn antreibt? „Meine Begeisterung für ein tolles Haus mit großartigen Menschen. Und der Anspruch, angemessen mit den Themen umzugehen, die uns herausfordern.“ Diese Liste ist nicht eben kurz, fängt an mit der schwierigen Personalsuche und ist bei der Verlässlichkeit der Lieferketten noch nicht zu Ende. Den Maßstab dafür findet der Manager in den Wurzeln des Gesundkostwerks: „Das Ziel ist, ein solides Familienunternehmen an die nächste Generation weiterzugeben. Dabei prägen christliche Grundwerte wie die Verantwortung für die Umwelt und die absolut uneingeschränkte Achtung des Menschen nach wie vor die Philosophie des Hauses.“
Ute Klingberg
IHK Lüneburg-Wolfsburg
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