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„Unternehmen brauchen Verlässlichkeit und Zuversicht“
Ein Jahr Hauptgeschäftsführerin der IHK Niedersachsen: Monika Scherf fordert Bürokratieabbau, optimierte Prozesse in den Verwaltungen und niedrigere Energiepreise.
Frau Scherf, seit einem Jahr sind Sie Hauptgeschäftsführerin der IHK Niedersachsen. Was schätzen Sie am meisten an Ihrem Job?
Monika Scherf: Ich fühle mich sehr gut aufgenommen und angekommen bei den niedersächsischen IHKs. Außerdem bin ich begeistert von dem System der Federführungen in der IHK Niedersachsen – das sind 16 Expert*innen aus den sieben Mitglieds-IHKs, die fachspezifisch Themen aufbereiten, um die Interessen der Wirtschaft gegenüber der Politik zu vertreten. Ich erlebe dies als sehr zielführend, auch, um die unterschiedlichen Ansprüche der einzelnen IHKs zu vereinen. Denn im großen Flächenland Niedersachsen arbeiten große und kleine Kammern mit unterschiedlichen Branchenstrukturen, regionalen Schwerpunkten und Interessen.
Bei Ihrem Antritt im März 2023 kündigten Sie an, die Wettbewerbsfähigkeit niedersächsischer Unternehmen stärken zu wollen. Waren Sie damit erfolgreich?
Scherf: Wir haben einige gute Punkte erreicht. Beim Thema Energiekosten ist es uns gelungen, dass Niedersachsen jetzt gegenüber dem Bund vertritt, was wir immer gesagt haben: Wir brauchen Breitenwirkung durch Steuersenkungen, niedrigere Netzentgelte und Direktlieferverträge, die das Netz gar nicht erst belasten. Auch beim Thema Breitband haben wir Wirkung erzielt. In einer eher ungewöhnlichen Allianz mit den kommunalen Spitzenverbänden, weiteren Wirtschaftsverbänden, der Landjugend und dem Landessportbund haben wir erreicht, dass das Wirtschaftsministerium für 2024 weitere Mittel bereitstellt. Jetzt geht es darum, diese Förderung für die Folgejahre zu verstetigen. Denn wir werden 2024 nicht jedes Unternehmen und jeden Haushalt an Breitband angeschlossen haben.
Gerade haben das Land Niedersachsen, Vodafone und die OXG Glasfaser GmbH einen Kooperationsvertrag unterzeichnet, um den sogenannten eigenwirtschaftlichen Ausbau zu beschleunigen. Wie bewerten Sie das?
Scherf: Das ist ein guter Weg. Aber es wird nicht reichen. Denn der eigenwirtschaftliche Ausbau passiert dort, wo es sich rechnet. Wo es sich nicht rechnet, also vor allem in ländlichen, dünn besiedelten Räumen, braucht es weiterhin staatliche Unterstützung.
Laut aktueller Konjunkturumfrage erwägt jedes zweite Industrieunternehmen in Niedersachsen, Produktionskapazitäten ins Ausland zu verlegen. Was läuft schief aus Ihrer Sicht?
Scherf: Wo soll ich anfangen? Wo aufhören? Die Zahlen sind alarmierend. Wir müssen Unternehmen wieder Zuversicht geben, dass es sich lohnt, hier zu investieren. Die Energiepreise zum Beispiel müssen zügig sinken. Die sind im Moment doppelt so hoch wie im internationalen Wettbewerb. Durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts fehlen 60 Milliarden aus dem Transformationsfonds. Jetzt muss die Politik sagen, wie sie die Erneuerbaren zügig ausbauen und die notwendige Infrastruktur bereitstellen will, woher also langfristig die Energie kommen soll, die dem Markt entzogen wurde. Es fehlt ein Stück weit das Vertrauen, dass wir diese Energiewende in einem bestimmten Zeitraum verlässlich schaffen.
Der aktuelle IHKN-Präsident Matthias Kohlmann legt den Fokus auf die Arbeits- und Fachkräftesicherung. Können Sie den Mangel beziffern?
Scherf: Mehr als 60 Prozent der Unternehmen in Niedersachsen finden nicht die Arbeitskräfte, die sie brauchen. Es gibt keine einzige Branche, die davon nicht betroffen ist. Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz wurde zwar novelliert. Aber noch wissen wir nicht, wie die Behörden es umsetzen und ob alle Behörden dies einheitlich umsetzen. Wir brauchen Schnelligkeit. Es kann nicht sein, dass Unternehmen Fachkräfte im Ausland finden und dann bis zu einem Jahr warten müssen, bis diese im Unternehmen endlich ankommen. Es geht aber auch darum, unsere Potenziale im Inland viel besser zu nutzen – zum Beispiel Eltern und älteren Menschen passende Rahmenbedingungen für eine weitere berufliche Tätigkeit zu bieten oder Ausbildungs- und Studienabbrecher aufzufangen.
Wie kann Politik hier gegensteuern? Was müssen Unternehmen selbst tun?
Scherf: Für Eltern brauchen wir gute Kinderbetreuungsangebote und geschickte Arbeitszeitmodelle. Für Menschen, die im Ruhestand noch arbeiten und ihr Wissen anwenden wollen, braucht es andere Anstellungsmodelle und attraktive Modelle, wieviel man zur Rente dazuverdienen darf. Da schlummert ein Riesenpotenzial. Außerdem müssen wir in der Berufsorientierung in den Schulen besser werden, auch in Gymnasien. Es gibt mehr als 300 Ausbildungsberufe. Wir müssen den jungen Menschen Perspektiven aufzeigen und welche Karrierechancen es mit einer Ausbildung gibt. Als IHKs können wir das unterstützen mit Projekten wie den Ausbildungsbotschafter*innen oder mit Kampagnen wie „Jetzt #könnenlernen“.
Thema Bürokratieabbau: Die organisatorisch bei der IHK angesiedelte Clearingstelle soll Gesetzesvorhaben bereits in ihrem Entstehungsprozess prüfen. Reicht das?
Scherf: Die Clearingstelle müsste früher beteiligt werden, auch bei der Frage, ob ein neues Gesetzesvorhaben mittelstandsrelevant ist, um noch stärker in die Diskussion mit den Ministerien gehen zu können. Von der Landesregierung wünsche ich mir, dass die Berichtspflichten durchforstet werden. Und in den Verwaltungen heißt es, Prozesse umzustellen und sich selbst zu hinterfragen, zum Beispiel bei Planungs- und Genehmigungsverfahren. Förderanträge würde ich gern erleichtern und mehr mit pauschalen Lösungen arbeiten. Da muss man auch ein Stück weit Vertrauen in die Unternehmen haben.
Interview: Sandra Bengsch
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