„Trump hat jetzt ein viel radikaleres Umfeld“

Deutsche Unternehmen müssen sich auf einen möglichen US-Präsidenten Donald Trump vorbereiten. Die „America first“-Poltik würde Investitionen und Geschäftsentscheidungen in Deutschland beeinflussen, weiß Kommunikations- und Politikwissenschaftlerin Andrea Römmele. Römmele berät weltweit Politikerinnen, Politiker und Parteien. Im US-Wahljahr 2024 untersucht sie als Thomas-Mann-Fellow, welche Antworten Deutschland und die USA auf die zunehmenden ökologischen, geopolitischen und wirtschaftlichen Herausforderungen finden und ob diese unterschiedlich ausfallen
Die EU-Mitgliedsstaaten haben bei der Europawahl abgestimmt, im September stehen in Deutschland drei Landtagswahlen an, und im November wird in den USA gewählt. Wie ordnen Sie dieses Wahljahr mit Blick auf die transatlantischen Beziehungen ein?
Andrea Römmele: Die Wahlergebnisse der EU haben einen Rechtsruck im Europaparlament hervorgebracht – trotzdem gibt es weiterhin eine proeuropäische Mehrheit. Die erste große Frage ist für mich: Was passiert jetzt mit dem Green Deal? Ich rechne damit, dass dieser auf der Implementierungsebene ein Stück weit aufgeweicht wird. Die Grünen wurden bei der Europawahl massiv abgestraft. Die große Herausforderung ist nun, eine Klimapolitik – die ja ganz zentral und wichtig ist – zu schaffen, die sozial und wirtschaftlich verträglich ist. Zweitens ist es sehr wichtig, die Wirtschaftsstandorte Deutschland und Europa in den nächsten fünf Jahren zu stärken. Wir müssen uns zwischen den USA und der aufstrebenden Macht China neu positionieren.
Wo genau sehen Sie Deutschland und Europa da?
Römmele: Um das einzuordnen, sind einige Fragen offen, die ich noch nicht beantworten kann: Die USA und China sind Deutschlands wichtigste Handelspartner – wie werden die Handelsbeziehungen aussehen, sollte Donald Trump gewinnen? Wie verhält sich Deutschland im Falle eines Angriffes Chinas in Taiwan? Und: Wie kann eine europäische Migrationspolitik aussehen? Das muss auf politischer Ebene entschieden werden. Mit Blick auf Ostdeutschland wird es spannend, wie stark die AfD dort im September abschneiden wird. Ich rechne damit, dass sich in allen drei Bundesländern Koalitionen gegen sie bilden werden. Einen solchen Effekt haben wir bei den Parlamentswahlen in Frankreich beobachten können. Doch welchen Handlungs- und Gestaltungsspielraum haben diese Regierungen dann? Und was bedeutet es für SPD-Kanzler Olaf Scholz, wenn sein Parteikollege in Brandenburg, Ministerpräsident Dietmar Woidke, abgewählt wird? Welche Macht hat Scholz dann noch im Bund und international?
Manche rufen deshalb schon jetzt nach Neuwahlen…
Römmele: Die Bundesregierung wird für vier Jahre gewählt, deshalb halte ich nichts von Neuwahlen.
In Frankreich hat Präsident Emmanuel Macron mit den vorgezogenen Parlamentswahlen viel aufs Spiel gesetzt.
Römmele: Aber es hat sich gelohnt, das linke Bündnis ging als stärkste Kraft hervor. Macron hat selbst zwar keine Mehrheit, aber die Rechten (vorerst) in die Schranken gewiesen. Wir sehen also in mehreren europäischen Ländern: das kann klappen. Trotzdem muss sich die deutsche Regierung auf eine mögliche Trump-Präsidentschaft einstellen. Schon jetzt versucht sie, ihre Beziehungen zu den Republikanern ins konservative Lager der USA auszubauen, um auch im Falle eines Regierungswechsels vorbereitet zu sein. Ich rechne eigentlich nicht mit einem Wahlsieg Trumps – aber es wird sicher knapp. Und es kann immer noch etwas Unvorhergesehenes passieren. Aber in den sogenannten Swing States, in denen mal die Republikaner und mal die Demokraten gewinnen, sind die Demokraten dieses Mal gut aufgestellt. Dort kommt es vor allem darauf an, viele Wählerinnen und Wähler zu mobilisieren.
Und was bedeutet es für Wirtschaft und Sicherheit Deutschlands, falls Trump gewinnt?
Römmele: Das würde Deutschland und Europa vor allem sicherheitspolitisch vor neue Fragen stellen. Ich würde nicht von einer großen Kehrtwende sprechen, denn wir wissen schon jetzt, dass wir in der Lage sein müssen, uns selbst – ohne die Hilfe der USA – zu verteidigen. Deswegen hätte ich mir auch mehr Geld in den Haushaltsverhandlungen für die Bundeswehr gewünscht. Aber mit Trump als Präsident müssten wir das sehr viel schneller können. Darauf drängt Verteidigungsminister Boris Pistorius schon jetzt. Es wäre mit Trump nicht damit zu rechnen, dass sich die USA weiter so für die Ukraine engagieren wie jetzt.
Was noch?
Römmele: Der Unterschied zwischen Trump 2016 und Trump 2024 ist sein sehr viel radikaleres Umfeld. Insofern müssten wir uns sowohl politisch, insbesondere geopolitisch als auch wirtschaftlich auf sehr ungewisse Zeiten einstellen. Schon während der letzten Amtszeit Trumps konnten wir sehen, was „America first“ für Deutschland und Europa bedeutete: Die USA führte Zölle auf Stahl- und Aluminiumimporte ein, was die Exporte aus Deutschland direkt betraf. Die Steuerreform in den USA senkte die Unternehmenssteuersätze erheblich, wodurch US-Unternehmen wettbewerbsfähiger wurden und möglicherweise Investitionen von Europa in die USA verlagert wurden. Ein ganz wichtiger Punkt ist aber auch ein psychologischer: Die „America-first“-Politik führte zu einer allgemeinen Zunahme der Unsicherheit im internationalen Handel, was Investitionen und Geschäftsentscheidungen in Deutschland beeinflusste.
Der Green Deal beschäftigt die Unternehmen schon jetzt. Wenn dieser nun eventuell aufgeweicht wird: Wie sollten sich Unternehmen vorbereiten?
Römmele: Es gibt keinen Grund für Panik oder dazu, den Kopf in den Sand zu stecken. Was bereits beschlossen wurde, lässt sich nicht so einfach wieder zurückdrehen. Ich glaube aber, dass durch Lobbyarbeit noch einiges erreicht werden kann, um den Green Deal etwas wirtschaftsfreundlicher zu machen.
Anne Klesse