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„Unglaublicher Aufwand“
Fachkräfte suchen, technische Normen adaptieren, mit hohen Krankenständen jonglieren – Nina Kley weiß, dass kaum ein Arbeitstag ohne neue Herausforderung vergeht. Seit sie vor 15 Jahren in das Unternehmen eingestiegen ist, das ihr Vater 1975 zusammen mit einem Partner gründete, hat sich die Geschäftsführerin der Winsener Feldbinder Spezialfahrzeugwerke GmbH daran gewöhnt, oft „alles gleichzeitig“ bewältigen zu müssen. Die promovierte Juristin wirkt nicht so, als würde sie sich schnell aus der Ruhe bringen lassen. Und doch gibt es ein Thema, dass die 47-Jährige aktuell besonders umtreibt: Das europäische CO₂-Grenzausgleichssystem „Carbon Border Adjustment Mechanism“ – kurz CBAM.
Mühsame Dokumentationspflicht
Die Europäische Union hat CBAM eingeführt, um die Verlagerung von Produktion und somit auch von Treibhausgasemissionen in Nicht-EU-Länder zu verhindern. Seit Ende Januar gilt die Dokumentationspflicht, nach der Güter, die außerhalb der EU mit einem zu hohen Einsatz von CO₂ produziert worden sind, sanktioniert werden sollen. Für betroffene Unternehmen bedeutet das einen enormen administrativen Aufwand: “CBAM ist total mühsam”, bringt Kley es auf den Punkt. Für jede Einfuhr von beispielsweise Schrauben ab einer Freigrenze von 150 Euro, muss ein CBAM-Report erstellt werden. Bei Feldbinder trifft das auf rund 500 Produkte zu. Für jedes müssen an die 200 Fragen beantwortet werden. Nicht unwahrscheinlich, dass die aktuellen Produktgruppen noch um weitere ergänzt werden. Aktuell befinde man sich in der Übergangsphase, in der bereits Quartalsmeldungen einzureichen seien, so Kley: „Dabei gibt es keine für alle Länder verbindliche Anleitung, wie genau ausländische Handelspartner*innen der Reporting-Pflicht nachzukommen haben.” Schon jetzt müsse Feldbinder teilweise einzelne Produzent*innen kontaktieren, die unter Umständen gar keine Idee haben, wie der CO₂-Abdruck eines Teils zu bemessen sei. „Zumal den meisten Unternehmen die neue Regelung bis dato gar nicht bekannt war.“
Massive Extrakosten für Unternehmen
Ab 2026 startet die Implementierung und für Unternehmen kämen Verpflichtungen wie die Abgabe der jährlichen CBAM-Erklärung oder der Kauf von CBAM-Zertifikaten hinzu. „Ein unglaublicher Aufwand“, so Kley. Zwar hätten sich erste Beratungshäuser gemeldet, die spezielle Programme zur Datenerfassung bzw. die Implementierung einer Schnittstelle ins Warenwirtschaftssystem angeboten hätten. „Aber hier reden wir von einigen Tausend Euro an Kosten, da zusätzlich Mitarbeitende zu schulen wären.“ Auch der hauseigene Wirtschaftsprüfer habe bereits massive Extrakosten für neue Berichts- und Prüfungserfordernisse prognostiziert.
Die IHK-Organisation fordert daher leicht zugängliche Informationen für Unternehmen und Vereinfachungen beim Reporting, etwa durch ein CBAM-Self-Assement-Tool. “Die Freigrenze sollte von 150 Euro auf 5.000 Euro erhöht werden, gleichartige Waren unter 50 Kilo sollten zusammengefasst werden können und Standardwerte sollten dauerhaft anwendbar bleiben”, fasst Nina Kley zusammen. Vor allem brauche es globale Lösungsansätze und ein koordiniertes Handeln aller relevanten CO2-emittierenden Länder, um Wettbewerbsnachteile zu vermeiden. „Wir Unternehmer*innen haben zu wenig Leute und Zeit – und sind einmal mehr gezwungen, zähneknirschend eine Kröte zu schlucken, während beispielsweise China seinen CO₂-Ausstoß jährlich erheblich steigert”, sagt Kley. In unserer IHKLW sind wir uns einig, dass wir gern Vertreter*innen in Brüssel hätten, die rechtzeitig ,Achtung‘ sagen.”
Verantwortung für kommende Generationen
Weil Politiker*innen allzu oft ohne Kenntnisse der wirtschaftlichen Realitäten entscheiden müssen, lade sie persönlich regelmäßig ins Winsener Werk ein. „Dann erläutern wir gern, was eine Regelung wie CBAM im wahren Leben bedeutet. Und dass zu viel Bürokratie nicht nur vom Kerngeschäft abhält, sondern immer mehr Unternehmen dazu bringt, ihre Fabriken ins Ausland zu verlegen.“ Bei Feldbinder mit rund 830 Mitarbeitenden sei das wie bei vielen anderen mittelständischen Unternehmen nicht gewünscht, aber auch schlichtweg nicht möglich. „Ich selbst habe als Kind bei den Familienessen das Generationswissen eingeatmet“, sagt Nina Kley. „Und ich würde mir wünschen, dass wir eines Tages auch in unseren Kindern unternehmerisches Feuer wecken können.“ Mit immer mehr Bürokratie gelänge dies schwerlich.
Alexandra Maschewski
Der Grundsatzbeschluss der IHK-Organisation mit der Überschrift "#GemeinsamBesseresSchaffen – jetzt!" umfasst zehn Punkte, die eine Zeitenwende der deutschen Wirtschafts- und Standortpolitik einläuten sollen. www.dihk.de/resolution2023
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