Weltmarktführung made in Lüneburg

Der niedersächsische EU-Abgeordnete Bernd Lange (SPD), Vorsitzender des Handelsausschusses im Europäischen Parlament, mahnte im Handelsstreit zwischen der EU und China kürzlich zur Deeskalation: Es sei „weiterhin Zeit für einen konstruktiven Dialog und eine gemeinsame Lösung“. Doch: „Transparenz und klare Regeln sind Grundbedingungen für einen fairen Wettbewerb.“ Darin unterscheide sich die EU „von vielen Praktiken in anderen Ländern“, so Lange. Kern des Streits: Weil China bestimmte Branchen wie etwa seinen E-Auto-Sektor massiv subventioniert, fürchtet die EU gezielte Überkapazitäten seitens China und eine Überschwemmung des europäischen Markts mit den Billigprodukten der Volksrepublik.
Tatsächlich klagten in einer Umfrage der Auslandshandelskammer (AHK) Greater China zur Wettbewerbsfähigkeit deutscher Firmen in China fast zwei Drittel der Teilnehmenden über unfaire Wettbewerbsbedingungen. Zwar hielten sie sich in Bezug auf Produktqualität, technologische Führerschaft oder Innovationsstärke der chinesischen Konkurrenz überlegen. Allerdings seien sie im Marktzugang durchgängig schlechter gestellt. Ein Lüneburger Traditionsunternehmen behauptet sich derweil trotz allem auf dem chinesischen Markt: Sieb & Meyer hält in seinem Schwerpunktbereich der CNC-Steuerung – einer speziellen Steuerungstechnik für die Leiterplattenbearbeitung – einen Weltmarktanteil von 70 Prozent, 85 Prozent des dazugehörigen Auslandgeschäfts macht das 1962 gegründete Unternehmen in China.
Vorstandsmitglied und Technikvorstand Torsten Blankenburg führt den Erfolg darauf zurück, dass sich der Mittelständler immer auf seine Kernkom­petenzen fokussiert und nie in unnötigen Produktportfolioerweiterungen verzettelt habe: „Man sollte als Unternehmen auf dem chinesischen Markt unbedingt die eigenen Stärken kennen und in diese investieren“, so Blankenburg. In der Nische der CNC-Steuerungen für Leiterplattenbohr- und -fräsmaschinen habe sich sein Unternehmen deshalb seit den 1970er-Jahren kontinuierlich weiterentwickelt. „Global hat sich der Markt für die Leiterplattenbearbeitung mit den Jahren immer wieder verlagert von Europa hin in die USA, dann Richtung Taiwan, Japan, Korea und jetzt seit einiger Zeit nach China. Sieb & Meyer hat es geschafft, mit dieser Karawane weiterzuziehen und neue Player in den veränderten Märkten dazu befähigt, dort tätig zu werden.“ Das Konzept: „Wir liefern unseren Maschinenbaukunden eine für ihr Marktsegment passende Komplettlösung.“
Produktionsstandort ist Lüneburg, Tochtergesellschaften sitzen in Taipeh und im chinesischen Shenzhen. Mit rund 260 Mitarbeitenden weltweit entwickelt und fertigt der „Hidden Champion“ hier in Niedersachsen Steuerungstechnik und Antriebselektronik, zu den Kerntechnologien gehören neben Steuerungen für die Leiterplattenbearbeitung unter anderem Automatisierungstechnik, soge­nann­te Servoverstärker für hochdy­na­mische Antriebssysteme und Frequenzumrichter für Hochgeschwindigkeitsmotoren und -generatoren.
Statt über den Preis, bei dem deutsche Unternehmen in China laut Blankenburg ohnehin nicht konkurrieren könnten, positioniert sich Sieb & Meyer also in punkto Qualität. „Es gibt chinesische Wettbewerber, die aber mit unserer umfänglichen Lösung nicht mithalten können“, so Blankenburg. Er ist sich bewusst: „Man ist Partner, solange man dem chinesischen Kunden Vorteile bieten kann. Sollten wir je gleichwertig mit einem chinesischen Mitbewerber sein, wären wir mit Sicherheit ganz schnell raus aus dem Spiel.“ Aktuelle Herausforderung: „Tech­nologieführerschaft und Abstand halten, Produkt weiterentwickeln, sodass wir überproportional mit Qualität strahlen.“ Dafür seien auch Sicherheitsmaßnahmen notwendig, um Know-how und Schlüs­seltechnologien zu schützen. Denn: China will eigene Unternehmen in Schlüs­selindustrien zu Weltmarktführern aufbauen und fördert dafür massiv bestimmte Branchen. In wichtigen Branchen wie Automotive, Maschinen und Chemieprodukte haben sie bereits aufgeholt. Deutsche Ausfuhren stagnieren oder sinken sogar laut Berechnungen des Handelsblatt Research Institute. Noch ist die Volksrepublik aber wichtigster Außenhandelspartner von Deutschland: 2023 wurden laut Statistischem Bundesamt Waren im Wert von 254,5 Milliarden Euro zwischen Deutschland und China gehandelt. Doch Kritik gibt es schon lange, so forderte Junge-Unions-Chef Tilman Kuban kürzlich wieder eine andere Außen- und Wirtschaftspolitik: Sich auf den alten „Dreiklang“ – Sicherheit mit Hilfe der USA, billige Energie aus Russland und Handel mit China – zu verlassen, sei vorbei.
China will sich unabhängiger von westlicher Technologie machen und allein die Gefahr eines Handelskriegs führe dazu, so Blankenburg, dass sich chinesische Unternehmen abwendeten. „Da können wir auch mit guter Technik nur bedingt gegenankämpfen. Es ist also ein Ritt auf der Rasierklinge.“ Langfristig will Sieb & Meyer andere geschäftliche Schwerpunkte weiter ausbauen. „Doch der preisgetriebene Konsumerbereich wird auch zukünftig in China seinen globalen Schwerpunkt haben.“ Von der EU wünscht Blankenburg sich, dass sie „mit einer Stimme spricht“ – und nicht „durch Drohgebärden unnötig etwas zerstört – denn ausbaden müssen das wir Unternehmen“.
Anne Klesse
IHK Lüneburg-Wolfsburg
Am Sande 1 | 21335 Lüneburg
Tel. 04131 742-0
Mail: service@ihklw.de