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Ideen für einen starken Handel
Der Einzelhandel prägt das Gesicht einer Stadt – doch wie kann er trotz aller Schwierigkeiten bestehen und damit die Innenstadt attraktiv halten? Unsere IHKLW und erfolgreiche Gewerbetreibende haben Antworten.
Hohe Mieten, Onlineshopping, Nachwirkungen der Pandemie – der stationäre Handel hat es mit vielen Herausforderungen zu tun. Nach einer aktuellen Umfrage des Handelsverbands Deutschland rechnen 42 Prozent der befragten Geschäfte für das zweite Halbjahr mit stagnierenden und 36 Prozent mit rückläufigen Umsätzen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Der Verband warnt angesichts 5.000 drohender Geschäftsaufgaben deutschlandweit vor einer „weiteren Verödung der Innenstädte“.
„Die Probleme sind nicht neu, wurden aber durch die Corona-Pandemie beschleunigt“, sagt auch Jan Weckenbrock, Berater für Stadtentwicklung unserer IHK Lüneburg-Wolfsburg (IHKLW). In Konkurrenz zum Onlinehandel könne der stationäre Einzelhandel preislich oft nicht mithalten. Weckenbrock: „Die Folge sind Leerstände, die wiederum zu Trading-Down-Effekten führen: Irgendwann finden sich nur noch qualitativ niedrigere Angebote in der Innenstadt – und diese machen den Standort noch unattraktiver.“ Eine Abwärtsspirale, die möglichst früh unterbrochen werden müsse.
Um die Attraktivität und Lebendigkeit von Innenstädten zu erhalten oder zu verbessern, sei einerseits das Engagement der Städte und Gemeinden erforderlich, gleichzeitig das der ansässigen Geschäftsleute und Immobilieneigentümer. „Es muss ein Angebot geschaffen werden, das die Leute anlockt und Aufenthaltsqualität schafft. Alle Akteure müssen zusammenarbeiten und den Mut aufbringen, Innenstadt neu zu denken“, so Weckenbrock. Dazu sollte alles gut erreichbar sein, sowohl mit öffentlichem Nahverkehr als auch per Auto. Die IHKLW fordert unter anderem eine Multifunktionalität der Zentren: „Innenstädte müssen vielseitig und krisensicher gestaltet werden“, so Weckenbrock: „Dazu gehört zum Beispiel die Etablierung von Quartiersgemeinschaften, von Innenstadt-Management und Konzepten für städtebauliche Entwicklung.“
In Lüneburg wird letzteres heiß diskutiert – insgesamt läuft aber offenbar bereits vieles richtig. So meldete die Landeszeitung für die Lüneburger Heide kürzlich, dass in der Fußgängerzone aktuell nicht einmal 30 Geschäfte leer stehen – zum ersten Mal seit zwei Jahren, ein Lichtblick. Die Gründe dafür liegen vermutlich in einem Mix aus Maßnahmen und Projekten wie Stadtfeste, Erlebnis-Sonntage, aber auch die gelben Leitern vor inhabergeführten Geschäften, um Aufmerksamkeit für deren Situation zu generieren. Innerhalb der historischen Altstadt gibt es nach wie vor und trotz aller Schwierigkeiten vielfältige gastronomische und kulturelle Angebote, die nicht nur für den Tourismus, sondern auch für die Lüneburger*innen selbst interessant sind. Andere niedersächsische Gemeinden haben stärker zu kämpfen.
Saniertes Umfeld und Home-office-Möglichkeiten als Chance
Winsen (Luhe) beispielsweise – geografisch zwischen Hamburg und Lüneburg gelegen – muss sich mit dem kleinen Einkaufsviertel aus Rathaus- und Marktstraße behaupten. Doch hier wurden noch vor der Pandemie mit Hilfe von Fördermitteln neues Straßenpflaster, Sitzmöglichkeiten, Beleuchtung und Begrünung geschaffen. „Etwas mehr als die Hälfte ist bisher umgesetzt und schon jetzt hat die Innenstadt sehr an Aufenthaltsqualität gewonnen“, sagt Markus Johannsen, der gemeinsam mit seiner Frau das Modehaus Düsenberg & Harms GmbH & Co. KG leitet und seit Anfang des Jahres Vorsitzender des Vereins für Wirtschaft und Stadtentwicklung Winsen (Luhe) e.V. ist. Der Verein will die Zusammenarbeit bei der Entwicklung der Wirtschaft in der Region fördern, Existenzgründende unterstützen und Plattform für Ideenaustausch und deren Verwirklichung sein. Auch vom Förderprogramm „Resiliente Innenstädte“ erhofft sich Winsen, wie andere Städte der Region, Aufwind.
„Plötzlich sitzen hier Menschen mit Laptops auf den Bänken und arbeiten, holen sich im Café einen Kaffee, gehen zwischendurch kurz einkaufen und stöbern auch bei uns im Haus“, beobachtet Johannsen. Während Winsen früher eher eine typische Pendlerstadt gewesen sei, in der man zwar wohnte, aber zum Arbeiten und Einkaufen eher in die benachbarten größeren Städte fuhr, sei der Ort mittlerweile nicht allein aufgrund des vergleichbar günstigen Wohnens attraktiv. „Auch die neuen Homeoffice-Möglichkeiten haben dazu beigetragen, dass hier jetzt auch wochentags mehr los ist“, so Johannsen. Selbst aus Maschen oder Lüneburg kämen nun Leute und kauften in Rathaus- und Marktstraße ein. „Auch hier gibt es Leerstand, im Vergleich aber überschaubar, und häufig findet sich schnell eine Nachnutzung. Da wünschen wir uns am liebsten einzelhandelsorientierte Konzepte.“
Modehaus-Chef Markus Johannsen beobachtet, dass die Investitionen in die Aufenthaltsqualität in Winsen (Luhe) sich auszahlen: „Plötzlich sitzen hier Menschen mit Laptops und arbeiten, holen sich einen Kaffee, gehen zwischendurch einkaufen und stöbern auch bei uns im Haus.“
Nach den pandemiebedingten Schließungen seien die Kund*innen sofort wieder da gewesen. „Wir haben seit jeher viel Stammkundschaft, die sich uns verbunden fühlt, die froh sind, nicht weit fahren zu müssen, um einzukaufen.“ Auf über 2.100 Quadratmetern gibt es in seinem Modehaus Damen-, Herren- und Kinderkleidung, im eigenen Onlineshop kann bestellt und nach Hause geliefert oder im Geschäft abgeholt werden.
Gastronomie und Hotellerie und auch der Wochenmarkt sonnabends haben es dagegen schwer in Winsen, weiß Johannsen. Da hofft er auf Ideen und Konzepte, die funktionieren. Doch dafür müssten sich Vertreter*innen der Stadt und Gewerbetreibende einbringen und vernetzen. „Wir müssen alle mehr miteinander reden und das Verständnis füreinander fördern“, so Johannsen. Dazu hat er mit dem Verein nun ein Sommerfest organisiert, auf dem Wirtschaft und Politik zusammenkommen sollen.
Engagierte Mitarbeitende und gute Stimmung im Team
Vernetzung ist auch für Susanne Ludorf das A und O. Sie führt seit 14 Jahren die Buchhandlung Seevetal in Hittfeld, die im August vom Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur und dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels – Landesverband Nord e.V. als „Buchhandlung des Jahres“ für ihr Engagement für die Leseförderung und Literaturvermittlung ausgezeichnet wird. Die Buchhandlung sei „ein wichtiger Akteur des literarischen und kulturellen Lebens in Seevetal“ und schaffe „altersübergreifend Räume, sich mit Literatur auseinanderzusetzen“, heißt es vom Ministerium.
Buchhandlungen seien insbesondere in ländlich geprägten Regionen zentrale Orte der kulturellen Grundversorgung. Tatsächlich arbeitet Ludorf mit Kitas, Schulen und Vereinen zusammen, besorgt Schulbücher und -material, organisiert Literatur- und Leseveranstaltungen. Allein zum letzten „Welttag des Buches“ seien insgesamt 220 Kinder da gewesen, um einen Einblick in die Welt der Bücher zu erhalten. In ihrer Branche vernetzt sie sich unter anderem in einer Genossenschaft, so kann sie vom gemeinsamen Warenwirtschaftssystem und dem Wissen anderer Buchhändler*innen profitieren. Die Leerstände im Hittfelder Zentrum halten sich noch in Grenzen, aber man sehe, dass diese Entwicklung auch hier begonnen hat. Um dem schon im Voraus entgegenzuwirken, kooperiert sie mit anderen Inhaber*innen und Einrichtungen.
„Ob ich nun Turnschuhe oder Bücher verkaufe – der persönliche Kontakt ist der Schlüssel zum Erfolg“, ist Susanne Ludorf überzeugt. Aktuell macht sie auf ihren 90 Quadratmetern Verkaufsfläche mit vier langjährigen Mitarbeiterinnen rund eine halbe Million Euro Jahresumsatz. In Hittfeld kenne man sich, Tourismus oder Laufkundschaft spielen kaum eine Rolle, wichtig sei vor allem gute Beratung, denn die gibt es online nicht. Ihre Buchhandlung sei schnell zu einem Treffpunkt geworden. „Hier kommen die Leute mit ihren Sorgen her, aber auch mit schönen Nachrichten.“ Selbst während der Pandemie fragten viele Kund*innen, wie sie helfen könnten, bestellten Gutscheine. Sie selbst habe ab frühmorgens Buchbestellungen bearbeitet, verpackt – und ihr Mann habe sie im Landkreis ausgeliefert. „Viele haben in der Zeit das Lesen wiederentdeckt, wir haben die Bindung zu unseren Kund*innen gestärkt und sogar neue hinzugewonnen.“ Dafür seien gute Mitarbeitende nötig. „Meine Mitarbeiterinnen lesen alle gern, tun das mit Begeisterung in ihrer Freizeit, um im Laden Bücher empfehlen zu können. Das ist Gold wert“, so Ludorf. „Wenn eine gute Stimmung im Team herrscht, spüren das auch die Kund*innen.“
Der Handel braucht die Stadt nicht mehr
Aufenthaltsqualität durch eine angenehme, ästhetische Umgebung, gute Erreichbarkeit, regionale Identität, individuelle Geschäftsideen als Ergänzung zu großen Ketten, kleine und große Events, vielseitige Gastronomie, Vernetzung und Kooperation der Inhaber*innen untereinander sowie eine positive Grundstimmung können verwaisten Einkaufsstraßen entgegenwirken.
Laut Wirtschaftsgeograf Roland Wölfel, Geschäftsführer der GmbH Deutschland, ist außerdem die Beschäftigung mit der eigenen Online-Sichtbarkeit und Möglichkeiten wie Lieferservice notwendig. Und: „Statt von Einkaufsstädten sollten wir von Lebensstädten sprechen. Der jahrzehntelange Fokus auf den stationären Einzelhandel hat eine schwache Nutzungsmischung hervorgebracht und ist längst überholt. Die Stadt braucht zwar den Handel, der Handel aber nicht mehr die Stadt.“ Zur Bewältigung dieses Strukturwandels sei ein Umdenken nötig. Wölfel: „Die Innenstädte werden vielfältiger, kleinteiliger und auch wichtige soziale – und nicht nur ökonomische – Interaktionsräume. Darüber hinaus werden sie nicht mehr rein monofunktional auf den Einzelhandel ausgerichtet sein. Gastronomie, Kultur, Wohnen, Arbeiten, Bildung, Gesundheit und Leben gehören zum Ideal der europäischen Stadt.“
Anne Klesse
5.000 Euro Preisgeld: Wettbewerb für den Handel
Die IHK Niedersachsen (IHKN), das Niedersächsische Wirtschaftsministerium und weitere Partner*innen halten noch bis zum 30. August Ausschau nach Impulsgeber*innen aus der Innenstadtwirtschaft, die sich mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigen. Unter dem Motto „bunt – vielfältig – nachhaltig!“ können sich Einzelhändler, Standortgemeinschaften wie Gewerbevereine oder Stadtmarketing sowie Genossenschaften um einen von sechs Geldpreisen in Höhe von 5.000 Euro bewerben. Auch Vorschläge Dritter sind willkommen.
Weitere Informationen sowie die Möglichkeit zur Bewerbung: Wettbewerb Gemeinsam aktiv – Handel(n) vor Ort
Die IHK Niedersachsen (IHKN), das Niedersächsische Wirtschaftsministerium und weitere Partner*innen halten noch bis zum 30. August Ausschau nach Impulsgeber*innen aus der Innenstadtwirtschaft, die sich mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigen. Unter dem Motto „bunt – vielfältig – nachhaltig!“ können sich Einzelhändler, Standortgemeinschaften wie Gewerbevereine oder Stadtmarketing sowie Genossenschaften um einen von sechs Geldpreisen in Höhe von 5.000 Euro bewerben. Auch Vorschläge Dritter sind willkommen.
Weitere Informationen sowie die Möglichkeit zur Bewerbung: Wettbewerb Gemeinsam aktiv – Handel(n) vor Ort
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