„Die CSRD-Richtlinie wird Impulse geben“

Die EU fordert zukünftig Berichte über die Nachhaltigkeit von Unternehmen. Das kann die Transformation voranbringen, sagt Prof. Dr. Patrick Velte von der Leuphana Universität Lüneburg. Gerade bei kleinen und mittleren Unternehmen rät er zu strategischen Kooperationen.
Herr Prof. Velte, bis Sommer 2024 muss Deutschland die neue EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeit europäischer Unternehmen umsetzen. Kann ein Gesetz zum Anschieber notwendiger Transformationsprozesse werden?
Ich denke, ja. Die Richtlinie wird Impulse für eine Nachhaltigkeitstransformation geben. Allerdings erwarte ich die positiven Impulse lediglich durch das enge Zusammenspiel von Nachhaltigkeitsberichterstattung, der Lieferkettenregulierung und des nachhaltigen Finanzwesens nach dem EU-Green-Deal-Projekt.
Mit vollem Namen heißt die neue EU-Richtlinie Corporate Sustainability Reporting Directive, abgekürzt CSRD. Was kommt auf die Unternehmen zu?
Es geht um Rechenschaftspflichten und verbindliche Berichtsstandards. Insgesamt sind es mehr als 1.000 Datenpunkte, die die EU-Kommission als mögliche Informationen für den Nachhaltigkeitsbericht benennt. Die EU- Kom­mission hat hierzu ein erstes Set von European Sustainability Reporting Standards (ESRS) im Juli 2023 erlassen. Dies wird für alle sehr herausfordernd, vor allem für diejenigen Unternehmen, die bislang noch keinen freiwilligen Nachhaltigkeitsbericht, etwa nach dem Deutschen Nachhaltigkeitskodex (DNK) oder den Global Reporting Inititative (GRI) Standards, verfasst haben. Die Komplexität und der Aufwand sind dann höher.
Nach der CSRD müssen größere kapitalmarktorientierte Unternehmen zunächst starten. Inwiefern sind aber auch schon KMU involviert?
Indem sie sich beispielsweise in der Lieferkette der größeren, berichtspflichtigen CSRD-Unternehmen befinden. Für mittelständische Unternehmen sind Standards mit Erleichterungen geplant. Diese sind gerade im Entwurfsstadium und müssen noch durch die EU-Kommission verabschiedet werden.
Wovon hängt es ab, zu welchen der mehr als 1.000 von der EU vorgegebenen Punkte Unternehmen informieren müssen?
Unternehmen brauchen sich bei vielen ESG-Themen (ESG steht für Environmental, Social & Governance, zu Deutsch: Umwelt, Soziales und Unternehmensführung, Anm. d. Red.) nur zu denjenigen Punkten äußern, die für sie und ihre Stakeholder wesentlich sind. Diese Punkte werden in einer sogenannten Wesentlichkeitsanalyse und einer Stakeholder-Befragung identifiziert. Dabei geht es immer um die drei Themen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung. Idealerweise treten Unternehmen für die Beantwortung dieser Fragen auch mit einem ausgewogenen Kreis von in- und externen Stakeholdern in einen Dialog, um herauszufinden, welche Informationen diesen wichtig sind. Das bedeutet auch eine neue Stufe der Kommunikation mit den Stakeholdern und weg von einseitigen Investor Relations.
Und es bedeutet einen immensen Aufwand.
Das ist richtig. Die CSRD kostet viel Zeit und Geld. Wie viel Aufwand die neue Richtlinie für welches Unternehmen bedeutet, ist sehr größen- und branchenabhängig und davon, ob das jeweilige Unternehmen in der Vergangenheit Erfahrungen mit Nachhaltigkeitsberichten hatte. In allen Fällen ist es kein einmaliger Aufwand, sondern ein signifikanter Aufwand, der bleibt. Die Bedeutung deutscher Standards wie etwa dem DNK oder der GRI wird sinken.
Zusätzlich zum Zeitaufwand kommt das Geld. Gerade Investitionen in Nachhaltigkeit sind oft sehr langfristig.
Besonders beim Klimaschutz ist das richtig. Investitionen brauchen hier oft viele Jahre, bis sie sich amortisieren. Sie bedeuten aus kurzfristiger Perspektive finanzielle Einbußen. Unternehmen benötigen hier einen langen Atem, vor dem Hintergrund der geopolitischen Lage ist das natürlich schwierig. Aber die Mühen können sich auszahlen, die Forschung weist häufig auf positive „Business Cases“ der Nachhaltigkeit hin. Empirische Befunde zeigen auch, dass nachhaltige Unternehmen resilienter gegenüber Krisen sind, zum Beispiel in den Jahren der Corona-Krise.
Was können Sie den Unternehmen bei der Umsetzung der CSRD raten?
Die Komplexität der Themen ist so hoch, dass die Implementierung ohne fremde Expertise häufig nicht zu schaffen ist, primär bei KMU. Unternehmen sollten, wenn möglich, Personen mit Nachhaltigkeitsexpertise, u. a. zur Klimaneutralität, auf Ebene der Geschäftsführung und den nachgelagerten Managementebenen einstellen. Parallel sollten ein enger Kontakt mit externen Nachhaltigkeitsexperten gesucht und Softwarelösungen eingekauft werden. Denn Nachhaltigkeitstransformation bedeutet auch digitale Transformation.
Bei allem Wettbewerb untereinander sollten Unternehmen jetzt ihre Kontakte verstärken, zusammenarbeiten und sich austauschen, um einen Best Practice bei gewissen Rechtsformen, Größen und Branchen abzuleiten. Hier ist auch die IHK gefragt: für Weiterbildung und Netzwerke. Auch wir Hochschulen unterstützen dabei gern.
Die Nachhaltigkeitsberichte müssen jährlich extern geprüft werden. Der aktuelle Referentenentwurf für die CSRD sieht eine Vorbehaltsprüfung durch den Berufsstand der Wirtschaftsprüfer vor. Wie bewerten Sie das?
Skandale wie etwa Dieselgate bei Volkswagen oder andere Formen des Greenwashings haben gezeigt, dass die Qualität der Nachhaltigkeitsberichte auch in Deutschland bei großen börsennotierten Unternehmen unzureichend war. Eine künftige zwingende Nachhaltigkeitsprüfung parallel zur Finanzprüfung finde ich sinnvoll. Dass Wirtschaftsprüfer dies übernehmen sollen, bietet einerseits eine gute Vergleichbarkeit zur Finanzberichterstattung und es stärkt die Integration zwischen Finanz- und Nachhaltigkeitsberichterstattung. Andererseits sehe ich bei den Wirtschaftsprüfern in der Masse noch Defizite in der Expertise der Umweltthemen. Neben dem Aufbau von praktischer und theoretischer ESG-Kompetenz sollten gerade bei KMU strategische Kooperationen mit Umweltgutachtern außerhalb des Berufsstands eingegangen werden, zum Beispiel mit EMAS-Zertifizierern.
Steht uns hier der nächste Fachkräftemangel bevor?
Es gibt in Deutschland und in der EU aktuell nicht ausreichend Wirtschaftsprüfer, die über angemessene Nachhaltigkeitsexpertise nach der CSRD verfügen. Insofern sind wir an Hochschulen und Universitäten auch gefragt, den Nachwuchs bestmöglich auf integrierte Finanz- und Nachhaltigkeitsaspekte in der Ökonomie vorzubereiten. Wir an der Leuphana tun dies in den betriebswirtschaftlichen Studiengängen im Bachelor und Master seit Jahren und wir merken: Die jungen Leute wollen das auch.
Carolin George
IHK Lüneburg-Wolfsburg
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